Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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Er schüttelte sich. „Ein Wunder, dass ich mein Augenlicht noch besitze! Connor muss dem Wirt einen hübschen Batzen Geld zugesteckt haben. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass uns nichts zugestoßen ist, in diesem Drecksloch. Widerlich! Sei froh, dass du da gar nicht erst mit hinein gekommen bist, sondern schlauer warst als wir.“

      Ein leises Klirren war von der Tür zu vernehmen. Jacob sah nicht auf, sondern wies nur an: „Stell das Tablett einfach auf dem Tisch neben der Tür ab, Kate, wir schenken uns selbst ein. Danke.“ Er wollte nicht weiter gestört werden, man konnte nie wissen, was dann wieder in der Küche getratscht wurde. Kate war ohnehin ein vorlautes Ding, besser sie hörte nichts, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.

      „Kate hat ihren freien Nachmittag, Sir“, ertönte da die Stimme von Eleonore. Er sah erschrocken auf und lief dunkelrot an. Sie musste alles mitgehört haben! „Äh, ja,... danke,… Eleonore.“

      Diese knickste leicht und stellte das Tablett ab, während Thomas verwundert zwischen ihr und Jacob hin und her sah. Kaum, dass Eleonore aus der Tür heraus war, wandte er sich fragend an Jacob. „Was ist denn hier los, mein Lieber? Du schaust ja verlegen wie ein Schuljunge. Und wer ist das hübsche Ding? Ist die neu? Habe ich noch nie gesehen. Ein ganz passabler Anblick!“

      Jacob antwortete nicht, sondern betrachtete verlegen seine Schuhspitzen. Dann stand er auf und unterband jegliche weitere Diskussion, indem er Thomas neckte: „So, alter Junge, dann wollen wir dir mal einen starken Tee gegen den Kater verpassen.“

      III.

      Isabell Taylor saß vor ihrem dreiteiligen Spiegel aus teurem Kristallglas und prüfte wohlwollend von allen Seiten ihr Spiegelbild.

      Ihre Mutter trat hinter sie. Sie griff die Bürste und begann, Isabells rotglänzendes Haar, welches im Schein der Lampe warm schimmerte, zu kämmen.

      „Die Partie wäre natürlich von enormem Vorteil für dich, mein Herz. Unser Einfluss und sein guter Name und Geld...“

      Isabell zog die hübsche Nase kraus. „Ja, schon, Mutter, aber ich weiß nicht, er ist so verstockt und nicht besonders amüsant. Und umwerfend sieht er auch nicht gerade aus.“

      „Isabell, Herz, er ist ein ganz passabler Bursche und sehr klug. Du weißt, dass wir manchmal Opfer bringen müssen und nicht immer ganz eigennützig handeln können. Die Verbindung hätte für alle Beteiligten ihren Reiz. Und du weißt, so etwas kann sich entwickeln... Was glaubst du, wie es bei deinem Vater und mir war? Kaum gekannt haben wir uns, als wir getraut wurden. Du mit deinen zahlreichen Vorzügen wirst schon wissen, wie man solch einen Mann für sich gewinnt, da bin ich mir ganz sicher.“

      Isabell sah ihre Mutter im Spiegelbild an. Die beiden glichen sich in ihrer Schönheit, die eine das jüngere Abbild der anderen. Leider setzte sich die Schönheit nicht bis zu ihren Charakteren fort. Beide Frauen waren kühl, berechnend und auf den eigenen Vorteil bedacht. Konnte man es ihnen verdenken? Die Ränkeschmiederei lag der einen im Blut, der anderen war sie dadurch und aufgrund des Berufes ihres Vaters geradezu in die Wiege gelegt worden und ohne geschicktes Taktieren war es für die Frauen ihrer Epoche schwer, etwas zu erreichen. Isabell wusste daher nur zu gut, dass persönliche Empfindlichkeiten manchmal kurzfristig zurückstehen mussten, um mittel- oder langfristig ein höheres, wichtigeres Ziel zu erreichen. Und der Mehrgewinn an Reichtum und Bedeutung bei einer Verbindung der Familien Taylor und Bradford war tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Schließlich war ihr Vater als Berufspolitiker angesehen. Er würde auch eine anständige Pension erhalten, aber nach seinem Tod würde nichts Gewinnabwerfendes übrig bleiben, wie wenn er etwa ein Unternehmen geleitet hätte. Ihre Brüder waren beide samt Familie als Offiziere Ihrer Majestät in Indien stationiert, und nur der Gedanke an die Kolonie ließ sie erschaudern. In Indien, so war sie überzeugt, gab es nichts außer Dreck und Hitze.

      Aber jemand im Besitz eines Unternehmens wie beispielsweise das der Bradfords, ein Traditionsunternehmen, welches von Vater zu Sohn weitergereicht wurde und im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr floriert hatte und einen Namen trug, der seit Generationen respektiert und anerkannt war,… Es war also nur logisch, dass Isabell alles daran setzen musste, in diese Familie einzuheiraten. Der Name Taylor hatte in der Gesellschaft einfach noch nicht so viel Gewicht wie etwa Bradford. Manche alt eingesessenen Familien betrachteten die Taylors sogar naserümpfend als neureich.

      Isabell seufzte. Sie wusste, was sie sich selbst und der Familie schuldig war. Und wenn sie erst einmal den Namen Bradford tragen würde, einen Erben (das musste ja wohl ausreichen) geboren hätte und damit eine sichere Position hatte, dann brauchte sie sich ihren Lebtag keine Gedanken um irgendetwas zu machen und könnte tagein und tagaus ein angenehmes Leben führen und das Geld, das Bradford&Sons abwerfen würde, mit vollen Händen zu ihren Zwecken verwenden.

      Und Bewunderer und Verehrer hatte sie zur Genüge, als dass es ihr langweilig werden würde. Daran würde sich auch nach einer Eheschließung nichts ändern, davon war sie überzeugt.

      „Hat Jacob Alexander nicht doch noch einen älteren Bruder?“, scherzte sie, obwohl sie genau wusste, dass er ein Einzelkind war. Man munkelte, dass Mrs Bradford, die über eine eher schwächliche Konstitution verfügte, vor Jacob Alexander mehrere Fehlgeburten erlitten hatte, aber so etwas wusste man natürlich nicht genau und sprach auch nicht öffentlich darüber.

      Ihre Mutter, die aus der Frage Isabells Erkenntnis der Vorteilhaftigkeit einer solchen Verbindung herauszulesen wusste, lächelte ihre Tochter an. „Vertrau nur ganz auf mich, ich werde alles Nötige in die Wege leiten. Sei du einfach weiterhin besonders aufmerksam gegenüber dem jungen Bradford.“ Mrs Taylor legte die Haarbürste aus der Hand, strich noch einmal gedankenverloren über Isabells Haar, welches dieser wie ein Wasserfall über die zarten blassen Schultern floss, und ließ ihre Tochter dann allein in ihren selbstgefälligen Betrachtungen.

      * * *

      Endlich war es geschafft: Eleonores seit langem herbeigesehnter, kostbarer freier Nachmittag war da. Der Tag war sonnig angebrochen und schien alle Menschen nach draußen gelockt zu haben.

      Eleonore eilte am Mittag so schnell sie konnte heim, um so viel wie möglich von der Sonne genießen zu können. Sie rannte fast die Treppe hinauf, in die Dachkammer, um sich endlich dem Buch zu widmen, das nun schon seit einigen Tagen unberührt unter ihrem Bett lag. Sie nahm es mit hinunter, wo sie sich nach einem kurzen Plausch mit der Nachbarin aus der ersten Etage im Innenhof auf die Treppenstufen setzte. Wohlig seufzend streckte sie das Gesicht der Sonne entgegen. Die wärmende Kraft schien bis in ihre müden Glieder vorzudringen. Eine Weile verharrte sie so und lauschte mit geschlossenen Augen dem Geschnatter der Kinder, die einige Meter von ihr entfernt im Dreck spielten. Sie würde dieses Buch in vollen Zügen genießen. Aber es musste das letzte sein! Es war doch eindeutig, dass dies zu nichts Gutem führte. Schon jetzt war sie jedes Mal haarscharf an Schwierigkeiten vorbeigeschlittert, wenn sie mit Jacob Bradford gesprochen hatte: Beim ersten Mal hatte sie ihre Arbeit vernachlässigt, beim zweiten Mal war es zu dem unsäglichen Zwischenfall in der regnerischen Nacht gekommen. Immerhin wusste sie nun, warum er sich dort herumgetrieben hatte. Die Erklärung, die sein Freund neulich in der Bibliothek geliefert hatte, klang zumindest plausibel und rückte den jungen Bradford in ihrem Ansehen wieder ein wenig auf den rechten Platz.

      Seufzend, aber voller Vorfreude, schlug sie das Buch auf. Es würde nicht einfach werden, dem eben gefassten Vorsatz treu zu bleiben!

      Es dauerte nicht lange und sie war völlig vertieft in die Lektüre, so dass sie alles um sich herum vergaß. Sie spürte die verspannten Schultern nicht mehr, vergaß den Ärger der letzten Tage und war völlig von den Geschehnissen um Phileas Fogg und seinen Diener Passepartout gefesselt. Sie schaute erst auf, als sich ein Schatten zwischen sie und die Sonne schob. Die kleine Ada stand vor ihr und schaute sie neugierig an. Eleonore lächelte ihr freundlich zu. Sie versuchte, zu der Kleinen immer besonders warmherzig zu sein, denn es schien, als habe es das schmächtige Ding noch schwerer als die anderen. Ihre Mutter verdiente sich ihr Brot damit, dass sie sich an gut oder weniger gut zahlende Freier verkaufte und wohnte mit Ada in einem zugigen, ärmlichen Zimmer, das selbst nach den Maßstäben des Viertels als erbärmlich galt.