Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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hätte sie darum gegeben, weiter lernen zu dürfen!

      Seufzend schüttelte sie die dunklen Gedanken ab und nahm einen Band Shakespeare zur Hand. Einen kurzen Blick könnte sie sicherlich wagen. Der vertraute und geliebte Geruch eines alten, vielfach gelesenen Buches schlug ihr entgegen, als sie es vorsichtig aufblätterte. Und ehe sie sich versah, stand sie mit den Hexen auf der Heide, kam mit Macbeth aus dem Kampf zurück, sah den Dolch, der unheilvoll und blutbefleckt in der Luft schwebte.

      „Mir scheint, da ist etwas faul im Staate Dänemark“, hörte sie da eine dunkle Stimme hinter sich. Sie zuckte zusammen, ließ vor Schreck fast das Buch zu Boden fallen. Bang drehte sie sich herum, nur um in die dunklen Augen des Sohnes ihres Dienstherrn zu blicken: Jacob Alexander Bradford. Ein verschmitzter Ausdruck lag auf seinen Zügen.

      „Sir, ich ...“, setzte sie an.

      Grinsend, mehr wie ein Schuljunge als der Erbe des Bradfordschen Familienunternehmens, stand er vor ihr. Sie hatte ihn schon ein- oder zweimal von Weitem gesehen, ein hochgewachsener Bursche. Er musste ein paar Jahre älter sein als sie. Sein freundlicher Blick ruhte nun auf ihr.

      „Ein Shakespeare lesendes Dienstmädchen sieht man auch nicht alle Tage!“, stellte er schlicht fest. Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme. Er strich sich eine dunkle Strähne aus der Stirn.

      „Nun...“ Sie räusperte sich. Ihr war vollkommen bewusst, dass die Situation eine schnelle Entschuldigung erforderte, aber etwas an seiner Bemerkung hatte ihren Kampfgeist geweckt. Das konnte sie nicht auf sich sitzen lassen, seine leichtfertige Aussage hatte eine Saite in ihr zum Klingen gebracht.

      „Sir, vielleicht überrascht es Sie, das zu hören, aber ich habe mich mit Shakespeare befasst, bevor ich überhaupt lesen konnte! „Ein Sommernachtstraum“ zum Beispiel ist eine wunderbare Märchengeschichte auch für Kinder, wenn man gewisse Ebenen der Handlung außer Acht lässt!“

      Sie funkelte ihn fast trotzig aus ihren grünen Augen an und gleichzeitig stieg ihr die Röte in die Wangen. Ihr war nicht bewusst, dass sie dadurch ein liebenswürdiges Bild abgab.

      Jacob Alexander Bradford zögerte kurz und zog erstaunt eine Augenbraue hoch, offensichtlich überrascht über diese unerwartete Art der Antwort.

      „Ich wollte Ihnen den guten William gar nicht abspenstig machen“, entgegnete er beschwichtigend. „Ich selbst sage immer, dass er heutzutage viel zu wenig gewürdigt wird. Als Kinderlektüre allerdings habe ich ihn bisher nie betrachtet. Eine interessante Idee!“

      Eleonore hielt die Luft an. Sie hatte ihre Arbeit vernachlässigt und wurde dafür noch mit einem Gespräch über Literatur belohnt? Das musste ein Traum sein, und was für ein merkwürdiger! Aber hier stand sie und erörterte das Werk des großen Dichters, als ob es erst gestern gewesen sei, dass sie das letzte Mal einen Shakespeareband, ein Buch gar, in der Hand gehabt hätte. Und als ob es völlig selbstverständlich sei, mit dem Sohn des Hauses über Shakespeare zu plaudern!

      Als ihr die Unmöglichkeit der Situation vollends bewusst wurde, stockte sie und hielt die Erwiderung, die ihr schon auf der Zunge gelegen hatte, zurück. Verlegen strich sie über den groben Stoff ihres Rockes.

      „Ich denke, ich sollte nun wieder zurück an die Arbeit gehen, entschuldigen Sie bitte, Sir.“

      Jacob Alexander Bradford löste den Blick nur langsam von ihr und verabschiedete sich dann.

      „Es war mir ein wahres Vergnügen, verehrte Shakespeare-Bewunderin“, sprach er mit einem unüberhörbaren Schalk im Nacken.

      „Verratet Ihr mir noch Euren Namen?“, erkundigte er sich dann nach einem kurzen Augenblick. Eleonore hatte sich schon wieder den Büchern zugewandt. Eine feine Röte überzog ihr Gesicht erneut, als sie ihm ihren Namen nannte: „Eleonore Williams, Sir.“

      * * *

      Jacob Alexander Bradford stieg nachdenklich die Treppe zu seinen Räumlichkeiten hinauf. Das große Stadthaus der Familie war mit allen denkbaren Annehmlichkeiten ausgestattet. So wie auch sein Alltag mit allem Komfort gesegnet war, den das Leben mit sich brachte, wenn man mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund geboren wurde. Was man von dem lesehungrigen Dienstmädchen sicherlich nicht behaupten konnte... Er schüttelte ungläubig den Kopf. Ihn hatte dieser kurze Gedankenaustausch inspiriert, umso mehr, als dass er völlig unerwartet gekommen war. Viel zu selten traf er auf Gesprächspartner, mit denen ihm die Konversation wirklich Freude bereitete, ging es doch zu oft nur um die Geschäfte, den Tratsch und andere gesellschaftliche Wichtigtuerei. Und nun hatte ihn doch tatsächlich dieses Mädchen, das er zum ersten Mal im Haus sah, zu einem Wortgefecht herausgefordert. Er fragte sich, woher sie sich mit Shakespeare auskannte.

      Gedankenverloren legte er die Sportkleidung ab und erfrischte sich für den anstehenden Abendempfang.

      Es würde sich wieder um die ewig selben Themen drehen, was auch sonst. Und er müsste als einziger Sohn und großer Stolz seiner Eltern einen guten Eindruck hinterlassen, schließlich würde er einmal die Leitung des Familienunternehmens übertragen bekommen. Es war ihm bewusst, dass Viele mit ihm hätten tauschen wollen. Ihn beschlich ein schlechtes Gewissen wegen seiner Undankbarkeit, aber hin und wieder, er nannte das seine philosophischen Momente, engte ihn die Vorstellung ein, diesen genau vorgezeichneten Weg gehen zu müssen.

      Die Übernahme der Unternehmensleitung, die ihm irgendwann bevorstand, bereitete ihm kein allzu großes Kopfzerbrechen, war er ja schon seit eh und je darauf vorbereitet worden. Seine ganze Ausbildung war danach ausgerichtet gewesen, er hatte das nie in Frage gestellt. Und dann würde er einer Tochter aus gutem Hause die Hand zur Ehe reichen...

      Wenn er sich allerdings die potentiell in Frage kommenden Damen ansah, hegte er wenig Hoffnung darauf, dass er einmal auf eine treffen würde, für die seine Gefühle entflammen und die er aus tiefster Seele lieben könnte. Es schien so, als ob alle jungen Mädchen dazu erzogen wurden, möglichst inhaltsleere Unsinnigkeiten von sich zu geben. Warum schienen sie alle ihr Lebensziel darin zu sehen, bloß die Zierde an der Seite ihrer Männer zu werden, nur um dann ihre Töchter ebenso zu erziehen?

      Er wusste, dass einige von ihnen durchaus zu einer sinnvollen, interessanten Diskussion in der Lage gewesen wären, natürlich! Aber ihnen war es einfach nie beigebracht worden, man hatte ihr Interesse daran nie geweckt. Vielleicht hatte man ihnen eingetrichtert, dass es unschicklich sei.

      Nun ja, er würde auch diesen Empfang hinter sich bringen, vielleicht konnte er ja eine der Damen doch zu einem inspirierenden Gespräch verleiten, sein Vorurteil berichtigen.

      Während er sein krauses Haar mit Pomade zu bändigen versuchte, kam ihm ein Gedanke, der den bevorstehenden Abendempfang weniger lästig erscheinen ließ. Denn vorher würde er noch eine gute Tat vollbringen. Er grinste sein Spiegelbild an.

      * * *

      Eleonore hatte sich mittlerweile ihren Weg von Shakespeare zu den alten griechischen Philosophen gebahnt.

      Darüber war es dunkel geworden. Zeit für sie, in die Küche zurückzukehren. Es würde einen Abendempfang geben und sie sollte bei den letzten Vorbereitungen helfen. Schweren Herzens ließ sie diese kleine Oase des Wissens zurück. In der Küche herrschte stets eine hektische Betriebsamkeit, und nach den ruhigen Stunden, die sie still und gedankenversunken in der Bibliothek verbracht hatte, würden ihr nun regelrecht die Ohren sausen.

      An der Flügeltür blieb sie noch einmal stehen und warf einen wehmütigen Blick zurück auf die Bücher. Fast wünschte sie sich, den Abend hier bleiben zu können. Ach, wenn sie ihre Gedanken, die durch so viel angehäuftes Wissen bei ihr hervorgerufen wurden, mit jemandem teilen könnte. Ein Lächeln umspielte kurz ihre Lippen, als ihr das Gespräch mit dem Sohn des Hauses wieder einfiel. Sie würde Jane von dieser merkwürdigen Begegnung schreiben. Lebhaft sah sie die Freundin vor sich, obwohl es nun schon ein Jahr her war, dass sie einander Lebewohl hatten sagen müssen. Sie schafften es nur sehr unregelmäßig, Briefe auszutauschen. Die Post nach Amerika war so lange unterwegs, die Briefmarken teuer.

      Als sie damals als eingeschüchtertes Landei, noch ganz verstört vom Tod des Vaters, mit der Mutter in der lauten, chaotischen Stadt angekommen