Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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sich selbst, aber irrationalerweise auch über ihn: Darüber, dass er hier im Weg stand und dass er sich so offensichtlich über sie amüsierte.

      „Ich muss mich wohl entschuldigen“, kam es da von ihm. Sie nahm den Putzlappen, wrang ihn energisch aus und befestigte ihn dann am Schrubber. Dann begann sie den Boden zu wischen. Sie fragte nicht, ob er seine Räumlichkeiten, nun da er doch im Hause war, eventuell benutzen wollte und sie später wieder kommen sollte.

      „Entschuldigen? Ich wüsste nicht warum.“ Sie sprach ins Leere und sah ihn nicht an, sondern wischte weiter, als ob er nicht zugegen sei.

      „Nun ja, für gewöhnlich halte ich mich an meine Versprechen!“

      Er folgte ihr mit seinem Blick. Als sie nichts erwiderte, sagte er: „Ich bin Ihnen doch eine weitere Bücher-Leihgabe schuldig.“

      Eleonore hielt inne, stütze sich auf den Stiel und sah ihn aus schmalen Augen an. „Schuldig sind Sie mir gar nichts, Sir!“

      „Doch, doch“, widersprach er. „Sagen Sie schon, wonach steht Ihnen der Sinn?“

      „Nach einer dampfenden Tasse heißer Schokolade“, entfuhr es ihr. Sie hatte nicht weiter nachgedacht, die Worte waren unüberlegt über ihre Lippen gekommen. Erschrocken schlug sie sich mit der Hand vor den Mund. Was war denn heute bloß los mit ihr? Das musste das Wetter sein, da konnten die Nerven ja nur blank liegen!

      „Nun“, lachte Jacob Bradford auf, „ich hatte an etwas Literarischeres gedacht, aber wenn Mademoiselle eine Schokolade wünschen, warum nicht?“

      Sie sah ihn forschend an. War da Ironie in seiner Stimme gewesen? Verärgerung? Aber er sah sie in keinster Weise zürnend an. Eine Stimme in ihrem Kopf mahnte sie zur Vorsicht. Man konnte nie wissen, was die Männer im Schilde führten, es war ja mehr als hinlänglich bekannt, dass die feinen Herren sich gerne an Dienstmädchen heran machten. Scharf sog sie die Luft ein. „Nein, danke, Sir“, gab sie schroff zurück.

      Für einen Moment wirkte er vor den Kopf gestoßen. Dann begann er, sie zu necken. „Oh, ich verstehe, Sie müssen Ihrer Arbeit nachgehen. Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht, mit dem was Sie vorhin sagten: Ms Cunningham kann ein echter Drache sein. Und bei dem Saustall, der hier herrscht, ist eine Verzögerung wahrscheinlich nicht vertretbar, Sie wollen ja irgendwann auch fertig werden mit der Arbeit.“ Wieder blitzte es belustigt in seinen Augen. Eleonore hingegen stand der Mund offen. Ihr wurde heiß. Er hatte es doch gehört, jedes einzelne Wort!

      Sie fasste sich nervös an das rechte Ohrläppchen. „Oh Gott, Sir, Sie haben alles… Bitte sagen Sie ihr nichts und bitte...“, sie sah ihn flehentlich an, „…bitte entschuldigen Sie, was Sie gehört haben, das war nur dummes Geschnatter!“

      Er winkte ab. „Na ja, Sie haben eindeutig Recht. Das hier…“, und er zeigte mit einer ausladenden Geste in den Raum, „…ist die Definition eines Saustalls!“

      Eleonore konnte sich nicht helfen und unterdrückte das Grinsen, das sich auf ihr Gesicht stehlen wollte, nur mit Not.

      „Also, wie wäre es, wenn ich Ihnen als Wiedergutmachung eine heiße Schokolade hole? Es muss ja niemand wissen, dass sie für Sie ist“, fügte er schnell hinzu, als er ihren Blick sah, der gleich wieder abweisend wurde.

      „Ich will Ihnen auch nichts Böses“, setzte er noch ernst nach, als ob er ihre Gedanken lesen konnte, und klang dabei leicht angegriffen. „Ich bin auch gleich wieder weg, ich muss nur schnell etwas holen.“

      „Sie sind zu freundlich, Sir“, brachte sie verunsichert hervor. Der Verlauf der Unterhaltung verwirrte sie.

      Er ging zum Schrank, wühlte kurz in der Schublade, holte einen Beutel hervor und ein Florett und ließ sie dann mit ihrer Arbeit allein. Kopfschüttelnd nahm sie den Putzlappen wieder auf.

      Kurze Zeit später war Jacob Bradford zurück.

      „Ich nehme an, Sie mögen Sahne?“ Er stellte das mehr fest, als dass er sie fragte, und platzierte eine dampfende Tasse auf seinem Schreibtisch. Als sie protestieren wollte, sagte er schlicht: „Sagen Sie Sally einfach, dass der faule, unordentliche Bengel seine Tasse, so wie alles andere auch, in der Gegend rumstehen lassen hat!“

      Man sah ihm an, dass er sich fast diebisch über diesen Schabernack freute. Er legte ein Buch neben die Tasse und dreht sich schließlich zum Gehen.

      „Viel Spaß beim Lesen“, hörte sie noch, als er schon auf den Gang trat. Sie starrte die Tür an, die hinter ihm ins Schloss gefallen war. Was war denn das nun bloß gewesen? Das war doch wohl ein Scherz? Nahm er sie auf den Arm?

      Aber er hatte zwar den üblichen Schalk im Nacken gehabt, ansonsten war er jedoch völlig ernst gewesen. Sie wagte einen Blick auf das Buch.

      „Reise um die Erde in 80 Tagen“.

      Es sah sehr neu aus, so als ob es erst ein-, zweimal gelesen worden sei.

      Während sie auf den Umschlag starrte, stieg ihr der verführerische Duft des Kakaos in die Nase. Es war sehr lange her, dass sie das letzte Mal in den Genuss gekommen war. Genau genommen hatte sie erst ein einziges Mal etwas so Teures gekostet. Aber an den Geschmack erinnerte sie sich ganz genau. Sehr behutsam nippte sie an der Tasse. Welch eine Wohltat an diesem grauen Tag! Die weiche Sahne umschmeichelte ihre Lippen, die Flüssigkeit rann wohltuend und samtig ihre Kehle hinab.

      So musste sich wahre Glückseligkeit anfühlen!

      * * *

      „Kommst du heute Abend mit in den Club?“, erkundigte sich Thomas, während er einen Angriff von Jacob geschickt parierte.

      Thomas konnte ihm beim Reiten nicht das Wasser reichen, aber beim Fechten musste Jacob neidlos eingestehen, dass er in Können und Geschicklichkeit weit hinter dem Freund stand.

      „Harvey Connor wird seinen Geburtstag feiern. Das wird eine große Sache.“ Thomas zwinkerte ihm zu. Jacob wusste genau, was mit der „großen Sache“ gemeint war. Erst würde man sich zu Zigarren und Brandy und gepflegter Unterhaltung im Gentlemen’s Club treffen, damit die Altvorderen sahen, dass sich ihre Nachfolger auch zu benehmen wussten. Zu späterer Stunde ging es dann mit Sicherheit in eines der gewissen Etablissements, eine Tatsache, die den alten Herren natürlich völlig klar war, auch sie waren ja einmal jung gewesen.

      Thomas sah Jacobs zweifelnden Gesichtsausdruck und nutzte dessen kurze Unaufmerksamkeit für einen Angriff: „Touché!“

      „Du weißt, dass ich Connor nicht ausstehen kann...?“

      „Mag sein, aber seine Partys sind die besten...“

      „Na ja, ich finde, sie ufern immer etwas aus, meinst du nicht?“

      Thomas rollte die Augen. „Nun sei doch nicht so ein Spielverderber! Und wann warst du denn das letzte Mal so richtig aus? Ich meine „richtig“?“

      Thomas brauchte nicht weiter zu spezifizieren, was er damit implizierte. Er nahm die Fechtmaske ab, klopfte Jacob freundschaftlich auf die Schulter und ging in die Umkleideräume, nach links und rechts grüßend, denn um diese Zeit wimmelte es hier von gleichaltrigen Bekannten.

      Jacob ließ sich auf die Bank fallen. Ihm waren die unvermeidlichen Besuche in einem der „Etablissements“, in denen solche Abende immer endeten, nie ganz angenehm. Natürlich, zur Befriedigung von gewissen Gelüsten war es ausgezeichnet, da er nicht zu jenen gehörte, die sich das Recht herausnahmen und am Personal vergriffen. Aus seiner Sicht sollte diese Sache freiwillig passieren, oder, wie in den Bordellen üblich, mit finanzieller Gegenleistung. Und die war, zumindest in den Einrichtungen, in denen er und seine Freunde Gäste waren, mehr als großzügig, den Damen ging es gut dort. So fühlte er sich zwar nie ganz wohl dabei, aber ein schlechtes Gewissen hatte er nicht direkt. Manchmal jedoch drängte sich ihm die Frage auf, wie es wäre, wenn bei der Sache nicht nur die Befriedigung von Lust im Spiel wäre, sondern auch noch Gefühle.

      Aber wahrscheinlich passte beides gar nicht zusammen, die Liebe und die Triebe.

      Er folgte Thomas, erfrischte sich und zog sich um.