Gitte Loew

Diebsgrund


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Karoline wieder zu reden:

      „Das ist dreißig Jahre her. Seit dieser Zeit hat sich viel verändert. Niemand konnte voraussehen, was kommen würde. Früher verbrachten die Gartenbesitzer ihre Freizeit hier. Bauten Obst und Gemüse an, um Geld zu sparen. Der Wohlstand hat alles verändert. Die Alten sterben weg, und die Jungen sind anders. Ich kenne viele neue Mitglieder überhaupt nicht.“

      Margarete beugte sich über den Tisch und flüsterte:

      „Du musst auf die Neuen zugehen. Versuchen, Kontakte zu knüpfen.“

      Karoline verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern. „Du hast gut reden. Über Tage ist doch kaum noch jemand hier. Viele Gärtner kommen nur noch am Wochenende. Und was sollen junge Leute schon mit einer alten Frau reden?“

      Sie blickte traurig auf die schönen Rosen. Margarete vermied es, die Freundin anzusehen, und starrte ratlos in die grüne Idylle. Das Gespräch geriet ins Stocken.

      „Die Welt hat sich verändert. Selbst alte Gartengeräte verschwinden“, stellte Karoline resigniert fest.

      „Na ja, so etwas ist heutzutage nichts Besonderes. Du musst halt alles einschließen“, beschwichtigte die Freundin.

      „Aber das tu ich doch. Die Hacke war alt. Trotzdem wollte sie einer haben. Klauen ist billiger als kaufen.“

      „Grübele nicht so viel, lass uns lieber anstoßen.“

      Margarete füllte die Becher zum zweiten Mal und prostete der Freundin gutgelaunt zu. Karoline mochte nichts Süßes mehr trinken. Sie ließ den Eierlikör stehen. Stattdessen stand sie auf und räumte Gegenstände geschäftig hin und her. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen oder tun sollte. Es war so ungewohnt, dass jemand sie besuchte. Dann fiel ihr aber etwas ein:

      „Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang?“

      „Natürlich, da lern ich die Gärten und ihre Besitzer kennen!“

      Margarete erhob sich und ging voran. Sie war an allem und jedem interessiert. Vor besonders schönen Gärten verweilten die beiden ein bisschen länger, und der eine oder andere Gärtner hob den Kopf. Ein alter Mann kam auf sie zugelaufen als sie einen Baum betrachteten.

      „Das ist eine seltene Apfelsorte, ein Berlepsch, erklärte er freundlich. „Den hab ich in Geisenheim gekauft. Wissen Sie, dort wo man auch die guten Weinstöcke bekommt.“

      Er schmunzelte und blieb erwartungsvoll am Zaun stehen.

      „Ich pflanze keinen Apfelbaum mehr“, winkte Margarete lachend ab. „Die paar Äpfel, die ich esse, kaufe ich im Laden.“

      „Och, die schmecken doch nach nichts. Sie müssen mal im Herbst zum Probieren kommen“, lud er sie freundlich ein und beugte sich über den Zaun.

      „Auf Wiedersehen, Walter“, rief Karoline, griff nach Margaretes Rock und zog sie sanft weiter. Dabei flüsterte sie:

      „Komm, der Walter ist Witwer. Wenn wir nicht gehen, werden wir den nicht mehr los.“

      „Sei doch nicht so, der ist doch ganz nett.“

      „Ja, ja, aber er findet kein Ende und steht ewig herum und schwätzt von seinen Äpfeln.“

      „Na ja, dir kann es auch niemand Recht machen“, erwiderte Margarete lachend.

      „Doch, doch“, flüsterte Karoline kaum hörbar.

      Im Anschluss an die kleine Besichtigungsrunde kehrten die beiden Frauen in den Garten zurück und setzten sich auf die schattige Veranda. Es war für die Jahreszeit viel zu heiß, fast wie im Hochsommer. Kein Lüftchen bewegte sich, nur das Summen der Fliegen war zu hören. Nach einer kleinen Erholungspause stand Karoline auf und holte die Tomaten, ein Messer und das Schneidbrett aus dem Holzhaus. Sie legte beides auf den Tisch.

      „Während du den Salat richtest, gehe ich zum Grill und besorge die Würste.“

      Margarete nickte zustimmend, tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und begann, das Gemüse zu schneiden. Karoline machte sich auf den Weg zum Grillstand und blickte erstaunt auf die zahlreichen Besucher. Viele unbekannte Gesichter waren darunter, die sie hier noch nie gesehen hatte. Sie steuerte zielsicher auf den Bratwurststand zu und verschwand nach ihrem Einkauf genauso schnell, wie sie gekommen war. In der Zwischenzeit hatte Margarete den Salat gerichtet. Die beiden Frauen nahmen am Tisch Platz, und Karoline schenkte Bier ein. Die Freundin erhob ihr Glas.

      „Prost, Karoline. Ich wünsche dir noch viele schöne Stunden in deinem Garten-Paradies!“

      Es war angenehm, im Freien zu sitzen und zu Abend zu essen. Karoline freute sich jetzt doch, dass sie das Fest in Gesellschaft verbringen konnte. Margarete war meist zum Scherzen aufgelegt und verbreitete gute Laune, das musste man ihr neidlos zugestehen. Sie waren gerade dabei, das Geschirr wegzuräumen, als plötzlich Walter an der Gartentür stand. In der Hand hielt er eine Flasche Wein. Karoline scherzte:

      „Du hast einen neuen Verehrer.“

      Doch Margarete hörte nicht zu, sondern war schon aufgesprungen und ging Walter lächelnd entgegen.

      „Das ist aber nett, dass Sie uns besuchen“, rief sie einladend und öffnete die Tür.

      „Ich hab einen wunderbaren Tropfen, den möchte ich nicht allein trinken“, meinte er vielversprechend und kam mit Flasche und Gläsern den Weg entlanggelaufen. Karoline beobachtete die beiden amüsiert.

      Walter trat zum Tisch, entkorkte die Flasche und schenkte reihum den Wein in die mitgebrachten Römerpokale. Dann erhob er sein Glas.

      „Auf den Sommer, das Leben und die netten Nachbarinnen, prost meine Damen!“

      Unter viel Gelächter und Scherzen tranken sie den guten Tropfen. Karoline fühlte sich auf einmal leichter als sonst und lachte unbekümmert. Das war seit langer Zeit mal wieder ein Abend in netter Runde. Am Ende war sie froh, Margarete eingeladen zu haben. Sie summte vergnügt zur Musik, die von irgendwoher herüberklang, und fühlte sich ausgesprochen wohl. Gegen zehn Uhr verabschiedete sich Walter mit den Worten:

      „Das müssen wir unbedingt wiederholen“, und winkte lange zum Abschied.

      Nachdem die Gartentür ins Schloss gefallen war, trat Margarete der Freundin entgegen und hielt sie am Arm fest.

      „Der Walter ist ein netter Mann. Warum bist du so abweisend zu ihm?“

      Karoline seufzte: „Aber Marga, wir sind doch alt.“

      Margarete schüttelte ungläubig den Kopf und meinte:

      „Das ist doch Unsinn, du musst dir Gesellschaft suchen, ansonsten wirst du alt.“

      Karoline warf der Freundin einen abweisenden Blick zu.

      „Mir fehlt die Kraft für neue Freundschaften. Männer wollen umsorgt werden, das kann ich nicht mehr.“

      „Vielleicht würde Walter dir helfen, und es wäre leichter für euch beide.“

      „Ach, Margarete, er schafft es noch nicht einmal, seinen eigenen Garten in Schuss zu halten. Im Herbst will seine Äpfel niemand haben. Die Leute wollen Obst ohne Würmer, das perfekt aussieht.“

      „Du bist ein Pessimist, Karoline.“

      „Nein, ich bin ein Realist und kenne das Gartenleben besser als du“, stellte sie resigniert fest.

      Die Frauen packten schweigend ihre Sachen zusammen und traten dann den Nachhauseweg an. Zum Abschied drückte Margarete der Freundin die Hand.

      „Überleg dir das mit Walter. Es ist klüger, in netter Gesellschaft zu sitzen, als allein auf gepflegter Wiese zu verrotten.“

      „Ja, ja, Margarete, ich denke darüber nach“, wehrte Karoline sichtlich müde ab. Dann meinte sie: „Komm gut nach Hause.“

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