Kristina C. Stauber

Das Leuchten der Sterne in uns - Teil Eins: Aufbruch


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bekam einen nicht unfreundlichen, aber schmerzhaften Klaps und wurde so aus ihren Gedanken zurück in die hektische Betriebsamkeit der Küche geholt.

      Nachdem die ersten Vorbereitungen des Tages abgeschlossen und dünner Tee und Brot als karges Frühstück an alle ausgegeben worden waren, wurden die restlichen Aufgaben verteilt.

      „Joanna, Kate und Ann, bei euch das Übliche“, kam der gestrenge Ton der Hausdame Ms Cunningham. „Das neue Mädchen, wie heißt du noch gleich?“ Die Habichtaugen von Ms Cunningham bohrten sich in ihre.

      „Eleonore, Ma’am“, gab sie schüchtern zurück.

      „Eleonore, richtig. Du setzt deine gestrige Arbeit fort. Ich hoffe, ich kann mich darauf verlassen, dass du sie heute beendest.“

      „Ja, Ma’am“, knickste Eleonore und beeilte sich, in die Bibliothek zurückzukehren.

      Kalter Zigarrenrauch, der noch in dicken Schwaden vom gestrigen Abend in der Luft hing, stieg ihr dort in die Nase. Sie musste husten und öffnete vorsichtig die großen Fenster, bevor sie sich wieder ans Werk machte.

      „Ah! Miss Eleonore“, hörte sie da die dunkle Stimme ihres Mitverschwörers. „Guten Morgen“, grüßte er freundlich.

      Sie sah erfreut von der Arbeit auf. „Oh, guten Morgen, Sir. Ich muss mich bei Ihnen bedanken! Ihretwegen hatte ich eine ausgesprochen selige Nacht“, sprudelte es aus ihr heraus, während sie hastig knickste.

      „So?“ Er zog amüsiert und leicht anzüglich die Augenbraue hoch, was ihr in ihrer Begeisterung aber entging.

      „Ja, es war wunderbar, wieder einmal ein Buch zu lesen. Ich habe darüber sogar eine ganze Kerze verbraucht…“ Sie verstummte, denn es kam ihr lächerlich vor, dem reichen Erben einer der großen Familien Englands zu erzählen, dass sie sogar am Licht sparen mussten.

      „Ich habe das Buch schon wieder zurück gestellt...“ Sie knickste erneut und wollte sich wieder der Arbeit zuwenden.

      „Nun ja, wissen Sie, wenn es Ihnen so viel Freude macht, dann bedienen Sie sich doch einfach weiterhin aus dem vielfältigen Bestand.“ Er machte eine ausladende Geste, die den ganzen Raum einschloss.

      „Sir, das wäre...“

      Wann hatte das letzte Mal einer der Herrschaften so freundlich mit ihr gesprochen? Ja, nicht nur gesprochen, ein richtiges Gespräch gar geführt, so wie gestern, als er mit ihr Shakespeare diskutiert hatte. Ein Lächeln, unbemerkt von ihr selbst, breitete sich über ihr Gesicht.

      „...wundervoll?“, beendete er ihren Satz und erwiderte ihr Lächeln mit einem Grinsen.

      „Aber ich kann mich unmöglich einfach aus der Bibliothek bedienen, wie würde das aussehen?“, warf sie ein, während sich eine plötzliche Aufregung in ihr breit machte.

      „Jacob Alexander, wo steckst du?“, durchbrach da die grelle Stimme von Mrs Bradford ihre Unterhaltung, bevor er antworten konnte. Eleonore hob schnell den Staubwedel, um sich wieder den Büchern zuzuwenden. Sie würde wirklich vorsichtiger sein müssen! Sie durfte nicht einfach ihre Arbeit vernachlässigen und die Stellung gefährden, nur weil der Sohn des Hauses sich dazu herabließ, mit ihr, der einfachen Dienstmagd, Konversation zu betreiben und ihr Bücher versprach.

      Der junge Bradford nickte ihr kurz zu und trat dann schnell aus der Bibliothek in den Gang, seiner Mutter entgegen. Ihre Stimme hatte einen leicht hysterischen Klang, wie bei jemandem, der stets überreizt ist.

      „Jacob, mein Lieber, gut dass ich dich finde.“

      Die Stimmen entfernten sich und Eleonore konnte nicht verstehen, worum es ging. Sie streckte ihren schmerzenden Rücken. Was interessierte sie es auch, worüber sie sprachen? Sie wollte nicht das neugierige Dienstmädchen sein, das sich in die Angelegenheiten der Herrschaften mischte. Sie hatte andere Sorgen.

      * * *

      „Schau, wer uns beehrt, Jacob.“

      Mrs Bradford zog Jacob Alexander in den Salon. Dort saßen mit erwartungsvollen Gesichtern zwei Damen, auf deren Anwesenheit er gerne verzichtet hätte.

      „Mrs Taylor, Ms Taylor, sehr erfreut“, grüßte er und deutete bei Mutter und Tochter jeweils einen Handkuss an.

      „Mr Bradford“, hauchte Ms Taylor mit gekonnt keusch-kokettem Blick. „Ich war ja so ungeschickt und habe gestern meinen Fächer hier vergessen!“ Sie wedelte damit vor seinen Augen herum, so dass sein Blick unweigerlich auf ihr vornehm blasses Dekolleté gelenkt wurde, schlug dann geschickt den Fächer auf und ließ ein kleines, perlendes Lachen hören.

      „Vielleicht möchtest du Mrs Taylor und Ms Taylor und mich etwas beim Spaziergang im Park begleiten, nun da sich einige Sonnenstrahlen zeigen?“, schlug Mrs Bradford vor.

      „Ja nun, ich...“, setzte er an.

      „Jacob Alexander!?“ Mrs Bradford schaute ihn scharf an, in einem einzigen Blick von ihr lagen die wohlbekannten Ermahnungen: „Sei höflich, sei anständig, sei zuvorkommend, sei repräsentativ, denk an den Familiennamen, mach mir keine Schande…“ und so weiter. Er kannte sie alle zur Genüge.

      „Natürlich, Mutter, nichts lieber als das“, kapitulierte er.

      Und so fand er sich kurze Zeit später mit Ms Taylor, der er den Arm geboten hatte, im Gespräch durch den kleinen Park wandeln, der zum Familienanwesen gehörte, und in dem sich erste zarte Ahnungen von Knospen an Bäumen und Sträuchern erkennen ließen.

      Ms Taylor schirmte mit ihrem Fächer die Sonne ab, die zaghaft durch die Wolkenlücken lugte.

      „Wissen Sie, Mr Bradford, man ermutigt uns junge Damen ja dazu, frische Luft zu atmen, aber man muss doch immerzu Acht geben, dass die Sonne nicht den Teint verdirbt.“ Wieder ein kokettes Lächeln. „Welche glückliche Fügung, nicht wahr, dass ich meinen Fächer vergaß, so haben wir nun diese Gelegenheit für einen solch reizenden Spaziergang...“

      Jacob ließ sich ein wenig von ihrem Geplapper einlullen, schweifte dabei gedanklich aber zu den Pflichten ab, die ihm heute noch bevorstanden. Er würde sich noch im Kontor sehen lassen müssen. Es galt, das weitere Vorgehen mit seinem Vater abzustimmen in Hinblick auf die angestrebte Dependance in Boston. Als eines der großen Handelshäuser wollten sie natürlich auch auf amerikanischem Boden vertreten sein…

      * * *

      Von der Bibliothek aus konnte Eleonore den Park einsehen. Und als sie sich an das letzte Regal machte, sah sie draußen eine Gruppe von vier Personen lustwandeln. Wann war sie das letzte Mal spazieren gegangen? Nur so, zur Erbauung? Sie seufzte. Sie erkannte nun Jacob Alexander Bradford, der den Blick über den Park schweifen ließ und seiner schönen Begleiterin dabei gebannt zu lauschen schien. Sicherlich war sie auch sehr klug, denn er gab etwas zurück, woraufhin sie sich beide amüsierten. Eleonore spürte einen kleinen Stich. Das war wohl eine Welt, zu der sie einfach nicht gehörte und nie gehören würde. Andererseits, wer wollte schon den ganzen lieben langen Tag spazieren gehen? Sie hatte etwas viel Kostbareres: Wissen. Das war ein Schatz, den hatte ihr der Vater vererbt, den konnten keine Krise und keine schlechten Zeiten ihr nehmen. Wenn sie doch auch unterrichten könnte, so wie er es getan hatte.

      Wenn sie aus besseren Verhältnissen gestammt hätte, wenn nur etwas mehr Geld dagewesen wäre, dann hätte sie ein Mädchenpensionat besuchen und die Chance auf eine Arbeit als Gouvernante bekommen können. An Bildung mangelte es ihr sicher nicht, die Wege blieben ihr dennoch verschlossen. Wie gerne hätte sie ihr Wissen vertieft, vermehrt, geteilt, es an andere weitervermittelt.

      Sie wusste, sie sollte nicht undankbar sein. Sie würde den Lauf der Dinge nicht ändern, die Welt nicht aus ihren Angeln heben. Aber manches Mal träumte sie davon, sich über die gesellschaftlichen Grenzen, die ihr so festgefahren vorkamen, hinwegzusetzen. Was, wenn das gar nicht die vorgesehene Ordnung der Welt war, sondern lediglich noch niemand auf die Idee gekommen war, sie zu hinterfragen?

      Das war eines der Grundprinzipien, die der geliebte Vater ihr beigebracht hatte:

      „Wissen,