Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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er aus Peter hatte herausprügeln können, den Rest dazu gereimt.

      „Was mach’ ich denn nur? Wer weiß, wo er jetzt hin ist?“ Mary strich mit dem linken Zeigefinger gedankenverloren immer wieder an der rauen Tischkante entlang. Eleonore wusste nicht, was sie der Tante sagen sollte, ohne, dass es nach leeren Trostworten klang. Sie schaute dankbar auf, als sie ihre Mutter eintreten hörte und war froh, die Verantwortung abgeben zu können.

      * * *

      Als Eleonore und die Mutter schon im Bett lagen, tauschten sie sich darüber aus, was in Hinblick auf Peter zu tun sei. Eleonores Vetter war nicht wieder aufgetaucht. Sehr spät hörten sie Wilbur lallend die Treppe hochtorkeln und in die Wohnung poltern. Ein Grund mehr zur Sorge, denn Wilbur gehörte normalerweise nicht zu den Männern, die bei Ärger in die Schänke verschwanden. Und dann hörten sie, wie ein Streit zwischen Mary und Wilbur entbrannte. Durch den dünnen Fußboden drangen Satzfetzen zu ihnen nach oben. Es waren gegenseitige Anschuldigungen, sie warfen sich unschöne Dinge an den Kopf. Eleonore seufzte. Sie hatte die beiden vorher nie ernsthaft streiten hören. Sie drehte sich zur Seite und versuchte, an etwas anderes zu denken. Sie musste dringend schlafen, brauchte die Nachtruhe, um am nächsten Morgen wieder arbeitsfähig zu sein.

      Über die Aufregung hatte Eleonore ihren kleinen Lichtblick vom Nachmittag fast vergessen: Die wissbegierige Ada. Bevor sie endlich in einen unruhigen Schlaf fiel, kreuzte noch ein Gedanke ihren Kopf, den sie aber aufgrund der tiefen Erschöpfung, die sie ergriffen hatte, nicht mehr festhalten konnte: Bildung war der Schlüssel für die kleine Ada, um eine bessere Perspektive zu haben als ihre Mutter. Aber auch für die Bande, der Peter sich angeschlossen hatte, wäre eine gute Ausbildung der Ausweg vor dem Abrutschen in die Kriminalität gewesen.

      * * *

      Jacob studierte die Zeitung nur unaufmerksam. Seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Mehr als ihm lieb war. Es ging ihm nun schon seit einigen Tagen so. Er brach das noch warme, frischgebackene Scone in zwei Teile und tunkte es in seine Tasse mit dem teuren Darjeeling. Seine Mutter wäre vor Empörung ganz blass um die vornehme Nase geworden, wäre sie Zeugin davon gewesen, aber ihm schmeckte es so schlichtweg am besten.

      Immer wieder spielte er gedanklich die seltsame Begegnung mit Eleonore durch. Warum spukte das Dienstmädchen ständig in seinem Kopf herum?

      „Herrgott nochmal!“, fluchte er laut und versuchte, sich wieder auf die Börsennachrichtern zu konzentrieren. Ob ihr der Jules Verne wohl gefiel? Er selbst hatte das Buch verschlungen. Wenn er jetzt klingelte, würde wahrscheinlich nicht sie sondern Kate hereinkommen, oder eines der anderen Mädchen. Er ertappte sich dabei, wie er einen Vorwand suchte, mit Eleonore zu sprechen, sie zu fragen, was ihre Gedanken zu dem Roman waren. Warum musste er ständig an sie denken? Er zuckte zusammen, als er sich wieder daran erinnerte, wie sie ihn angesehen hatte, nachdem sie das Gespräch zwischen Thomas und ihm vor einigen Tagen mitgehört hatte. Wie viel hatte sie mitbekommen? Und was für einen Reim machte sie sich darauf? Wahrscheinlicher war, dass sie gar nicht über ihn nachdachte. Seine Gedanken drehten sich im Kreis.

      Er schob die Zeitung von sich weg. Arbeit, das war das richtige Mittel, um sich auf etwas anderes zu besinnen.

      Hastig schlang er den letzten Bissen seines Frühstücks hinunter, spülte mit Tee nach und verließ das Haus.

      Er stürzte sich in die Arbeit und tatsächlich gelang es ihm, sich auf die Zahlen zu konzentrieren, die er durchging, um eine Besprechung mit dem wichtigsten ihrer Lieferanten vorzubereiten. Er wusste, dass Miller & Co. als mehr als zuverlässig galt. Er war sich aber im Klaren darüber, dass dies zu kurz gedacht war und man sich auf diese Tatsache nicht als ehernes Gesetz verlassen durfte. Er würde darüber unbedingt mit seinem Vater sprechen müssen. Erst kürzlich hatte Oscar Godwin, ein Freund aus Studententagen, den er zufällig im Club getroffen hatte, ihm erzählt, wie die Veränderungen in der Geschäftsführung des Hauptlieferanten der väterlichen Firma eine enorme Gewinneinbuße gebracht hatten. Die Zeiten änderten sich: Die neue Geschäftsleitung gab nichts auf die Gentlemen‘s Agreements, welche die Herren bei Zigarren und Brandy geschlossen hatten. Besser also für klare Verhältnisse und Verträge sorgen, damit jeder wusste, nach welchen Regeln gespielt wurde. Wer konnte denn garantieren, dass nicht auch ein zuverlässiger Geschäftspartner wie Miller sein Fähnlein eines Tages nach dem Wind hängen würde? Jacobs Vater würde das anders sehen, er würde sich immer auf den Namen Bradford und dessen Wirkung verlassen, aber Jacob wusste, dass das Geschäft schnelllebiger wurde. Und er hielt viel von Fair Play, auf beiden Seiten. Nur wer sich auf Augenhöhe begegnete, konnte Geschäfte abschließen, welche für alle Beteiligten gewinnbringend waren. Letztendlich war es doch alles ein großes Geben und Nehmen, auch in der Geschäftswelt!

      Er blickte schließlich erst von den Unterlagen auf, als es anfing zu dämmern. Mit einem Mal merkte er auch, dass er Hunger hatte. Mittags hatte er nur ein Sandwich verschlungen.

      Er streckte sich gähnend.

      Frederick Bradford schlug in seinem Büro ebenfalls die Bücher zu und löschte das Licht. Er trat zu seinem Sohn an den Schreibtisch und erinnerte ihn: „Jacob, du weißt, dass deine Mutter Karten für die Aufführung im St. James’s Theatre hat besorgen lassen!?“

      Jacob stöhnte auf. Das war das letzte, wonach ihm heute Abend der Sinn stand.

      „Muss das sein, Vater? Ich habe den ganzen Tag ohne Pause gearbeitet und einen riesigen Hunger. Was spielen sie denn?“

      Frederick Bradford winkte ab. Er war für die Musik zu begeistern, aber kaum für das Schauspiel.

      „Ich fürchte, es geht kein Weg daran vorbei. Deine Mutter besteht darauf. Die Taylors werden auch dort sein. Es würde an einen Affront grenzen, wenn wir nicht kämen.“

      Jacob streifte seufzend seinen Gehrock über und folgte dem Vater nach draußen, wo bereits die Kutsche wartete. Sein Magen knurrte, er hoffte nur, dass das Stück nicht zu lange dauerte. Er ging gerne in das Theater, liebte sowohl die modernen Stücke als auch die Klassiker, aber heute Abend stand ihm der Sinn nach einem Glas Wein, Ruhe und einem guten Buch.

      * * *

      Isabell Taylor hatte an diesem Abend noch mehr Sorgfalt für ihre Toilette und Garderobe verwendet als gewöhnlich. Zweimal hatte das Dienstmädchen die Frisur neu machen müssen, denn es musste alles vollkommen perfekt aussehen.

      Man traf sich in der Loge. Jacob Bradford und sein Vater kamen erst kurz vor Beginn der Vorstellung. Das leise Gemurmel der Zuschauer wogte durch den Saal.

      Isabell reichte Jacob huldvoll ihre Hand. So positiv gestimmt wie möglich sie den Plan auch umsetzen wollte, sie kam nicht umhin, zu bemerken, dass der Gute zerzaust und geistesabwesend wirkte. Nun gut, sie war auch schon mit schwierigeren Aufgaben fertig geworden. Sie wusste, dass Jacob sehr intelligent war, also musste sie ihn auf diesem Wege für sich gewinnen. Aber ein Mann blieb er immer noch. Sie müsste also dezent, aber an den richtigen Stellen, ihre Reize zur Geltung bringen. Außerdem redete doch jeder Mann gerne von sich selbst und prahlte mit seinem Können.

      Als er sich formvollendet über ihre Hand beugte und einen Handkuss andeutete, drückte sie mit ihren schlanken Fingern für den Bruchteil einer Sekunde seine warme, trockene Hand. Nur ganz kurz, gerade so, als ob es nur ein Versehen war und so, dass es gerade noch schicklich schien. Falls er es bemerkt hatte, so ließ er es sich in keinster Weise anmerken, er zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Dummkopf!“, schoss es Isabell durch den Kopf, aber ihr Lächeln blieb genauso liebreizend wie zuvor. Während ihr Vater und der alte Bradford sofort in ein Gespräch über Politik einstiegen, tauschten die Mütter Einrichtungsratschläge aus. Isabell holte tief Luft, gab ihrer Stimme einen liebenswerten Klang und fragte mit einem, wie sie meinte, koketten Augenaufschlag: „Mr Bradford, Sie müssen müde sein, Sie haben sicherlich einen anstrengenden Tag hinter sich?“

      Er kam nicht dazu, zu antworten, denn die Lichter wurden gedimmt und das allgemeine Gemurmel verstummte.

      Was nun folgte, war ein durchschnittliches Schauspiel. Isabell überlegte, ob es zu gewagt wäre, wenn sie sich vorsichtig zu Jacob Bradford herüberlehnte, gerade so, dass ihre Schulter seinen Arm berühren würde. Vorsichtig