Gitte Loew

Diebsgrund


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Valentin schwieg. Das wusste er selbst, aber es gab für ihn keinen Weg zurück. Außerdem, in seinem Alter jammerte man nicht mehr. Annemarie füllte Kaffee in eine Tasse und reichte sie ihm.

      „Hier, trink was, du siehst furchtbar aus“, und schob mit diesen Worten den dampfenden Kaffee vor ihn hin.

      Er griff aber nicht danach, sondern tastete über den Krimskrams, der auf dem Tisch lag, fand aber nicht, wonach er suchte. Sie beobachtete ihn, nahm die Schachtel aus der Schublade und drehte ihm wortlos eine Kippe. Valentin verzog das Gesicht zu einem Lächeln, griff nach der Zigarette und zündete sie an.

      „Du musst verschwinden, länger als eine Nacht halte ich das nicht mehr aus. Ich bin geschafft, wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, dann brauche ich meine Ruhe“, fing sie wieder an.

      Valentin verstand und begriff, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie hatte ihm immer geholfen, aber jetzt war Schluss. Er trank mit kleinen Schlucken den heißen Kaffee und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Sie rauchten beide und blieben eine Weile wortlos am Tisch in der Küche sitzen.

      „Annemarie, lass uns trotzdem Freunde bleiben. In meiner Situation ist es wichtig, wenigstens einen zu kennen, der mich nicht bescheißt. Auf alle anderen ist kein Verlass.“

      Das hatte er so leise gesagt, dass es kaum zu hören war.

      „Ist ja gut, Valentin, aber du musst mich in Frieden lassen. Ich kann mir nicht noch dein Elend ansehen. Das zieht mich noch mehr runter. Was ist denn mit deiner Familie? Deiner Frau?“

      Valentin schüttelte sich und ließ den Kopf noch mehr hängen.

      „Seit der Sache mit der Russin will meine Frau nichts mehr mit mir zu tun haben.“

      „Was für eine Russin?“ Annemarie horchte auf.

      Er blickte verlegen nach und begann nur zögerlich zu reden:

      „Na ja, ich hatte was mit einer Russin. Es war nichts Ernstes. Meine Frau ging mir damals mit ihrer Nörgelei auf die Nerven. Sie hat geglaubt, wir kommen in den Westen, und alles ist gut.“

      „Und weil du Ärger mit deiner Frau hattest, bis du gleich fremdgegangen?“

      „Ach komm, du weißt doch, wie das ist. Ich wollte halt mal was anderes hören.“

      Annemarie schüttelte ungläubig den Kopf: „Und deine Frau sollte das verstehen. Typisch Mann.“

      „Es war nicht nur das Fremdgehen“, druckste er herum.

      „Was denn noch?“

      Er wollte nicht darüber reden und schwieg.

      „Jetzt sag schon, was war los?“, bohrte Annemarie weiter.

      Valentin fühlte sich unbehaglich. Das war eine Angelegenheit, die Frauen nicht verstanden. Unruhig rutsche er auf dem Stuhl hin und her.

      „Ich hab die Russin erwischt, wie sie mit meinem Geld abhauen wollte.“

      „Du hast sie geschlagen?“

      Valentin schüttelte stumm den Kopf.

      „Was denn?“, Annemarie wurde langsam ungeduldig.

      „Ich habe ihr eine gelangt und sie aufs Bett geworfen.“

      „Und dann hat sie dich angezeigt?“

      Es ging nicht. Wie sollte er so eine Sache einer Frau erklären?

      „Ja, sie hat mich angezeigt, aber nicht wegen der Ohrfeige, sondern wegen Vergewaltigung.“

      Jetzt war es raus.

      Annemarie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte.

      „Was hast du gemacht?“

      „Es war ein Spiel, sie hat sich nicht gewehrt.“

      Er zog heftig am Rest seiner Zigarette. Wischte nervös die Asche weg, die durch seine ruckartige Bewegung heruntergefallen war. Sie starrte ihn ungläubig an.

      „Ein Spiel glaubst du, weil sie sich nicht gewehrt hat. Was hätte sie denn tun sollen?“

      Valentin blieb ihr die Antwort schuldig. Jede Erklärung hätte blöd geklungen. Er schwieg. Es wäre besser gewesen, nicht darüber zu reden.

      „Der Richter hat der Frau geglaubt und nicht dir.“

      „Sie war eine Lügnerin“, stieß er wütend hervor.

      „Ich habe sie ertappt, was sollte ich tun? Meinst du, die Polizei hätte mir geglaubt?“

      Annemarie war ratlos. Vermutlich waren beide schuld. Sie hob den Kopf und murmelte vor sich hin:

      „Das sieht nicht gut aus für dich. Verurteilt wegen Vergewaltigung, das ist keine Kleinigkeit. So kommt eins zum anderen. Körperverletzung, Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und so weiter und so weiter. Irgendwann ist Schluss. Wenn du jetzt nicht aufhörst, landest du wieder im Gefängnis. Ich will mir gar nicht ausmalen weshalb. Hör auf, Valentin!“, rief sie entsetzt.

      Er schwieg und trank einen Schluck Kaffee.

      „Was willst du eigentlich hier in Frankfurt?“, wollte Annemarie plötzlich wissen und blickte misstrauisch zu ihm hinüber.

      Valentin hatte keine große Lust, darüber zu reden. Unruhig stand er auf, lief zum Fenster und vermied es sie anzusehen.

      „Ich wollte mich mit einem Typen treffen, der gute Quellen in Frankfurt hat. Hab ihn aber bis jetzt noch nicht gefunden.“

      „Ach, hör auf, Valentin, mach dir doch nichts vor. Gute Quellen, wenn ich das schon höre. Die bringen dich über kurz oder lang in Teufels Küche.“

      Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.

      „Solang du das Zeug nimmst, wirst du immer tiefer in die Scheiße geraten.“

      Valentin drehte sich um, das waren genug Vorwürfe. Wütend polterte er los:

      „Ach, und du weißt, wie man mit der Sauferei aufhört. Bist ja so schlau und fast schon trocken.“

      In Annemarie regten sich Wut und Zorn. Er hatte ihren wunden Punkt getroffen. Sie stand auf und schimpfte laut los:

      „Im Gegensatz zu dir habe ich eine Wohnung und gehe arbeiten!“, erwiderte sie heftig. Alle Freundlichkeit war aus ihrem Gesicht verschwunden.

      Valentin hielt den Mund, es war sinnlos, weiter mit ihr zu streiten. Nachdem er den Kaffee ausgetrunken hatte, schlich er ohne weitere Diskussion ins Bad, wusch sich und zog die frische Wäsche an, die sie ihm hingelegt hatte. Als er in die Küche zurückkam, fühlte er sich etwas besser. Annemarie spülte mit Getöse das Geschirr. Valentin fühlte, dass sie noch immer aufgebracht war.

      „Ich verstehe dich ja. Ich hab kapiert, dass du aufhören willst und Probleme hast. Haben wir alle. Wenn es mit der Sucht so einfach wäre, würden nicht so viele Gestalten auf der Straße herumlaufen.“

      Annemarie räumte wortlos das Geschirr in den Küchenschrank und gab ihm keine Antwort.

      „Aber wir haben doch eine schöne Zeit gehabt, he schau mich mal an, war doch schön?“

      Sie drehte sich um und blickte ihn mit müden Augen an.

      „Für dich war es vielleicht schön. Ich bin vor Angst nicht in den Schlaf gekommen. Das ist zu wenig für diese kleinen Augenblicke.“

      Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Frauen sahen immer alles so problematisch.

      „Reg dich nicht auf. Morgen kann alles vorbei sein“, meinte er leichthin.

      Annemarie schüttelte ärgerlich den Kopf.

      „Nein, nein, du verstehst nichts. Ich will nicht in den Tag hinein leben von der Hand in den Mund.“

      „Ach, und du glaubst, die haben ausgerechnet auf dich gewartet. In diesem Land geht es nur den Reichen gut.“

      „Ich