Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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das Lederbändchen, das sich um ihren Knöchel schmiegte. Verlegen versuchte sie, wenigstens ihre Scham mit den Händen zu bedecken.

      „Das ist unwichtig.“ Diego nahm Lanas Hände und legte sie wieder neben ihren Körper. „Ich will mehr von dir.“

      Plötzlich sah Lana sich selbst so, wie Diego sie sah: Das war nicht sie, die da auf dem Operationstisch lag, sondern nur eine Stoffpuppe, ein billiges Spielzeug, das mit ängstlichem Blick in das grelle Licht starrte.

      Auch wenn sie sich nicht bewegen konnte, sah oder spürte Lana, dass Diego sich an einer seltsamen Apparatur zu schaffen machte, die neben dem Tisch stand. Schließlich richtete er sich auf und kam mit einer metallisch funkelnden, dicken Kanüle auf sie zu. Ein Schlauch verband die Nadel mit dem Apparat, der einen seltsam lebendigen, tierhaft gierigen Eindruck machte.

      Lana wusste, dass diese leise fauchende, maßlos hungrige Maschine dazu bestimmt war, ihr das Blut aus dem Körper zu saugen, und sie versuchte mit aller Kraft, ihre Starre abzuschütteln. Sie wollte vor dieser Nadel fliehen, aber sie war völlig gelähmt und hatte nicht die geringste Chance.

      „Das wird jetzt gleich ein bisschen wehtun“, sagte Diego bedauernd und lächelte sie an. „Tut mir Leid, aber das ist nun mal nicht zu ändern. Wir können nur versuchen, dich nicht allzu sehr zu beschädigen.“

      Die Kanüle blitzte dicht vor Lanas Augen im Licht auf. „Warum?“, versuchte sie hervorzubringen, aber ihr Mund blieb stumm.

      „Ist gleich vorbei.“ Diegos Stimme klang beruhigend. „Aber zuerst müssen wir das hier abmachen.“ Er griff nach dem Lederbändchen.

      Nein, das nicht! Lana wollte aufspringen, sich wehren, aber sie war ja nur eine Stoffpuppe und konnte sich nicht rühren. Völlig hilflos spürte sie, wie Diego den Verschluss öffnete und das Bändchen unter ihrem Knöchel hervorzog. Panik überschwemmte sie, denn jetzt war ihr auch der letzte Schutz genommen.

      Es war dunkel in dem Raum. Nur Lana selbst lag im hellen Licht. Da waren auch noch andere Leute. Sie erkannte undeutlich das Paar, das sie mit Felix zusammen in der Disco gesehen hatte. Die Frau hielt sich ein Taschentuch vor das Gesicht und der Mann wandte sich ab und sah auf seine Armbanduhr, als Lana ihn anschaute.

      „Bist du bereit?“ Diego stand mit der Kanüle in der Hand neben dem Tisch.

      Plötzlich konnte Lana wieder Sprechen. „Aber ich liebe dich doch“, flüsterte sie.

      „Ich dich doch auch“, lächelte Diego, strich zärtlich vom Hals aus zwischen ihren Brüsten hindurch bis hinunter zur Scham - und dann stieß er ihr die Nadel bis zum Anschlag in den Leib.

      Lana versuchte zu schreien, aber es wurde nur ein klägliches Wimmern daraus. Das Licht über ihr wurde schwächer. Die Maschine fing mit widerlich schmatzenden Geräuschen an, das Leben aus ihr herauszupumpen. Sie starb.

      „Nein!“ Es war kaum mehr als ein Wispern, das sie hervorbrachte. Es wurde dunkel um sie herum. Nur das leise Schluchzen, das aus ihrer Kehle kam, war noch da.

      „Lana?“

      Das war nicht Diegos Stimme. Hastig suchten Lanas Hände die Stelle, an der die Nadel stecken musste, aber da war nichts. Mit einem Ruck schnellte sie hoch und betastete ihren Körper. Sie trug T-Shirt und Slip, ihre gewöhnliche Schlafkleidung. Mit einer schnellen Bewegung fegte sie die Decke beiseite und griff nach ihrem Knöchel. Das Bändchen war noch da.

      Nur ein Traum! Lana ließ sich erleichtert zurücksinken, aber ihr ganzer Körper vibrierte noch.

      „Lana?“ Tastende Hände fuhren am Stoff der Schlafkabine entlang. „Kann ich reinkommen?“

      „Was ist denn? Komm ruhig.“

      Der Zipper des Reißverschlusses fuhr mit einem singenden Geräusch über die Plastikzähnchen und Lana spürte, wie Didier rasch neben sie schlüpfte. „Du hast im Schlaf gejammert und geweint.“

      „Gejammert?“, fragte Lana nach.

      „Nur ganz leise“, beruhigte Didier sie. „Hast du schlecht geträumt?“

      „Ja.“

      „Willst du’s erzählen?“

      „Nein.“

      „Du hast von Diego geträumt, nicht?“

      „Auch. Hab ich geredet?“

      „Nein, nicht richtig. Nur so gejammert. Ich wollte dich gerade wecken.“

      „Du bist ein Schatz!“ Lana tastete in der Dunkelheit nach Didiers Gesicht und strich kurz darüber.

      „Du, ich träume auch manchmal schreckliche Sachen“, sagte Didier. „Von Krokodilen und Löwen und so. Und dann wache ich auf und höre deinen Atem. Dann weiß ich genau, dass du nicht weit weg bist. Weißt du was?“

      „Na, was denn?“

      „Du, ich bin echt froh, dass du da bist!“

      „Komm doch mal näher.“

      „Was ist denn?“ Didier rückte noch ein Stück weit heran. Ehe er sich’s versah, hatte Lana ihn auch schon geschnappt drückte ihn fest an sich und knuddelte ihn schnell mal durch.

      Didier drückte eine Hand an ihre Schulter und befreite sich aus ihrer Umarmung. Das ging ihm bei aller Zuneigung dann wohl doch etwas zu weit.

      „Du, Didier.“

      „Ja?“ Seine Stimme klang etwas unsicher.

      „Ich bin auch froh, dass du da bist. Geh jetzt wieder schlafen.“

      „Okay!“ Didier krabbelte aus der Kabine und zog den Reißverschluss zu. Drüben an seinem Innenzelt wiederholte sich das Geräusch.

      „Schlaf schön“, sagte Lana leise.

      „Du auch“, kam es von Didier. „Und träum nicht so blödes Zeug.“

      „Wills versuchen“, murmelte Lana. So weit war es also schon gekommen, dass die kleine Ratte über ihren Schlaf wachte und sie tröstete, wenn sie schlecht träumte. Unwillkürlich musste Lana lächeln. Sie hatte das Gefühl, als sei eine Last von ihr genommen worden. Plötzlich war sie hundemüde und mit dem Einschlafen würde es wohl keine Probleme geben. Sie hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gebracht, da glitt sie auch schon in den Zustand hinüber, der bei ihr so oft vor dem Einschlafen kam. Wirre Bilder blitzen in ihrem Kopf auf und erloschen wieder, aber es war nichts dabei, was ihr Angst einjagte. Nach kurzer Zeit war sie tief und fest eingeschlafen.

      „Na, geht’s dir wieder besser?“, fragte Lanas Vater, als sie endlich aus dem Zelt gekrabbelt kam.

      „Ja. Entschuldige wegen gestern. Ich war einfach total fertig.“

      „Hab ich gemerkt. Deswegen haben wir dich auch bis jetzt schlafen lassen.“

      „Wie spät ist es denn?“

      „Gleich halb Zehn.“

      „Dann hab ich ja länger als zwölf Stunden gepennt.“

      „Wirst es nötig gehabt haben. Was war denn los gestern? Habt ihr euch gezankt?“

      „Könnte man so sagen.“

      „Komm, jetzt mal ehrlich: Hat er was mit dir gemacht, was du nicht wolltest?“

      „Quatsch! Das war mehr so – weltanschaulich.“

      „Aha!“, sagte Lanas Vater und machte ein kluges Gesicht. Die Fragezeichen in seinen Pupillen waren zwar unübersehbar, aber er war gescheit genug, all die Fragen, die er bestimmt noch hatte, zurückzuhalten.

      Lana kletterte in den Wohnwagen und machte Wasser heiß. „Ist Maman schon am Strand?“, überschrie sie das Singen des Wassers im Kessel.

      „Ist schon in Grundstellung“, rief ihr Vater zurück, was bedeutete, dass sie es sich mit Buch und Sonnenschirm an ihrem Lieblingsplatz gemütlich gemacht hatte.

      Vorsichtig