Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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auch, aber sein Herz und damit vor allem seine Freiheit verschenkte er nicht so leicht. Abgesehen davon, dass er einfach noch Keine getroffen hatte, die ihn ehrlich faszinierte, deren Wesen er ergründen wollte, für die er im Ansatz empfand, wie es Shakespeare beschrieb, war ihm dieses Unterfangen schlichtweg zu riskant. Die Mutter würde beim ersten Aufkeimen eines noch so leisen Anzeichens einer Zuneigung sofort – vorausgesetzt es handelte sich um eine akzeptable Partnerin – alles in die Wege leiten, daraus mehr zu machen. Und er sah ja täglich, was aus einer Ehe werden konnte, die auf ein kleines Lodern am Anfang und ansonsten vor allem auf Zweckmäßigkeit für die jeweiligen Familien gegründet war. Einer Ehe, in der die Partner sehr schnell noch nicht einmal mehr Respekt füreinander aufbrachten, sondern nur nach außen hin den Schein wahrten.

      Ihn hatte die Situation seiner Eltern allerdings wenig belastet. Seine Erziehung war in jungen Jahren von Gouvernanten übernommen worden, die ihm mehr Muttergestalt gewesen waren als seine eigene. Den Vater hatte er stets mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Bewunderung von Ferne wahrgenommen. Als er älter wurde, war er auf das Internat geschickt worden, um die bestmöglichste Ausbildung und Vorbereitung für die Universität zu bekommen…

      Sein Vater zog nun eine Grafik hervor, in der die Ergebnisse des letzten Monats dargestellt waren.

      „Nun?“ Er sah Jacob erwartungsvoll an. Der zupfte an dem feinen Stoff seines Anzuges, geschneidert bei einer der besten Adressen der Stadt – wo auch sonst?

      „Vater, ich bin der Meinung, dass die Produktivität am Dock im Februar so drastisch zurückgegangen ist, weil wir diese Grippewelle zu verzeichnen hatten. Das traf vor allem die Arbeiter.“

      „Aber die, die ausfielen, haben wir doch kurzfristig durch neue ersetzt. Du weißt, dass es nie ein Problem ist, in den Docks Arbeiter zu finden.“

      „Das schon, Vater. Aber bedenke, dass die Abläufe bei uns etwas vom Standard abweichen, durch die Beschaffenheit der Waren und die Lageranforderungen. Ein ungelernter Arbeiter kann das nicht wissen, muss sich erst einfinden. Außerdem arbeiten viele lieber bis sie umfallen, anstatt ihre Grippe vernünftig auszukurieren, aus Angst vor Lohnverlust. Das drückt alles die Produktivität!“

      Sein Vater strich nachdenklich über seinen grau werdenden Backenbart.

      „Und was ist deine Schlussfolgerung, Jacob?“

      Dieser atmete tief durch. Jetzt kam der heikelste Part. „Wir sollten für die Arbeiter eine Art Krankenversicherung einrichten. Was nützt es uns, wenn sie sich jeden Tag halb tot zur Arbeit schleppen, aus Angst, Lohn oder gar die Stelle zu verlieren, dadurch aber ihre Leistungsfähigkeit rapide abnimmt und wir dann am Ende doch gezwungen sind, ungelernte Arbeiter anzuheuern?“

      Jacob beobachtete, wie sich die Stirn des Vaters in Falten legte. Man konnte förmlich sehen, wie es dahinter arbeitete. Er wusste, dass er Frederick Bradford am ehesten über die Aussicht auf Profitoptimierung für seine Idee gewinnen könnte.

      „Wenn man die zwei Szenarien einmal durchrechnet...“ Er nahm einen Bleistift und skizzierte schnell und geschickt mithilfe von Modellannahmen die Eckpunkte seiner Überlegungen.

      Als er geendet hatte, sah er, dass der alte Bradford nicht vollends überzeugt war. Er schien die Idee jedoch auch nicht per se abzulehnen.

      „Denk einfach in Ruhe darüber nach, Vater!“

      Da klopfte es an der Tür.

      Jacob sah auf. „Das wird Thomas sein, wir sind zum Lunch verabredet.“ Er schob seinen Stuhl zurück. „Vater?“

      „Ja, geh du nur. Ich werde hier noch etwas fortfahren.“ Mit einer zerstreuten Geste winkte der Vater ihn hinaus.

      * * *

      „Ein Brief für dich, Eleonore, aus Amerika!“

      Müde schob ihre Mutter den Umschlag herüber und lächelte sie an.

      „Wie geht es dir, mein Herz? Wir sehen uns dieser Tage ja kaum. Wie gefällt dir die neue Stellung? Sind die anderen nett?“

      Eleonore brannte vor Ungeduld, den Brief von Jane zu öffnen. Deshalb gab sie, schuldbewusst darüber, dass sie sich nicht mehr Zeit nahm, mit der Mutter zu plaudern, eine kurze Zusammenfassung. Die Begegnung mit dem jungen Bradford ließ sie unerwähnt.

      „Du willst den Brief lesen, ich merke schon“, stellte ihre Mutter fest und zog ihr zerschlissenes, kariertes Umhängetuch um sich. „Ich gehe runter zu Mary, dann hast du deine Ruhe.“

      „Danke, Mutter.“ Eleonore senkte den Blick. Das schlechte Gewissen meldete sich leise zu Wort.

      Als sie aber die Schritte auf der Stiege hörte, riss sie ungeduldig den Umschlag auf.

      New York im Februar 1874

       Meine liebe Eleonore,

       nun is es wieder höchste Tseit, das ich mich bei dir melde.

      Eleonore lächelte. Sie hatte Jane Schreiben und Lesen beigebracht, aber vollends hatte diese es nie zu beherrschen gelernt. Immerhin genug, um Briefe auszutauschen! Sie schrieb sehr klein und eng, um Papier zu sparen, so dass es an einigen Stellen schwierig wurde, den Bericht aus der Neuen Welt zu entziffern.

       So viel ist in der Tswischenzeit pasiert:

       Ich habe Anstellung in einem guten Haushalt gefunden und die Herrschaften sind gut. Der Alte krabbscht manchmal, aber es is nicht weiter schlimm und Du kennst mich ja, ich kann mich wehren.

      Jane hatte nach der Ankunft in New York, als es galt schnell Fuß zu fassen, zuerst in einer Fabrik gearbeitet. Nun schien sie es geschafft zu haben, an eine ruhigere Stellung zu kommen.

       Es ist ein schönes Haus, sehr groß. Und stell dir vor, Dir kann ich es ja erzählen, ich glaub, ich bin verliebt. Es gibt da diesen Jungen, er bedient die Herrschaften bei Tisch und erst hat er mich gar nicht wahrgenommen. Du müsstest ihn mal sehen, meine liebe Eleonore. Er schaut wahnsinnig gut aus. Er ist kaum viel älter als ich, 20 wird er, und die anderen Mädchen sagen, dass alle immer für ihn schwermen. Nun hats mich erwischt. Er heisst William und stell dir vor, er ist hier geboren, in Amerika!

       Ich hab ihn dann die ganze Tseit nur aus der Ferne angeschmachtet. Und dann sind wir mal im Treppenhaus zusammengestoßen. Er hatte nen großen Krug Wasser dabei und der is dabei zu Bruch gegangen. Mein Rock war ganz nass gewesen. Das war ihm furchtbar peinlich (er is nemlich wirklich schüchtern, und mergt gar nich, dass alle Mädchen ihm schöne Augen machen wollen). Ich hab dann nen Witz gemacht, Du kennst ja mein loses Mundwerk.

       Und dann hab’ ich ganz keck gesagt, er könnte mich ja mal auf eine Limonade einladen, tsum Ausgleich. Da isser ganz rot geworden und hat gesagt, dass er das sehr gerne machen würde.

       Und dann sind wir am nächsten freien Nachmittag zusammen losgetsogen. Wir waren dann in diesem grosen Park, den es hier gibt, Central Park. Die bauen schon seit Jahren daran, so gross isser. Es war wirklich kalt, aber das hat nix ausgemacht, denn ums Herts war mir die gantse Tseit warm.

       Ich will nicht so viel Papier veschwenden, ach wärst Du nur hier, dann könnt ich dir die gantse Geschichte ertsählen. Manchmal sage ich zu Richard oder Mum, wie toll es wäre, wenn Du auch hier wärst.

       Schreib mir, es gibt hier viele Möglichkeiten, so wie wir uns das immer ausgemalt haben. Komm mit deiner guten Mama zu uns, das wäre doch famos. Ich hör mich um, Du bist doch so blitsgescheit, wir finden was. Und es gibt so viel zu sehen hier. So viele Leute – stell dir vor, von überall her. Mir kommt es manchmal vor, als ob auf einem kleinen Fleck gants Europa versammelt wär.

       Manche sprechen noch nicht mal Englisch. Und es gibt auch noch eksotischere Menschen: Chinesen tsum Beispiel. Ich finde es immer noch gants unglaublich.

       Aber genug von mir, wie geht es dir? Bist Du vielleicht auch verliebt? Gibt es jemanden, auf den Du ein Auge geworfen hast, mein scheues Reh?