Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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Scheiben fast schon sichtbar in der Kabine hing. „Mann, das mit dem Autos tauschen musst du aber noch üben.“

      „Das Ding taugt gerade noch für Schrittgeschwindigkeit“, brummte Diego.

      Der Wind rauschte in Lanas Ohren. Sie konnte ihn kaum verstehen. „Wie schnell sind wir denn?“

      „Na, so knappe vierzig Sachen, schätze ich. Der Tacho ist kaputt.“ Diego klopfte gegen das Instrument, aber da rührte sich nichts.

      So langsam war die Kabine durchgelüftet oder Lana hatte sich an den Geruch gewöhnt. Sie setzte sich gerade hin und sah sich um.

      In diesen Wagen einzusteigen und sogar damit zu fahren, war schon eine Zeitreise der besonderen Art. Um die Sicherheit der Insassen hatten sich die Ingenieure damals wohl nicht allzu viele Gedanken gemacht.

      Überall um Lana herum war nur knallhartes, taubenblau lackiertes Blech, das hier und da mit verchromten Zierleisten besetzt war. Einen möglichen Aufprall auf dieses unnachgiebige Bollwerk aus Stahlblech stellte Lana sich lieber nicht vor. Gurte waren natürlich nicht vorhanden, dafür gab es oben auf dem Armaturenbrett so etwas wie ein Geländer aus verchromten Metallstangen, damit man den Raum vor der Scheibe als Ablage benutzen konnte. Man konnte sich natürlich auch hervorragend die Zähne daran ausschlagen, wenn der Fahrer unverhofft eine Notbremsung machen musste.

      Oben aus dem Scheibenrahmen ragte etwas, das Lana stark an einen kräftigen Fleischerhaken erinnerte. Daran war der Rückspiegel befestigt. Praktisch, fand Lana. Wenn das Ding einen an der Stirn traf war man zwar mausetot, aber man fiel wenigstens nicht um.

      Diego auf dem Fahrerplatz hatte es auch nicht besser getroffen. Ganz im Gegenteil: Das Zündschloss war schräg unter der Lenksäule und der Metallgriff des Schlüssels ragte ein gutes Stück weit heraus. Er zielte genau auf Diegos rechte Kniescheibe, während die Lenksäule wie ein Spieß auf sein Brustbein gerichtet war. Das ganze Auto war für Lana etwa so vertrauenerweckend wie eine gespannte Bärenfalle. Kaum zu glauben, dass so etwas einmal vieltausendfach brandneu aus irgendeinem Fabriktor gerollt war.

      Die Straße stieg etwas an und der Peugeot wurde langsamer. Diego griff nach dem riesigen Hebel, der aus der Lenksäule ragte und schaltete in einen tieferen Gang. Der Motor wurde lauter und mühsam quälte sich der Wagen die kurze Steigung empor.

      „Wieso kannst du mit so einem Urviech überhaupt umgehen?“, wollte Lana von Diego wissen, der sich wohl auch nicht ganz wohl fühlte. Jedenfalls machte er einen etwas verkrampften Eindruck, wie er da so hinter dem großen, aber spindeldürren, elfenbeinfarbenen Lenkrad saß.

      „Ein Onkel von mir sammelt Oldtimer“, war die Erklärung. „Da hab ich mal ein wenig herumprobieren dürfen.“

      „Du hast so ein Ding schon mal gefahren?“

      „Einen 58er Mercedes. Ist aber kein so großer Unterschied.“

      „Was machen wir eigentlich gleich in Mons?“

      „Das fragst du mich?“ Diego lachte. „Wir sind deinetwegen hier.“

      „Dann will ich zur Polizei. Ich will genau wissen, wie Felix gefunden wurde.“

      „Soll sein. Fragen wir sie aus!“

      Erleichtert nahm Lana zur Kenntnis, dass Diego sich an der Ausfragerei beteiligen würde. Sie hatte schon befürchtet, dass sie ganz auf sich allein gestellt wäre. Es war gerade mal Mittag und schon jetzt war sie von den Ereignissen des Tages völlig überfordert. Zuerst hatte Pascal sie ein Stück weit verfolgt, dann hätte sie fast der Lastwagen erwischt, Jean, der Hirte, hatte sie von einem Entsetzen ins andere gejagt, man hatte sie angegriffen und nun waren sie in einem geklauten Auto zur Polizei unterwegs. Es reichte! Das konnte doch alles nicht wahr sein!

      Das zweisprachige Ortsschild kam in Sicht und als Lana Mons / Mouns en Prouvence las, wurde ihr klar, wie weit draußen sie waren. Etliche Leute hier sprachen Provenzalisch als fast gleichberechtigte, zweite Sprache. Bestimmt gab es hier in der Gegend noch ein paar Bergnester, in denen man nur mit Französisch nicht weit kam.

      Diego stoppte den Wagen sofort am Ortseingang auf einem kleinen Parkplatz vor einer himmelhohen Felswand, und sie gingen zu Fuß weiter in den Ort.

      Die Polizeistation war geschlossen und ein Schild an der Tür besagte, dass man sich in Notfällen im Rathaus melden solle. Direkt neben der Tür war eine Notrufeinrichtung angebracht, mit der man Sprechverkehr mit Irgendwem in Irgendwo aufnehmen konnte. Das half Lana im Moment auch nicht weiter. Also auf zum Rathaus.

      Die Frau, die dort hinter dem Schalter saß, war sehr hilfsbereit, konnte aber keine Auskunft geben, weil sie nur aushilfsweise für die Gemeinde arbeitete. Sie hatte von der ganzen Sache auch nur beiläufig gehört. „Aber wenden Sie sich doch mal an Monsieur Lucas“, meinte sie. „Der weiß alles, was hier im Ort so vor sich geht.“

      „Und wo finden wir den?“ Lana war nicht gerade begeistert davon, sich gleich vielleicht mit der Mons-Ausgabe von Monsieur Bardane unterhalten zu müssen.

      Die Frau sah auf die Uhr an der Wand. „Oh, der hat jetzt Mittagspause und müsste um diese Zeit auf der Bank vor dem Friseurladen sitzen.“

      Lana ließ sich beschreiben, wo der Friseur zu finden war. Sie dankten der Frau und machten sich auf den Weg.

      Tatsächlich saß auf der Bank vor dem Friseur ein Mann in Maurer- oder Malermontur, der allerdings noch erheblich älter war, als Lana ihn sich vorgestellt hatte.

      „Monsieur Lucas?“, fragte Diego, als sie vor der Bank standen.

      „Ja?“ Der Mann schaute von der Zeitung auf, in der er gerade las.

      „Entschuldigen Sie, aber die Dame im Rathaus sagte uns, dass Sie uns vielleicht etwas über den Fall der alten Frau erzählen können, die kürzlich hier aufgetaucht ist.“

      „Sicher kann ich das.“ Der Mann legte die Zeitung zusammen. „Ist sie eine Verwandte von Ihnen?“

      „Eine Freundin“, sagte Lana, aber sie hatte es noch nicht richtig ausgesprochen, da wusste sie schon, dass das ein Fehler gewesen war.

      „Eine Freundin?“ Der Mann zog prompt die Augenbrauen zusammen und sah Lana zweifelnd an. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Es war bestimmt nicht einfach für ihn, sich eine Freundschaft zwischen der verwirrten, alten Dame und diesem jungen Mädchen vorzustellen, das hier vor ihm stand.

      „Eine Freundin der Familie“ korrigierte Lana schnell. „Ich glaube, meine Oma kennt sie.“

      „Ach so.“ Der Mann schien beruhigt zu sein. „Sagen Sie mal: läuft die eigentlich immer so rum?“

      „Wie? Was meinen Sie?“

      „Na, so angezogen. Wie ein junges Mädchen.“

      Klar, die Frage musste ja kommen, deswegen hatte Lana sich auch schon eine passende Antwort zurechtgelegt. „Sie ist Künstlerin. Macht so Sachen im subeditorialen Stil. - Beschriftete Skulpturen aus gedrahtetem Packpapier. Sie wissen schon.“

      „So sah sie auch aus.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Leute gibt’s. Die hätte ganz gut zu den komischen Leuten da oben auf dem Hof gepasst.“ Er deutete vage in die Richtung, in der der Hof des Inquisitors lag. „Die haben sie nämlich gefunden.“

      „Komische Leute?“ Diego tat so, als habe er noch nie etwas von irgendwelchen komischen Leuten gehört.

      „Genau! Sehr komische Leute“, bestätigte der Mann. „Eine Sekte oder so. Die leben da oben und machen Bio-Landbau. Ist ja nichts gegen zu sagen, wenn ich persönlich auch meine, dass ein wenig Kunstdünger nicht schadet. Schon mein Opa ...“

      „Bestimmt schadet das nicht!“, beeilte Diego sich zu sagen. „Und sonst? Was machen die sonst so?“

      „Ach, die beten viel und bleiben ganz für sich. Zur Messe kommen sie auch nicht. Ich glaube, das sind Protestanten. Die haben da sogar einen eigenen Pfarrer. Nur zum Markt, da kommen immer so zwei oder drei von denen.“

      „Komische