Norman Dark

Im Schatten der Hexe


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hello, einen anderen Ton, bitte. Und wo wir gerade beim Thema sind. Ich möchte, dass du dich von der Ruine fernhältst. Der Garten ist groß genug.«

      »Du bist gemein. Erst lässt du alles wegräumen, und dann machst du einen Rückzieher.«

      »Schatz, ich meine es doch nur gut. Ich kann verstehen, dass so ein Ort für einen Jungen unwiderstehlich ist, aber das Ganze ist nicht ganz ungefährlich. Zuletzt war das Haus leer, obwohl ein Feuer brannte und im Topf Suppe kochte. Aber was ist, wenn beim nächsten Mal jemand kommt? Vielleicht lässt er dich nicht mehr heraus.«

      »Du spinnst. Gespenster sind nicht böse. Es sind nur arme, gequälte Seelen, die keine Ruhe finden. Das sagt Tante Leslee auch.«

      »So, mit ihr hast du auch schon darüber gesprochen? Im Prinzip hat sie wahrscheinlich Recht. Aber es gibt auch Ausnahmen. Es heißt nicht umsonst „ein böser Geist“. Wir wissen zu wenig von der Zwischenwelt oder dem Jenseits. In den Zwanzigerjahren war es in Mode, Seancen abzuhalten, so genannte spiritistische Sitzungen. Nicht selten wurden da Wesenheiten angezogen, die alles andere als gut waren. Kennst du den Spruch „Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht mehr los?“ Das stammt aus einem Gedicht des großen deutschen Dichters Goethe. Es heißt „Der Zauberlehrling“. Du siehst, es hat schon vor Harry Potter Zauberlehrlinge gegeben. Johann Wolfgang von Goethe hat nämlich schon im 18./19. Jahrhundert gelebt.«

      »Toll, das würde ich gerne mal lesen.«

      »Gut, ich besorge es. Das wird dann die nächste Gute-Nacht-Geschichte. Aber es ändert nichts daran, was ich gesagt habe. Vielleicht lasse ich die Ruine sogar zuschütten.«

      »Wenn du das tust …« Mitchel war außer sich und wollte losrennen.

      Janet konnte ihn im letzten Moment zurückhalten. »Die Sache ist ja noch nicht entschieden. Also, sei ein braver Junge und gehe vorerst nicht zu der Ruine. Versprichst du mir das?«

      Mitchel nickte widerwillig. Dabei hielt er hinter seinem Rücken Zeige- und Mittelfinger über Kreuz.

      Percy war an jenem Abend nicht zum Essen gekommen und hatte sich auch telefonisch nicht gemeldet. Als Janet in Kinross einkaufte und besonders schöne Dahlien fand, entschied sie spontan, Percy welche vorbeizubringen. Inzwischen wusste sie, wo er mit seiner Mutter wohnte. Vielleicht würde sie die Blumen auch der alten Frau übergeben, um sie bei der Gelegenheit kennenzulernen. Aber es kam alles anders. Als Janet vor der Gartenpforte parkte und ausstieg, kam Percy mit bösem Gesichtsausdruck auf sie zu.

      »Was willst du hier? Tu das nie wieder!«

      »Ich wollte deiner Mutter ein paar Blumen bringen. Und du hast dich schon eine Weile nicht gemeldet …« Janet brach ab. Sie war den Tränen nah.

      »Das wird nichts mit uns. Ich kann dir das nicht bieten, was du erwartest«, sagte Percy mit kalten Augen, die in krassem Gegensatz zu seinen lustigen Locken standen. »Also geh’ bitte und komm nie wieder!« Damit drehte er sich um und ließ sie stehen.

      Janet war wie vor den Kopf geschlagen. Sie warf den Strauß achtlos auf den Rücksitz, stieg ein und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Erst jetzt kamen die Tränen. Sie weinte aus Wut und Enttäuschung. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden? Das hatte noch kein Mann zuvor getan. Von welchen Erwartungen hatte er gesprochen? Janet überlegte fieberhaft. Sie hatte sich einem kleinen Flirt hingegeben, aus dem unter Umständen mehr hätte werden können, das war alles. Er musste verrückt geworden sein, oder die Mutter steckte dahinter. Oder hatte er sich in Leslee verliebt? Janets Gedanken überschlugen sich. In der Aufregung hätte sie beinahe einen Unfall gebaut und kam völlig aufgelöst zu Hause an.

      Leslee sah sofort, dass etwas passiert sein musste. Sie nahm Janet in den Arm und sagte: »Komm, erzähl mir alles.«

      Während Mitch ungestört mit seinem neuen Freund Efim spielte, saßen die beiden Freundinnen beisammen, und Janet schüttete ihr Herz aus.

      »Der muss als Kind zu heiß gebadet worden sein«, sagte Leslee empört. »So kann man doch nicht mit einer Frau umgehen. Das darfst du nicht auf dir sitzen lassen.«

      »Was soll ich denn machen?«

      »Stell ihn zur Rede. Am besten auf neutralem Terrain. Vor dem Haus scheint er zu große Angst vor der Mutter zu haben.«

      »Wozu noch? Besser, ich schlage ihn mir aus dem Kopf.«

      »Damit er es mit der Nächsten genauso macht? Wo bleibt deine weibliche Solidarität?«

      »Ich wusste gar nicht, dass in dir eine heimliche Feministin schlummert«, sagte Janet mit müdem Lächeln.

      »Ich bin gewiss keine Feministin, aber diesen Kerlen muss man tüchtig die Meinung sagen, sonst machen die immer so weiter. Soll ich ihn mir vorknöpfen?«

      »Nein, das ist meine Sache, aber danke für das Angebot.«

      Die Gelegenheit kam für Janet schneller als erwartet. Als sie drei Tage später aus Hunters Butchers kam, sah sie Percy die High Street entlang spazieren. Er hatte eine neue Frisur – seine Locken lagen jetzt in Wellen an seinem Kopf, und er trug einen Dreitagebart, aber es war unzweifelhaft Percy.

      »Gut, dass ich dich treffe. Ich möchte eine Erklärung von dir haben.«

      Janet erhielt keine Antwort, nur ein spöttisches Grinsen.

      »Vielleicht lassen sich andere Frauen dein Benehmen gefallen, ich aber nicht.«

      »Sorry, meinen Sie wirklich mich?«, sagte der Mann und nahm seine Sonnenbrille ab. Dabei fiel Janet auf, dass er stechend blaue Augen hatte, während Percys braun waren.

      »Oh, es tut mir leid, aber Sie sehen jemandem zum Verwechseln ähnlich …«

      »Dann müssen Sie Janet sein. Ich heiße Yve und bin der Bruder von Percy.«

      »Yves wie Yves Montand, der französische Schauspieler?«

      »Ja, aber ohne „S“.«

      »Ach, ich dachte, das ist die weibliche Form …«

      »Ja, aber es gibt auch Ausnahmen.« Yve lächelte breit und entblößte dabei sein makelloses Gebiss.

      »Selbst die Zähne sind gleich«, meinte Janet immer noch irritiert. »Das gibt’s doch nicht, dass sich Brüder so ähnlich sehen …«

      »Wenn Sie mit mir einen Kaffee trinken, verrate ich Ihnen das Geheimnis.«

      »Schon überredet. Ich platze vor Neugier.«

      Yve steuerte dann nicht das Cafe 98 in unmittelbarer Nachbarschaft des Fleischers an, sondern das Reminisce Cafe. Das passt ja, dachte Janet, denn to reminisce bedeutete sich in Erinnerungen ergehen.

      »So, so, mein Brüderchen hat Sie also schlecht behandelt. Das sieht ihm ähnlich«, sagte Yve, als sie an einem Tisch Platz genommen hatten.

      »Schlecht ist gar kein Ausdruck. Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Mann mich jemals so verletzt hat. Liegt das bei Ihnen in der Familie?«

      »Ich glaube, ich bin immer sehr höflich zu Frauen, wenn sie mich auch nicht sonderlich interessieren.«

      »Oh, Sie mögen Männer lieber?«

      »Das wollte ich damit nicht sagen. Meine Leidenschaft sind die Vögel. Für Percy trifft hingegen eher das Verb zu, wenn Sie die frivole Ausdrucksweise verzeihen.«

      »Den Eindruck hat er überhaupt nicht auf mich gemacht. Er hat sich wie ein Gentleman benommen, bis …«

      »Ja, das ist seine Masche. Er kann sich gut seinem Gegenüber anpassen. Und dass Sie eine Lady sind, steht außer Zweifel.«

      »Danke für die Blumen. Sie scheinen nicht viel von Ihrem Bruder zu halten …«

      »Das stimmt, er ist mir mitunter regelrecht zuwider, denn ich kenne auch seine dunklen Seiten.«

      »Leben Sie zu dritt in dem Haus, Mr. Sutherland?«

      »Um Himmels willen. Ich bin froh,