Peter Beuthner

Außer Gefecht gesetzt


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schaute Freigang ihn fragend an.

      „Ja, ja“, bestätigte Forrester, „die Menschen möchten doch gerne ihre kognitiven Leistungen verbessern, also sich mehr merken, schneller denken, schärfer schlussfolgern und weiser urteilen können. Mit dem Upgrade des Körpers zur Verbesserung seiner natürlichen Eigenschaften und kognitiven Fähigkeiten durch Künstliche Intelligenz über eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entsteht ein neuer Typ Mensch, gewissermaßen ein hybrider Mensch, ein Mischwesen, das den natürlichen Menschen intellektuell deutlich überlegen ist.“

      „Gott bewahre uns vor dem Übel“, stöhnte Freigang.

      „Das ist doch interessant“, warf Walter begeistert ein. „Wie weit ist denn das Ganze heute schon gediehen? Könnte ich mir auch so ein Ding implantieren lassen?“

      „Selbstverständlich“, entgegnete Forrester mit dem Brustton der Überzeugung. „Es laufen schon etliche Leute – zumindest und besonders in den USA – mit einem Chip im Kopf herum, das merken wir vielleicht nicht gleich so schnell, weil wir damit überhaupt nicht rechnen.“

      „Ja – schön und gut“, unterbrach Freigang die sich anbahnende Diskussion. „Bleiben wir doch lieber bei unserem ganz konkreten Fall. Da stellt sich mir jetzt die Frage: Ist Mr. McMorris davon betroffen? Ich meine, ist der vielleicht so ein Cyborg?“

      „Das weiß ich leider nicht. Ich kann lediglich bestätigen, dass diese Thematik zu seinem Arbeitsgebiet gehört. Aber jetzt sagen Sie mir doch bitte endlich, was mit ihm los ist. Was ist ihm passiert?“ drängte Forrester mit besorgter Miene.

      „Gleich! Sie erfahren es gleich“, entgegnete Freigang betont ruhig. „Zunächst beantworten Sie bitte unsere Fragen: Also, könnte McMorris ein Cyborg sein?“

      „Wie gesagt, ob er selbst einen implantierten Chip trägt, das weiß ich wirklich nicht. Jedenfalls hat er in meiner Gegenwart nie so etwas verlauten lassen. Und wir kennen uns schon länger – allerdings weniger privat, mehr geschäftlich wissenschaftlich, verstehen Sie?“

      „Aber wenn Sie ihn doch immerhin schon länger kennen, dann könnte Ihnen ja vielleicht irgendetwas an ihm beziehungsweise an seinem Verhalten aufgefallen sein – wie soll ich sagen – etwas Cyborghaftes? Wie würde sich sowas eigentlich äußern?“

      „Das lässt sich so allgemein nicht beantworten. Das wichtigste Kriterium habe ich schon erwähnt: Diese Cyborgs zeichnen sich durch sehr große Intelligenz und ein phänomenales Gedächtnis aus. Aber wie sie mit diesen Fähigkeiten umgehen, das heißt, wie sie sich gegenüber der Gesellschaft geben, ob sie zum Beispiel andere ihre geistige Überlegenheit in erniedrigender Weise spüren lassen, das hängt ganz von ihrem individuellen Charakter ab, verstehen Sie? Allerdings ist Arroganz kein Alleinstellungsmerkmal für Cyborgs. . . . Also, was ich sagen will, ist, man sieht nicht gleich auf den ersten Blick, ob man es mit einem Cyborg oder einem ganz natürlich intelligenten Menschen zu tun hat.“

      „Hmm . . . es könnte also durchaus sein, dass Sie, der sich intensiv wissenschaftlich mit dieser Materie befasst, auch ein Cyborg sind, ohne dass ich das bemerken müsste?“ kombinierte Freigang.

      „Selbstverständlich! Ich würde das auch nicht jedem auf die Nase binden, wie man hierzulande so schön sagt. Man kann ja seine Vorteile gegenüber gewöhnlichen Menschen auch ganz für sich still genießen.“

      „Und wenn ich Sie ganz konkret danach fragte: Sind Sie ein Cyborg? Was würden Sie mir darauf antworten?“

      „Ich schätze Sie nicht so ein, dass Sie mich auf eine so plumpe Art und Weise auszufragen versuchten, Herr Freigang. Aber es gibt natürlich auch Leute, die gar kein Geheimnis daraus zu machen versuchen. Um mal wieder auf McMorris zurückzukommen: Von ihm ist bekannt, dass er bekennender Transhumanist ist, und das lässt immerhin den Schluss zu, dass er zwar nicht mit Sicherheit, aber doch mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein Cyborg ist.“

      „Schon wieder eine Vokabel, die ich nicht kenne: Was zum Teufel ist ein Transhumanist?“

      „Also, ich frage mich schon die ganze Zeit: In welcher Welt leben Sie eigentlich, Herr Freigang? Das sind doch alles keine Neuigkeiten. Das ist ‚state of the art‘, und das müsste sich doch auch schon bis nach Deutschland herumgesprochen haben.“

      Freigang war irritiert angesichts dieser unverhohlenen abschätzigen Bemerkung. Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu sortieren. Dann entgegnete er: „Ich stehe hier nicht für Deutschland, sondern für die Erledigung meines Jobs. Und dabei ist mir diese Materie, die Sie hier vertreten, bisher noch nicht untergekommen – also: ‚Neuland‘, wie unsere ehemalige Bundeskanzlerin zu sagen pflegte. Aber Sie könnten ja mit einer kurzen und verständlichen Beantwortung meiner Frage zur Behebung dieses Mankos beitragen.“

      „Okay, okay! Es ist halt leider nicht so schnell erklärt. Darüber könnte man sehr lange diskutieren. Aber gut, um es kurz zu machen: Die Transhumanisten vertreten die Auffassung, dass durch die Verschmelzung des Menschen mit technischen Komponenten zu einem Cyborg eine neue Spezies – manche sagen auch: Rasse – entsteht, die den Homo sapiens ablösen und damit die nächste Evolutionsstufe der Menschheit einleiten wird. Dieser Schritt zum Hybridwesen vollzieht also den Übergang zur bewussten Selbst-Evolution in eine neue Spezies. Und der exponentiell wachsende technologische Fortschritt auf allen Gebieten eröffnet uns viele weitere Möglichkeiten. Soweit die Idee in aller Kürze.“

      „Ja, um Himmels willen! Wer denkt sich denn sowas aus?“

      „Es ist nicht mehr nur gedacht, wir sind bereits mitten auf dem Weg dahin.“

      „Der Gedanke lässt mich erschauern.“

      „Sie dürfen nicht übersehen, dass sich den Menschen damit ganz neue Perspektiven ergeben: Wir werden immer länger leben – ohne Krankheiten und Schmerzen. Das Leben wird leichter. Und wir werden immer intelligenter.“

      „Ich weiß nicht, ob das wirklich wünschenswert ist. Aber es hört sich für mich so an, als seien auch Sie ein Befürworter des Transhumanismus?!“

      „Sagen wir mal so: Ich finde die Idee sehr interessant.“

      „Aber von McMorris wissen Sie, dass er Transhumanist ist?“

      „Ja, daraus hat er eigentlich nie ein Geheimnis gemacht.“

      „Okay. Dann hat er also vermutlich auch einen Chip im Kopf, ja?“

      „Möglich! Wie gesagt: Kann sein, muss aber nicht. Man kann auch eine Idee befürworten, ohne sie zu praktizieren.“

      „Gut. Aber nehmen wir mal an, er hätte einen Chip im Kopf: Was könnte möglicherweise passiert sein, wenn beispielsweise eine Bewusstlosigkeit darauf zurückzuführen wäre?“

      „Was sagen Sie, er ist bewusstlos?“

      „Ich habe zunächst nur eine hypothetische Frage gestellt und bitte Sie, diese zu beantworten.“

      „Nun, . . . das hängt zum einen davon ab, wie der Chip mit dem Gehirn verschaltet ist, also auf welche Gehirnregionen er Einfluss ausübt. Zum anderen aber sind die Chips, wenn sie nicht sehr gut gekapselt sind, ganz schön störanfällig.“

      „Das heißt?“

      „Das heißt, sie könnten möglicherweise von außen in Ihrer Wirkung bis hin zum Betriebsausfall gestört werden, sie könnten gehackt werden. Die Stromversorgung könnte auch ausgefallen sein, oder der Chip ist kaputt. Alles möglich.“

      „Na, unter diesen Umständen kann man doch nur allen davon abraten, sowas mitzumachen!“ resümierte Freigang.

      „Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden, sicher. Aber das Verlangen nach persönlicher Überlegenheit ist dem Menschen sehr wohl immanent. Wer will schon zurückstehen, wenn die Menschen um einen herum kognitiv aufgerüstet haben? Natürlich birgt die Implementation von Chips ins Gehirn ein gewisses Risiko. Aber es geht heutzutage gar nicht mehr primär um die Frage technischer Risiken, sondern viel mehr um ethische Bedenken. Und trotzdem steigt die Nachfrage deutlich an, wollen immer mehr Menschen kognitiv aufrüsten, um konkurrenzfähig