Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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in dem sie heute noch lebten. Tante Mary war herzensgut, aber sie musste selbst sehen, wie sie mit ihren vier Kindern über die Runden kam. Das Geld, das ihr Mann Wilbur als Kutscher nach Hause brachte, reichte gerade so, mehr schlecht als recht. Und trotzdem hatte sich Mary nach Kräften bemüht, den unerwarteten Familienzuwachs so gut es eben ging willkommen zu heißen, man improvisierte einfach ein bisschen mehr als sonst. Aber es war die Freundschaft zu Jane gewesen, welche damals in der schäbigen Mietskaserne auf der anderen Seite des Hofs wohnte, die Eleonore hatte heimisch werden lassen. Jane hatte alles über das Viertel gewusst, wer wo wohnte, vor wem man sich in Acht nehmen musste, wie man sich durchs Leben schlug – kurzum, die aufgedrehte Jane und die stille Eleonore waren bald zu einem unzertrennlichen Gespann geworden.

      Als Eleonore nun in ihre Gedanken versunken die Türe zur Bibliothek endlich sachte schloss und sich herumdrehte, wäre sie beinahe mit Jacob Alexander Bradford zusammengestoßen. Dieser kam soeben die mit rotem Teppich ausgelegte Treppe herabgeeilt, welche die im ersten Geschoss gelegenen Wohnräume mit den repräsentativen Zimmern im Erdgeschoss verband. Er war nun für den Empfang gekleidet, der dunkelgraue Anzug saß wie maßgeschneidert. Wahrscheinlich war er das auch, etwas anderes würde ein Bradford wohl nicht tragen. Wieder hatte er dieses verschmitzte Lächeln auf dem Gesicht, das sich bis in die Augen fortzusetzen schien. Als sie einen Knicks andeutete, um dann in die Küche zu laufen, sprach er sie an.

      „Eleonore, gut dass ich Sie noch antreffe.“

      Verwundert und fragend sah sie auf.

      Er senkte die Stimme, schaute sich verschwörerisch um und wisperte dann geheimnisvoll: „Ich habe eine Idee.“

      * * *

      Die Kristallgläser klangen leise, als man sich bei Tisch zuprostete, das Silberbesteck glänzte und spiegelte den Schein der Kronleuchter wider. Das vornehme, wohltemperierte Stimmengewirr der Abendgesellschaft lag darüber: Der Empfang der Familie Bradford war in vollem Gange. Man befand sich in intimer Runde, nur etwa dreißig Gäste.

      Jacob beobachtete wie immer scharf und nicht ohne eine Spur Zynismus: Da war seine Mutter, Mrs Harriet Augusta Bradford, geborene Clark, die stets so viel Wert auf die richtige Etikette legte. Sie unterhielt sich hinter behandschuhten Fingern mit Mrs Doyle, von der es hieß, sie habe Verbindungen zum königlichen Hof. Niemand wusste aber genauer, wie diese im Detail aussahen.

      Sein guter Freund Thomas Grantham war gegenüber tief in das Gespräch mit einer Schönheit versunken, es musste die Nichte von Mrs Doyle sein, und er selbst hatte die wohlerzogene und auch sehr hübsche Isabell Taylor als Tischdame. Ihr Vater vertrat als Politiker die Interessen der Wohlhabenden. Sie trug eine imposante grünschimmernde Robe, die ihren hellen Teint unterstrich und wodurch ihr rotes Haar, das zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt war, besonders zur Geltung kam. Ein hinreißender Anblick, jedoch wirkte das grazile Geschöpf auf ihn arrogant und von aufgesetzter Freundlichkeit, wie stets.

      Bisher war das Gespräch in den üblichen Bahnen verlaufen und er begann, sich trotz ihrer nicht zu übersehenden optischen Reize zu langweilen. Was war nur los mit ihm? Thomas neckte ihn oft und behauptete, die Frau, die Jacobs Herz für sich gewinnen würde, müsse erst noch erschaffen werden, so wählerisch, wie er sich stets gab. Sicher, attraktiv waren viele, aber bisher war Jacob tatsächlich noch keine begegnet, die sein ehrliches Interesse, das über rein äußerliche Reize hinausging, auf Dauer hätte wecken können. Thomas dagegen schien ständig auf Freiersfüßen unterwegs zu sein: Heute war er bis über beide Ohren in die hübsche Tochter der Montgomerys verliebt, morgen schon war es die liebreizende Ellen Leigh. Nichts davon war jedoch ernst zu nehmen...

      Erleichtert atmete Jacob auf, als sein Vater in der Rolle des Gastgebers die Herren in die Bibliothek zu Brandy und Zigarren rief und die Damen sich zum Tee und Plauderei über weiß Gott was zurückzogen.

      „Na, du alter Herzensbrecher!“ Er stieß Thomas freundschaftlich den Ellenbogen in die Seite.

      „Hast du sie gesehen?“, wisperte der. „Ein wahrer Engel!“

      Jacob gab scherzhaft zurück: „Ja, genauso wie letzten Monat Catherine, davor Olivia Sophie und ach, die verehrenswerte Flora...“

      „Du hast einfach keine Ahnung“, parierte sein Freund unbeeindruckt. „Aber ich bin sicher, dass die gute Isabell dich auch noch überzeugen wird.“

      Jacob sah den Freund skeptisch an. „Wie meinst du das?“

      „Ach, man hört so dies und das, mein Bester...“

      „Du weißt, ich gebe nichts auf Tratsch“, gab Jacob leicht alarmiert zurück.

      * * *

      Eleonore erklomm die enge Stiege zu der kleinen und zugigen Kammer, die sie mit der Mutter teilte. Sie hielt das Buch wie einen kostbaren Schatz fest an die Brust gedrückt.

      Sie hatte nur schnell bei Tante Mary hereingeschaut und eine gute Nacht gewünscht.

      Die Mutter würde heute Abend bei einem großen Ball die Küche ihrer Herrschaften versorgen und nicht vor den frühen Morgenstunden zurückkehren. So konnte sich Eleonore einem vergessen geglaubten Luxus hingeben: Lesen.

      Vorsichtig strich sie über den Einband aus Leder, fuhr mit den Fingern die Lettern auf dem Buchrücken nach. „Viel Lärm um nichts“ stand darauf, in geschwungener Schrift. Ihr Herz klopfte. Das war Jacob Alexander Bradfords Plan, den er ihr heute Abend vor dem Empfang so konspirativ mitgeteilt hatte, als handele es sich um ein Staatsgeheimnis: Da er in ihrem kurzen Gespräch erfasst haben musste, dass sie Bücher über alles liebte, aber nicht die Mittel hatte, sich selbst welche zu leisten, wollte er sie heimlich aus der Familienbibliothek bedienen. Sie hatte gezögert, aber das Angebot war zu verlockend gewesen. Kurz fragte sie sich, warum er das tat. Sie war ein einfaches Dienstmädchen, für die meisten seines Standes war sie im besten Falle Luft.

      Sie streifte das Kleid ab, wusch sich schnell und schlüpfte in ihr Nachthemd. Das Bett war eiskalt. Sie schlug vorsichtig das Buch auf und schon merkte sie nichts mehr davon, dass sie von früh bis spät geschuftet hatte, nichts von ihren kalten Füßen, nichts vom Hier und Jetzt. Sie las wie gebannt, schlug fieberhaft Seite für Seite um, merkte nicht, wie die Stunden verstrichen. Als sie die Augen irgendwann nur noch mit aller Anstrengung aufhalten konnte, legte sie das Buch schließlich widerwillig fort, drehte sich wohlig seufzend zur Seite und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

      * * *

      Am nächsten Morgen lag das Bradfordsche Anwesen ruhig da. Bis auf die Dienstboten war niemand auf den Beinen.

      Eleonore war völlig übernächtigt, aber sie fühlte sich trotzdem lebendig, ihr Geist schien so wach wie lange nicht mehr. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie dieses Gefühl vermisst hatte.

      Sie half bei den Frühstücksvorbereitungen, war dabei aber in Gedanken bei dem Gelesenen. Als Kate, eines der Dienstmädchen, die schon seit Jahren im Haushalt dienten und im obersten Geschoss unter dem Dach im Gesindebereich ihre Zimmer hatten, den gestrigen Abend erwähnte, hörte Eleonore nicht weiter auf das Geplänkel. Sie horchte aber auf, als Kate, die zu allem eine Meinung zu haben schien und damit auch nie hinterm Berg hielt, auf Jacob Alexander Bradford zu sprechen kam.

      „Ich weiß ja nicht, was bei dem Burschen verkehrt läuft. Da sitzt er neben der reichen und schönen Isabell Taylor – ihr hättet sie sehen müssen, wenn ich einmal so zurecht gemacht sein könnte... wie eine Prinzessin…“ Sie klimperte mit den roten Wimpern, was die anderen mit lautem Gelächter quittierten. „…und er guckt gelangweilt in der Gegend umher. Versteh einer die Männer. Wer den wohl mal nehmen wird? Eine Dame will doch unterhalten werden! Aber wahrscheinlich macht sein Vermögen sein durchschnittliches Aussehen und seine langweilige Art wieder wett.“

      Eleonore sah überrascht auf. Sie war Jacob Alexander Bradford nun erst zweimal begegnet, aber langweilig wäre das letzte Wort gewesen, das ihr zu ihm eingefallen wäre. Wie kam Kate darauf? Niemand sonst schien über diese Äußerung verwundert.

      „Na, Eleonore, träumst du auch davon, mal an einer herrschaftlichen Tafel Platz zu nehmen?“, fuhr die Köchin Sally sie etwas unwirsch an. „Wenn