Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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würde Tage dauern, bis es hier in der klammen Kammer getrocknet war. Das Buch, das sie die ganze Zeit zum Schutz gegen den Regen an den Körper gepresst hatte, fühlte sich auch feucht an, an den Ecken schien das Papier etwas aufgequollen zu sein. Und wenn schon... Das konnte sie nun auch nicht mehr ändern. Schließlich war es ja auch Jacob Bradfords Schuld, dass sie länger als nötig im Regen herumspaziert war. Wieder spürte sie die Wut in sich aufsteigen und die Müdigkeit verdrängen. Wie konnte man denn durch einen dummen Zufall in Whitechapel landen? Entnervt zerrte sie an ihrem Mieder. Auch ihre Kleidung war feucht geworden. Sie streifte das Nachthemd über, bemüht, keine Geräusche zu machen. Ein Niesen, das sie in die Nase kriechen fühlte, unterdrückte sie. Trotzdem hörte sie, wie die gleichmäßig atmende Mutter aufschrak. „Eleonore?“, fragte sie in die Dunkelheit.

      „Schh, Mutter, alles in Ordnung, schlaf wieder. Ich bin nur aufgehalten worden.“ Die Mutter murmelte schlaftrunken etwas und kurz darauf setzten die gleichmäßigen Atemzüge wieder ein. Eleonore kauerte sich unter ihrer kalten Decke zusammen wie ein Säugling und wartete darauf, dass sie langsam wieder warm wurde. Nichts tat sich, die Füße waren wie Eisklumpen. Und endlich fiel die ganze Anspannung von ihr ab und leise liefen ihr Tränen über die Wangen.

      * * *

      Der nächste Morgen brach klar an, der Regen schien alles reingewaschen zu haben.

      Eleonore aber fühlte sich wie gerädert. Ihre Lider waren von mangelndem Schlaf und vom Weinen geschwollen, ihre Nase lief.

      Die Mutter hatte sie geweckt. „Eleonore, Schatz, steh auf. Es ist schon recht spät.“ Sie spürte die warme, trockene Hand an ihrer Wange, eine vertraute Geste aus Kindertagen. Liebevoll sah die Mutter auf sie herab.

      „Ich habe mir Sorgen gemacht, gestern, als du so spät kamst. Es war ja schon weit nach zehn.“

      „Ach, ich habe noch lange zu tun gehabt“, dehnte Eleonore die Wahrheit etwas aus. Den Zwischenfall mit dem jungen Bradford und den Betrunkenen ließ sie lieber unerwähnt. Sie wollte nicht, dass die Mutter sich mehr Gedanken machte als nötig. Sie reckte die schweren Glieder und versuchte, richtig wach zu werden. Die Mutter wandte sich ab, um sich die Haube aufzusetzen und dann aufzubrechen. Dabei stieß sie mit dem Fuß gegen das Buch, das Eleonore im Dunkeln unter das Bett geschoben hatte. Anscheinend nicht vollständig, denn es ragte ein Stück hervor. Ihre Mutter bückte sich ächzend, hob das Buch auf und sah Eleonore überrascht an.

      „Wo kommt das her?“

      Eleonore fluchte innerlich. Sie hatte ein offenes Verhältnis zu ihrer Mutter, aber die Sache mit den Büchern hatte sie für sich behalten wollen.

      „Ich habe es mir geliehen“, sagte sie tatsachengetreu.

      „Geliehen???“

      „Mutter, ich will jetzt wirklich nicht… Schau mich nicht so an. Glaubst du mir nicht?“

      „Ich glaube nicht, dass ich einen Grund hätte, dir zu misstrauen, denn ich weiß, wie ich dich erzogen habe. Aber ich wüsste nicht, wer in unserem Umfeld Bücher zu verleihen hätte...“

      Eleonore stand nun endlich auf und gab schnippischer als ihr lieb war zurück: „Ist ja auch nicht so wichtig“, nahm der Mutter bestimmt das Buch aus der Hand und schob es wieder unter ihr Bett. Sie erntete einen missbilligenden und verletzten Blick, was ihre Gereiztheit nur steigen ließ. Schnell widmete sie sich der Morgentoilette. Das Haar war vom gestrigen Regen ganz verfilzt und sie brauchte lange, bis sie es durchgekämmt hatte und einigermaßen akzeptabel aussah.

      Die Kleider waren wenigstens so trocken, dass sie hineinschlüpfen konnte, ohne gleich wieder zu frieren. Aber das Cape war noch immer wie durchgeweicht und die nasse Wolle gab einen stechenden Geruch von sich. Vielleicht konnte sie es in der Küche der Herrschaften trocknen.

      Einen knappen Gruß murmelnd verließ sie die enge Kammer.

      Am nun wolkenlosen Himmel zeichnete sich das erste Morgenrot ab und überall schimmerten noch die Pfützen. Der Boden war völlig schlammig, aber der wie blankgescheuerte Himmel war zumindest etwas Balsam auf ihrer Seele, es versprach ein schöner Tag zu werden.

      Als sie atemlos am Bradfordschen Anwesen angelangt war, war der siebente Schlag der Kirchturmuhr schon eine Weile verklungen.

      Das passte ja zum Schlamassel. Ärgerlich stieß sie die Tür auf und wäre beinahe mit Kate, dem sommersprossigen rothaarigen Dienstmädchen, zusammengestoßen. Die musterte sie kritisch. „Na, hast du dir noch eine extra Runde Schlaf gegönnt? Ist wohl spät geworden gestern, was?“

      Eleonore wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. In Kates vorlauter Gegenwart fühlte sie sich immer wie auf den Mund gefallen.

      „Nun guck mich nicht an wie eine Kuh und komm lieber mit, bevor die alte Cunningham mitkriegt, dass du zu spät bist.“

      Wieder spürte Eleonore ein Kribbeln in der Nase und musste herzhaft niesen. Kate wich zurück. „Steck mich bloß nicht an, mit deiner Rotznase! Ich habe später meinen freien Nachmittag.“ Verschwörerisch senkte sie die Stimme. „Ich treffe meinen Liebsten, weißt du?“ Sie zwinkerte Eleonore zu und zog sie mit in die Küche.

      Nun wurde Eleonore ungefragt mit mehr Details versorgt, als ihr lieb war. Kate hatte die unangenehme Angewohnheit, jedem, der sie fragte, aber auch jedem, der sich gar nicht dafür interessierte, ihre ganze jeweilig aktuelle Lebenssituation darzulegen. Diese hob sich nicht besonders von der anderer ihres Standes ab, aber Kate verstand es, auch der nebensächlichsten Begebenheit noch Dramatik einzuhauchen und erst dann ein Thema zu beenden, wenn sie sichergestellt hatte, dass sie es auch wirklich jedem mitgeteilt hatte.

      Später am Tag, nach einem endlosen Monolog von Kate, den diese auch bei den Frühstücksvorbereitungen und der Morgenroutine nicht unterbrochen hatte, trat Eleonore mit einem Stapel frischer Wäsche auf den Gang, um diese in den Zimmern zu verteilen. Als sie aus dem Ankleidezimmer von Mrs Bradford kam, sah sie den jungen Herrn aus seinem Zimmer treten. Ihre Blicke trafen sich, aber sie nickte nur kurz in seine Richtung und wandte sich dann abrupt ab, um den Stapel geplätteter Hemden in das Ankleidezimmer von Mr Bradford Senior zu bringen. Jacob Bradfords Anblick hatte wieder einen gewissen Zorn in ihr aufsteigen lassen. Sie verstand einfach sein Betragen nicht, es passte so gar nicht zu dem, was sie bisher von ihm kennengelernt hatte. Hoffentlich war ihr Cape, das in der Küche nah am Ofen zum Trocknen hing, bis zum Abend nicht mehr so feucht. Als sie wieder niesend aus den Gemächern des Hausherrn heraustrat, stand Jacob Bradford an der Tür. Er sah verlegen aus und druckste herum. „Ich bin froh, Sie wohlbehalten zu sehen, Eleonore! Sie sehen aber nicht gut aus.“ Als ihm bewusst wurde, wie das in ihren Ohren klingen musste, fügte er schnell hinzu: „Also, ich meine, nicht gesund. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich Sie gestern...“

      Ein Klopfen war aus dem Erdgeschoss an der großen repräsentativen Eingangstür zu vernehmen. Jacob Bradford unterbrach sich, als im Foyer Stimmen zu hören waren und trat an das Geländer, um zu sehen, wer der Besucher war.

      Eleonore nutzte die Unterbrechung, mit ihrer Arbeit fortzufahren, ohne unhöflich sein zu müssen. Ihr Schädel dröhnte. Sie konnte sich nicht ständig von Jacob Alexander Bradford von ihrer Arbeit abhalten lassen. Wie gut, dass sie bald einen freien Nachmittag haben würde. Dann könnte sie sich zur Abwechslung ohne schlechtes Gewissen und ohne kostbaren Schlaf opfern zu müssen, der Lektüre widmen.

      * * *

      „Thomas! Wie ich sehe, bist du wohlauf!“ Jacob konnte einen gewissen Spott nicht verhehlen. „Komm doch mit in die Bibliothek.“

      Thomas schien etwas blass um die Nase. Jacob schickte nach Tee.

      Thomas ließ sich unfein auf das Louis Quinze Sofa fallen, das Mrs Bradford erst kürzlich erstanden hatte. Die Dame des Hauses wäre ob der flegelhaften Behandlung des Prachtstückes zusammengezuckt.

      Thomas hielt sich stöhnend den Schädel.

      „Jacob, du hattest nur allzu Recht, dass du gestern Abend frühzeitig die Szenerie verlassen hast! Ich hätte auf dich hören sollen. Es war wirklich nicht schön!“

      Jacob war wenig verwundert,