Peter Beuthner

Außer Gefecht gesetzt


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richtig, er hat vor drei Tagen, also letzten Sonntagabend, bei uns eingecheckt. Ist was mit ihm passiert?“

      „Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?“

      „Gestern, denke ich. . . . Nein, warten Sie, es war vorgestern.“

      „Also wann?“

      „Ja, stimmt, es war vorgestern, also am Montag. Gestern habe ich ihn gar nicht gesehen, und heute habe ich ihn auch noch nicht gesehen. Er war, glaube ich, auch gar nicht beim Frühstück.“

      „Sie haben ihn also gestern auch nicht weggehen sehen?“

      „Hmm . . . nein, ich glaube nicht. Er ist mir jedenfalls nicht aufgefallen. Wissen Sie, hier gehen so viele Leute ein und aus. Und wenn ich gerade mit Ein- und Auschecken beschäftigt bin, dann kann ich nicht gleichzeitig auch noch jeden Vorbeigehenden registrieren.“

      „Hmm, also vorgestern. Sagen Sie, bei Ihnen wohnt doch auch ein gewisser Mr. Forrester, ja?“

      „Das ist richtig, ja. Soviel ich weiß, sind sie beide Kongressbesucher an der Uni. Vorgestern habe ich zufällig gesehen, wie sie nach dem Frühstück gemeinsam das Hotel verließen und vermutlich zur Uni hochgefahren sind. Und gestern, . . . ja richtig, wenn ich mich recht er-innere, gestern war Mr. Forrester allein beim Frühstück. Als er dann das Hotel verließ, kam er nämlich hier noch kurz vorbei und sagte . . . Moment, wie war das gleich. . . . Ja, er sagte, ich solle Mr. McMorris ausrichten, er sei schon gegangen. Mr. McMorris wolle wohl heute länger ausschlafen, nachdem sie am Abend zuvor reichlich Alkohol in der Bar genossen hatten. Ja, so war das.“

      „Okay, das ist ja interessant. Ich würde jetzt gern sein Zimmer sehen.“

      „Selbstverständlich, ich rufe den Zimmerservice.“

      „Geben Sie mir den Schlüssel, ich gehe allein hinauf. Zimmernummer?“

      „Es ist im dritten Stock, Zimmer 302. Da drüben ist der Fahrstuhl.“

      „Danke, das finde ich schon.“ Dann ging er zum Fahrstuhl und fuhr nach oben.

      Das Zimmer machte einen sehr gepflegten Eindruck. Der Zimmerservice hatte seine Arbeit gut gemacht. Herr Walter öffnete die Schranktüren und stellte fest: Auch der Gast, Mr. McMorris, hatte seine persönlichen Sachen sehr ordentlich, fast schon pedantisch korrekt, in die Schränke eingeräumt. Der Tresor im Schrank war verschlossen. Herr Walter kramte in den Taschen des Jacketts, fand aber weder eine Brieftasche noch eine Geldbörse und auch keine Ausweispapiere. Er durchsuchte die gesamte Garderobe von Mr. McMorris, fand aber nichts. Dann nahm er sich dessen Koffer vor. Der war verschlossen. Ein Nummerncode. Er rief seinen Chef an, schilderte die Situation und fragte Ihn, ob er den Koffer aufbrechen solle.

      „Nein, bringen Sie den Koffer mit hierher, wir haben hier Spezialisten für sowas. Aber lassen sie sich den Tresor öffnen. Vermutlich liegen da die Papiere drin“, bekam er zur Antwort.

      Herr Walter rief bei der Rezeption an und bat darum, jemanden hochzuschicken, der den Tresor öffnen könne. Kurz darauf erschien der Hoteldetektiv, lies sich erst einmal den Polizeiausweis zeigen und öffnete dann den Tresor. Tatsächlich, da lagen die Brieftasche mit den Ausweispapieren sowie Flugticket und Handy von Mr. McMorris. Er steckte sich die Sachen ein. Dann bat er den Hoteldetektiv, das diensthabende Mädchen vom Zimmerservice hoch zu beordern. Sie erschien auch gleich, und so befragte er sie, ob ihr beim Aufräumen und Reinigen des Zimmers irgendetwas aufgefallen sei. Das war nicht der Fall. Und so ließ er das Zimmer vom Hoteldetektiv verschließen, ging noch einmal bei der Rezeption vorbei, um anzuordnen, dass dieses Zimmer bis auf weiteres nicht betreten werden darf, und verließ das Hotel mit dem Koffer.

      Mr. Forrester wurde gerade von einem Beamten des Polizeikommissariats zum Büro von Herrn Freigang geführt, als auch Herr Walter von seinem Hotelbesuch zurückkehrte. Freigang begrüßte den Gast: „Mr. Forrester?“ Der nickte zustimmend, während Freigang weitersprach: „Thank you for comming. My name is Freigang and this is my colleague Mr. Walter. Please take a seat, we’ve some questions concerning Mr. McMorris to clarify. Do you like a cope of coffee?“

      Mr. Forrester setzte seine Brille auf und schaute Herrn Freigang an. Das Smart Glass zeigte ihm an: »Werner Freigang, Polizeihauptkommissar im Kriminaldauerdienst Ulm, Alter: 46 Jahre, verheiratet, zwei Kinder im Schulalter.« Danach schaute er Herrn Walter an und las: »Person unbekannt.« „Ja, gern“, antwortete er dann. „Wir können uns übrigens auch gern auf Deutsch unterhalten, dann habe ich gleich wieder etwas Übung im Sprechen.“

      „Ausgezeichnet! Darf ich fragen, wo Sie das gelernt haben?“ wollte Freigang wissen, während Walter Kaffee bei der Sekretärin bestellte.

      „Das habe ich meinem Großvater mütterlicherseits zu verdanken, der war deutscher Abstammung. Bei dem verbrachte ich in meiner Jugend häufig die Ferienzeit und lernte dabei von ihm deutsch“, erklärte Forrester.

      „Interessant! . . . Ja, dann kommen wir bitte mal zu Mr. McMorris.“

      Forrester wollte gerade nach seiner Kaffeetasse greifen, zuckte aber sofort zurück und zeigte sich sehr besorgt: „Sagen Sie, was ist mit Mr. McMorris? Ist ihm etwas zugestoßen? Wir haben ihn schon vermisst. Er hätte gestern Nachmittag einen Vortrag halten sollen, aber er war nicht da.“

      „Bitte, Herr Forrester, immer eins nach dem anderen. Geben Sie uns bitte erst mal Auskunft auf unsere Fragen“, versuchte Polizeihauptkommissar Freigang den Gesprächsablauf zu ordnen. „Zunächst nehmen wir Ihre Personalien für das Protokoll auf.“

      „Okay. Mein Name ist Michael Forrester, Alter: 40 Jahre, Beruf: Hirnforscher, Wohnort: Palo Alto im Silicon Valley, momentaner Aufenthalt in Ulm, Hotel ‚Goldenes Rad‘, dienstlich als Konferenzteilnehmer an der Universität Ulm“, beantwortete er freimütig ihre Fragen.

      „Darf man fragen, was das für eine Konferenz ist, ich meine, mit welcher Thematik?“

      „Selbstverständlich, das ist ja kein Geheimnis. Es geht dabei um KI . . .“

      „KI?“

      „Ja, also um ‚Künstliche Intelligenz‘, dafür steht die Abkürzung KI – oder AI, denn im Englischen sagen wir ‚Artificial Intelligence‘. Die Konferenz beschäftigt sich also mit dem neuesten Stand der Forschung auf diesem Gebiet einschließlich der dafür erforderlichen Technologien. Sie steht dieses Jahr unter dem Motto: BI + KI = I hoch x.“

      „Hmm? Hört sich an wie eine Formel. Was bedeutet das denn?“

      „Nun, das steht für: Biologische Intelligenz plus Künstliche Intelligenz gleich Intelligenz zur xten Potenz.“

      „Ach du Schreck“, murmelte Freigang still vor sich hin.

      „Ja, das mag für Laien etwas fragwürdig oder seltsam klingen. Aber eigentlich drückt es nur das genau aus, wovon wir tatsächlich überzeugt sind, dass nämlich die Kombination von biologischer und künstlicher Intelligenz mehr ergibt als lediglich die Summe von beidem. Diese Formel darf man allerdings nicht wörtlich nehmen, sie ist eher symbolisch zu verstehen. Aber wir erwarten dadurch in der Tat eine ganz erhebliche kognitive Leistungssteigerung!“

      „Das vermag ich mir gar nicht vorzustellen“, sinnierte Herr Freigang. Und Herr Walter, der wesentlich jünger war als sein Chef, und der den neuen Technologien entsprechend offener gegenüberstand, bekam ganz große, glänzende Augen.

      „Das nehme ich Ihnen unbesehen ab. Für Laien auf diesem Gebiet ist das auch kaum vorstellbar. Aber die Entwicklungen sind weit gediehen. Und Mr. McMorris zählt zu den führenden Köpfen auf dem Gebiet der KI. Sein Interesse und seine Arbeiten gelten insbesondere der Schaffung von Cyborgs.“

      „Cy . . . was?“

      „Cyborg, das ist ein Akronym für cybernetic organism. Man versteht darunter dauerhafte Verbindungen von biologischen, in diesem Fall menschlichen, mit technischen Elementen. Im Grunde sind Menschen mit technischen Implantaten wie Herzschrittmachern, künstlichen Glied­maßen, komplexen Prothesen, Cochlea- oder Retina-Implantaten dem Begriff