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still.

      Diego sitzt ganz ruhig da und hat zwei Finger der rechten Hand an seine Stirn gelegt. Seine Augen sind geschlossen und er wirkt völlig abwesend. Na klasse, die werden gleich wieder auf uns einprügeln und er nimmt sich mal kurz ´ne Auszeit.

      Auf einem Ast über uns beginnt ein Vogel zu zwitschern und fliegt plötzlich eilig davon. Auch das zeternde Geschrei der Zikaden erstirbt. Nun hört man nur noch den Wind, der in den Bäumen hinter uns rauscht.

      „Warum hast du sie hergebracht, diese Frau?“ Hasserfüllt sieht der Inquisitor Diego an und seine Augen verengen sich zu Schlitzen.

      „Welche Frau?“ Diego öffnet die Augen, schaut gespielt erstaunt und wendet sich mir zu „Diese hier? Wir machen einen Ausflug. Ist das verboten?“

      „Du weißt genau, welche ich meine. Die Alte, die, die ihr ausgesaugt habt! Warum bringt ihr sie hierher?“

      „Tut mir Leid, ich weiß nicht, wovon du redest. Ich hab mit meiner Freundin einen Ausflug in die Berge gemacht, mehr nicht!“

      „Du lügst!“ zischt der Inquisitor und geht einen Schritt auf den Porsche zu. Die Menge folgt ihm raunend und hält uns drohend ihre Waffen entgegen.

      „Wo ist hier eine alte Frau, die ich hierhergebracht hätte, ich sehe keine.“ Diego schaut sich dabei suchend um.

      „Du weißt ganz genau, wen ich meine. Die, die alt geworden ist durch eure Schuld! Die wir gerettet und nach Mons gebracht haben“, zischt der Inquisitor und reckt sein Kinn angriffslustig in unsere Richtung.

      „Ach ja?“ Diego wirft mir einen kurzen Blick zu. Mons! Unser nächstes Ziel, vermute ich. Die Frage ist nur, wie wir hier wegkommen sollen, mit zerstochenen Reifen. Ich spüre, wie mir der Schweiß aus allen Poren bricht, während Diego neben mir ganz gelassen seinen Smalltalk mit diesem verrückten Priester, oder was auch immer er darstellt, fortsetzt.

      „Und was sollte ich deiner Meinung nach mit dieser Sache zu tun haben?“

      „Darksider“, presst der Inquisitor zwischen seinen schmalen Lippen hervor. „Ich kenne euch. Ich erkenne euch auf tausend Schritte. Ich weiß was hier passiert ist. Darksider! Weiche! Verlasse unser Territorium! Verlasse unseren geheiligten Boden! Weiche!“, ruft er mit tiefer drohender Stimme. Speicheltröpfchen fliegen ihm von den Lippen. Er schwingt seinen Dreizack in unsere Richtung und wirkt dabei wie ein geifernder, bösartiger Racheengel. Seine grauen Augen durchbohren uns mit hasserfüllten wilden Blicken. Er macht mir Angst.

      Unsicher schaue ich zu Diego hinüber und glaube nicht, was ich sehe: Diego lächelt! Er lächelt das süßeste Diegolächeln und sagt ganz ruhig mit einschmeichelnder samtiger Stimme: „Ja, ich würde ja gerne weichen, aber deine Leute haben mir gerade die Reifen zerstochen.“

      Hat der ’nen Knall? Schnell sehe ich zurück zum Inquisitor. Der blinzelt etwas verwirrt. Seine Leute schauen ihn stumm an und manch einer senkt schuldbewusst seine Mistforke.

      Bevor der Inquisitor etwas sagen kann, steigt Diego aus dem Wagen und gibt mir mit der Hand ein Zeichen, es ihm gleich zu tun. Schnell steige auch ich aus und folge ihm. Egal was er vorhat, alles ist besser, als hier vor dieser wütenden Meute herumzusitzen und auf den nächsten Angriff zu warten.

      „Weißt du was, ich habe eine Idee, bestimmt hast du nichts dagegen“, redet Diego weiter in diesem merkwürdigen, samtigen Tonfall, während er meine Hand schnappt und auf den alten Peugeot zusteuert. „Wir leihen uns erstmal dein Auto, dann können wir weg und alle sind glücklich. Ist doch ein guter Plan oder?“

      „Ja?“ Der Inquisitor wendet sich um und schaut unsicher hinter uns her. Der Dreizack sinkt langsam dem Boden zu. Sein eben noch so hasserfülltes Gesicht ist jetzt zu einer ratlosen Fratze geworden.

      Zu meiner Verblüffung sehen uns alle nur erstaunt und wie erstarrt an, während wir in die Camionette steigen. Diego startet den Wagen. Holpernd und schaukelnd fahren wir an der Menge vorbei, die uns mit ungläubigen Augen und offenen Mündern hinterher schaut.

      Kaum sind wir in den Wald eingetaucht, da ertönt plötzlich ein wütender Schrei aus vielen Kehlen. Ich sehe, wie die Menge mit erhobenen Sensen und Forken hinter uns herstürmt, allen voran der Inquisitor mit wehenden Haaren und seinem merkwürdigen Dreizack. Diego haut krachend den nächsten Gang rein und wir schaukeln davon. Von unseren Verfolgern ist bald nichts mehr zu sehen.

      Ich wende mich dem offenen Fenster zu und atme tief ein, denn im Innenraum riecht es wie in einer Käserei. „Sag mal, was war das denn eben?“, will ich von Diego wissen.

      Diego grinst, während er scheppernd in den dritten Gang schaltet. „Was denn?“

      „Komm, verarsch mich nicht. Du weißt genau, was ich meine“, beharre ich. „Wie hast du die Leute dazu gebracht, nichts zu unternehmen, während wir in aller Seelenruhe ihren Wagen klauen?“

      „Also erstmal meine Liebe, wir haben diesen Wagen nicht geklaut, sondern nur geliehen, das habe ich ganz deutlich gesagt, und zweitens war ich ganz schön aufgeregt, ob mein Plan auch klappen würde. Schließlich hatte ich es noch nie mit so einer großen Menge von Leuten und ihren mächtigen Gefühlen zu tun.“

      „Hä?“ Mal abgesehen davon, dass mir sein schulmeisterlicher Tonfall ganz schön auf die Nerven geht, verstehe ich überhaupt nichts mehr.

      „Lana, lass mich erst Mal verschnaufen, das eben hat mich ganz schön angestrengt“, erwidert Diego und fasst kurz nach meiner Hand, so als ob er mir zeigen wolle, dass alles in Ordnung ist.

      Okay, ich verstehe zwar immer noch nicht, was da eben passiert ist, aber wenn er meint verschnaufen zu müssen, dann soll er. Trotzdem will ich es wissen und ich werde ihn später danach fragen, nehme ich mir fest vor. „Sie werden uns verfolgen!“

      „Wie denn, zu Fuß?“ Diego klingt spöttisch, während er mit einer Hand nach seinem Handy angelt und eine Nummer wählt. In aller Seelenruhe erzählt er jemandem von seinem Autoclub, wo sein Problem liegt und beendet das Gespräch.

      Wenig später klingelt sein Handy und er erklärt dem Mann von der Werkstatt, wo sich sein Wagen befindet, was damit passiert ist und wie sie ihn erreichen können, wenn der Wagen fertig ist. So ganz nebenbei erfahre ich jetzt endlich, dass er im La Bastide direkt gegenüber vom Neptune wohnt. Zum Schluss bestellt er noch einen Leihwagen nach Mons, gibt seine Kreditkartennummer durch und beendet das Gespräch.

      Ich beobachte Diego von der Seite und wieder einmal, wie schon so oft in letzter Zeit frage mich, wer da eigentlich neben mir sitzt. Darksider, so hat ihn der Inquisitor genannt. Was bedeutet das? Warum gibt es in dieser Einöde in den Bergen von Mons überhaupt so jemanden, der einen kreuzartigen Dreizack schwingt, sich Inquisitor nennt und ganz augenscheinlich Darksider hasst? Und diese Leute um ihn herum, die waren doch auch nicht ganz normal. Wer waren die überhaupt und warum sprachen die nicht französisch, sondern irgend so einen Mischmasch? Und dann sagte dieser verrückte Priester auch noch was von ausgesaugt. Was zum Teufel bedeutet das alles? Ich beobachte Diego von der Seite. Konzentriert lenkt der den alten Wagen über die kurvenreiche Straße.

      Ich hole den Stein von Jean aus der Hosentasche und betrachte ihn. Rotes Plastik, klar wie Fensterglas. Tatsächlich, es scheint ein Teil vom Rücklicht eines Autos zu sein. Was hat das alles nur zu bedeuten? Wieder schaue ich Diego an. Er bemerkt meinen Blick und ruft mir gegen den Motorenlärm des alten Peugeot zu: „Später Lana, später!“

      „Was für ein verrücktes Pack!“, stelle ich fest und versuche es mir trotz des Gestanks auf dem völlig durchgesessenen, klebrigen Polster einigermaßen bequem zu machen.

      „Du irrst dich“, kommt es da von Diego zurück. „Die sind weit weniger durchgeknallt, als du denkst.“

       30 MONS

      Als die Hauptstraße in Sicht kam, hatte Lana gehofft, dass das Gerüttel und Gestoße des Wagens gleich aufhören würde, aber das stimmte nur bedingt. Der steinalte Peugeot zeigte sich von dem asphaltierten Untergrund ziemlich unbeeindruckt und schaukelte