Gitte Loew

Diebsgrund


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reicht’s!“, brüllte sie aufgeregt. „Ich will überhaupt nicht in Urlaub fahren. Ich will meine Wohnung behalten können, ohne Schnaps leben und keine Sorgen mehr haben, du Idiot!“

      Valentin seufzte. Solchen Gesprächen war er nicht gewachsen. Annemarie hatte noch Illusionen und glaubte an das kleine Glück. Die Wirklichkeit sah anders aus. Es würde besser sein, damit aufzuhören. Er lenkte ein.

      „Du wirst es schaffen, lass am Abend einfach den Jonny Walker nicht herein“, witzelte er blöde herum.

      Jetzt war das Maß voll. Ihr Gesicht lief rot vor Zorn an und sie brüllte los:

      „Dich lass ich nicht mehr rein. Du bringst das Elend von der Straße mit!“

      Valentin war über ihren heftigen Ausbruch überrascht und meinte sarkastisch:

      „Mach dir nichts vor, saufen tust du alleine. Ich hab dir das andere Zeug nie angeboten.“

      Annemarie hielt inne und erwiderte nichts. Valentin sagte die Wahrheit. Er hatte sich in der Zwischenzeit erschöpft aufs Sofa fallen lassen. So früh am Morgen war er nicht in der Lage, planvoll zu denken. Seine Zukunft reichte noch nicht einmal bis zum nächsten Tag. Unbeholfen stand er wieder auf.

      „Ich denke, es ist besser, wenn ich gehe.“

      Er blieb abwartend stehen. Sie rührte sich nicht.

      „Annemarie, ich bin völlig blank, kannst du mir was leihen?“

      „Aha, hab ich‘s mir doch gedacht. Deshalb die Umarmung“, schimpfte sie, ging zur Anrichte und zog einen Schein aus dem Portemonnaie und legte ihn auf den Küchentisch.

      „Hier, mehr kann ich dir nicht geben. Komm so schnell nicht wieder.“

      Annemarie drehte sich um und wandte ihm den Rücken zu. Verlegen steckte Valentin das Geld in die Hosentasche. Er klopfte ihr zum Abschied leicht auf die Schulter.

      „Danke, Annemarie, mach’s gut, ich verschwinde jetzt.“

      Sie blieb ruhig stehen und beachtete ihn nicht. Sagte ihm noch nicht einmal auf Wiedersehen.

      Valentin verließ die Wohnung. Er fühlte sich elend und einsam.

      6. Kapitel

      Inzwischen ärgerte sich Karoline, dass sie Margarete zum Sommerfest eingeladen hatte. Dieser Besuch würde ihre tägliche Routine durcheinanderbringen, und außerdem störte sie Margaretes Neugierde. Sie war wie ein junger Hund, der überall die Nase hineinsteckte. Aber Margarete drängte schon lange auf einen Besuch und ließ sich nicht abwehren. Das Fest bot eine gute Gelegenheit, ihren Wunsch ohne größere Umstände zu erfüllen. Widerstrebend griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer.

      „Hallo, Margarete. Wie geht’s? Ich wollte dir nur den Termin fürs Sommerfest mitteilen. Es ist der erste Juni. Hast du Zeit?“

      „Aber natürlich, Karoline, das habe ich doch zugesagt. Schön, dass du an mich gedacht hast. Soll ich etwas mitbringen? Oder kann ich dir die Tage vorher im Garten helfen?“

      „Nein, nein. Wir sind doch nur zu zweit, und ich mach keine großen Umstände.“

      „Wie du willst, falls du es dir anders überlegst, ruf mich einfach an.“

      „Ja, ist schon in Ordnung, Margarete, mach’s gut, bis dann.“ Nachdem Karoline den Hörer aufgelegt hatte, musste sie sich erst einmal hinsetzen. Auch das noch! Vorher zu Besuch kommen, das hätte gerade noch gefehlt. Das Treffen zum Sommerfest war gerade genug. Karoline schüttelte den Kopf und seufzte.

      Die nächsten Tage schleppte sie Getränke, Plastikteller und Becher in den Garten. Danach musste die Hütte aufgeräumt und von Staub befreit werden. Unglaublich, was sich in den vergangenen Jahren alles angesammelt hatte. Das Wichtigste war ihr aber, dass der Garten gut aussah. Sie hackte, rupfte Unkraut und schnitt die Rosen. Völlig geschafft fiel sie nach getaner Arbeit in einen Liegestuhl. Sie gestand sich ein, dass es ihr nicht nur an Geld, sondern mittlerweile auch an körperlicher Kraft fehlte. Sicher würde das ihre letzte Einladung zum Gartenfest sein. Wer alt ist, kann keinen Besuch empfangen. Früher hatten ihr die Vorbereitungen für Einladungen nichts ausgemacht, aber das war lange her.

      Am Morgen des ersten Junis schien die Sonne, und die Wettervorhersage prophezeite einen schönen Tag. Es hätte nicht besser sein können. Margarete erschien überpünktlich in der Gartenanlage und war schon von weitem zu hören. Sie redete mit jedermann, der ihr über den Weg lief. Es klang, als gehörte sie schon seit ewigen Zeiten zum Verein.

      Auf was hatte sie sich da eingelassen? Karoline schüttelte den Kopf. Sie holte tief Luft und ging mit gemischten Gefühlen ihrer Bekannten entgegen.

      „Hallo, hier bin ich“, rief sie.

      Margarete kam mit Taschen in beiden Händen auf sie zugelaufen.

      „Ach, da bist du ja“, schnaufte sie atemlos.

      „Dort, wo es am schönsten ist“, Karoline reichte ihr die Hand. „Soll ich dir etwas abnehmen?“

      Margarete hob abwehrend den Arm: „Ach was, das bisschen schaffe ich noch!“

      „Gut, dann gehe ich mal voran.“

      Nach einem kleinen Spaziergang durch die Anlage blieb Karoline an ihrem Rosenbogen stehen und öffnete die Tür. Margarete hielt inne und bewunderte die Blütenpracht:

      „Einmalig, der Rosenstrauch ist wohl schon sehr alt?“

      „Ja, es ist eine englische Rose, die gibt es nicht so oft. Mir ist es gelungen, die Pflanze gut durch die Jahre zu bringen“, sie lächelte stolz.

      Margarete hörte allerdings schon nicht mehr zu, sondern sah sich interessiert um, während sie zur Veranda lief. Dort ließ sie sich erhitzt und mit gerötetem Gesicht auf einen Stuhl fallen.

      „Jemine, was ist es heiß heute, aber ich habe etwas zur Erfrischung mitgebracht. Schau mal hier!“

      Sie nahm eine Packung Eis aus der Tasche, und Karoline konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Typisch Margarete!

      „Vielen Dank, dann hol ich schnell die Teller, damit das Eis nicht zerläuft.“

      Sie verschwand in der Hütte und kam nach kurzer Zeit mit Tellern zurück. Sie hatte nur Plastikgeschirr und stellte die Teller etwas verlegen auf den Tisch.

      „Seit Friedrich tot ist, habe ich im Garten alles vereinfacht.“

      „Das ist doch in Ordnung“, beruhigte Margarete sie.

      Karoline versuchte die Situation zu erklären.

      „Ich kann nichts mehr aufheben. Nachdem der Kühlschrank seinen Geist aufgegeben hat, habe ich auf einen neuen verzichtet. Es hätte sich für mich allein nicht gelohnt“, murmelte sie vor sich hin.

      Margarete leckte Eis von ihrem Finger und winkte nur ab. Sie kramte Eierlikör und Plastikbecher aus ihrer Tasche und stellte beides auf den Tisch:

      „Ist alles nicht nötig, wie du siehst, ich bin bestens gerüstet“, sie strahlte gut gelaunt.

      Karoline lächelte erleichtert, zerschnitt den Eisblock und verteilte Stückchen auf jeden Teller. Die Frauen löffelten genüsslich das Eis. Margarete schenkte Eierlikör in die mitgebrachten Becher und meinte zufrieden:

      „Fürst Pückler schmeckt doch am besten“, und ließ gedankenverloren den Likör übers Eis laufen. Karoline hob ihren Becher und nickte zustimmend. Obwohl es Spätnachmittag war, spürte man noch immer die Hitze des Sommertages. Vereinzelt leuchteten schon Lampions und von irgendwoher erklang Schlagermusik.

      „Warum bist du hier so am Ende des Geländes? Bekommst überhaupt nicht mit, was um dich herum passiert?“

      Karoline wehrte mit der Hand den Einwand der Freundin ab.

      „Aus diesem Grund haben wir den Platz ausgesucht. Friedrich und ich waren keine großen Vereinsmeier. Wir wollten für uns sein.