Christiane Weller / Michael Stuhr

Gesamtausgabe der "silent sea"-Trilogie


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mustert Celine kritisch und schaut uns dann der Reihe nach an. Schließlich hat sie wohl ihr Urteil gefällt, denn sie verkündet frohgemut: „Na, if du meinst, dass du da einer Chance hast, dann habe ich ganz bestimmt auch einer und dieser Mädchen hier auch!“ Mit diesen Worten grinst sie mich an und fragt mich direkt: „Oder, was denkst du?“

      Alain schaltet sich entschlossen ein: „Klar macht Lana mit! Wenn nicht sie, wer dann?“ verschmitzt lächelnd zwinkert er mir zu. Auch Pascal nickt mit ernstem Gesicht. Das ist das Erste, was er zur Unterhaltung beiträgt und ich hatte schon gedacht, er sei mit offenen Augen eingeschlafen.

      Alain ist auf meiner Seite. Er findet mich hübsch. Mir wird ganz warm ums Herz und um die Ohren, aber Celine schnaubt verächtlich „Lana? Die wird über ihre großen Füße stolpern.“

      „Und du wirst beim Intelligenztest versagen“, kontert Fleur schlagfertig.

      Mir schießt nur eins durch den Kopf: ‚Was zum Henker verbreitet mein Bruder, die kleine Ratte, über mich, wenn er bei Celines Bruder Paul zum Spielen ist? Was weiß Celine über meine Schuhgröße? Verdammt noch mal!

      „Verliert die Hoffnung nicht!“ Celine schüttelt mit verzogenen Lippen den Kopf, streicht sich noch mal über die Haare und rauscht davon.

      Felix schaut ihr mit vorgeschobenen Lippen hinterher und meint dann zu uns gewandt kopfschüttelnd: „Das ist nicht wirklich ein nettes Mädchen, oder?“ Wir prusten los und sehen, wie sich Celine wegen unserem Gelächter noch einmal zu uns umdreht. Dabei rennt sie fast gegen einen dunkelhaarigen Typen, der gerade die Bar betritt. Der schiebt sie achtlos wie eine Puppe beiseite und geht zielstrebig weiter ins eigentliche Restaurant.

      Celine schaut ihm einen Moment lang fassungslos nach und geht dann mit hochrotem Kopf weiter. Ich muss uns sehr loben, denn niemand von uns lacht. Jedenfalls nicht laut.

      Pauline streicht sich übertrieben affektiert ihre sowieso immer strubbeligen Haare nach hinten und meint mit hochgerecktem Kinn in gekünsteltem Tonfall „Also Mädels, üch mache auch mit!“

      „Na dann bin ich auch dabei“ sagt Fleur kichernd und reibt sich die Hände. Plötzlich seufzt sie betrübt und stützt ihr Kinn in die Hand. „Mmh“, verzieht sie den Mund, „jetzt bleibt nur noch ein Problem!“ Sie schaut uns alle ernst an „Wie überzeugen wir unsere Eltern?“

      „Oh“, flüstert Pauline, „die gibt es ja auch noch.“

      Zusammengesunken und etwas entmutigt starren wir eine Weile schweigend vor uns hin. Das wird wohl ein hartes Stück Arbeit werden, zumindest für mich und Pauline. Die Aussichten sind wirklich nicht gut.

      „Hey!“, meint Felix, die uns erstaunt beobachtet, „Was ist das Problem? Wir werden gehen und reden und peng, es wird klappen! Ich sag’s euch!“

      „Hähä!“ Pauline stößt ein kurzes, verzweifeltes Kichern aus, etwa wie das Eichhörnchen in Ice Age, „Du kennst meine Mutter nicht!“

      „Und meinen Vater auch nicht“, brummen Fleur und ich im Chor.

      Fleur seufzt, während sie aufsteht. Ihre Eltern signalisieren ihr gerade mit heftigen Gesten, dass das Essen serviert wurde.

      Pauline und ich folgen Fleur mit schweren Schritten, wie Gefangene an einer Kugelkette. Wie sollen wir dieses Wunder nur bewerkstelligen? Nur Felix tänzelt um uns herum als gäbe es überhaupt keine Probleme. Gibt es für sie ja vielleicht auch nicht. Mit bleischweren Gedanken gehe ich an den Tisch meiner Eltern, wo gerade für alle das Abendmenu zwei serviert wird. Woher ich das weiß? Weil wir immer das Abendmenü zwei nehmen – und wir nehmen auch nie an Schönheitswettbewerben teil!

       04 DER WÄCHTER

      Das Strandrestaurant des Neptune war wie jeden Abend gut besucht, aber in der letzten Reihe gab es auf einer Empore ein paar Tische, die über die ganze Terrasse hinweg einen guten Ausblick auf den Strand und das Wasser boten. Wem es nicht darum ging, gesehen zu werden, sondern selbst zu beobachten, der war hier bestens platziert, deswegen hatte er sich auch heute Abend wieder diesen Tisch reservieren lassen.

      Weit draußen auf Reede lagen ein paar große Yachten, die auf dem schimmernden Meer eine imposante Kulisse für den nahenden Sonnenuntergang abgaben. Er wusste nicht von allen die Namen, aber einige der Luxuskreuzer waren ihm so vertraut, dass er sie selbst aus dieser Entfernung mit Leichtigkeit erkennen konnte: Da war die Medusa, die mit ihrem hohen Aufbau fast alle Schiffe in ihrer Umgebung überragte, die gestreckte Silhouette der Habanera, einem der schnellsten Schiffe auf den Weltmeeren, und die gigantische Masse der Recife, die unter brasilianischer Flagge lief.

      All das waren Yachten, die den mächtigen Familien des Alten Bundes gehörten, einschließlich des 140-Meter-Kreuzers seiner Eltern, auf dem er praktisch aufgewachsen war. Die anthrazitfarbene Manhattan mit den silbergrauen Aufbauten war jahrelang seine Heimat gewesen, der einzig feste Punkt in einer ständig wechselnden Umgebung. Auf ihren Planken hatte er an der Seite seiner Eltern sämtliche Kontinente bereist, immer auf der Flucht vor den eigenen Erinnerungen.

      Erst vor zwei Jahren, kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag, hatten seine Eltern es wieder über sich gebracht, eine Villa im Hinterland von Grimaud anzumieten. Er selbst zog es zum Ärger seiner Familie vor, in einem der besseren Hotels in der Nähe des Wassers zu wohnen.

      „Bonsoir, Monsieur Montenaux!“ Der Kellner war herangekommen und stand nun mit gezücktem Bestellblock neben dem Tisch. „Was darf ich Ihnen bringen?“

      Der Mann riss sich aus seiner Nachdenklichkeit heraus und sah den Kellner kurz an. „Drei kleine Medallions vom Loup de Mer mit etwas Salat“, bestellte er. „Und Wasser bitte.“

      „Sehr wohl!“ Der Kellner deutete eine Verbeugung an und wandte sich dem nächsten Tisch zu.

      Für so eine extrem teure Gegend wie die Côte d’ Azur war die Strandbar des Neptune-Campingplatzes eine erstaunlich gute Adresse. Wenn es auch tagsüber nur das übliche Einerlei von Beignets, Pommes frites und Panini zu den Getränken gab, so wurde die einfache Bar am Abend zu einem Restaurant, dessen Angebot sich sehen lassen konnte. Außerdem waren die Preise nicht besonders hoch und die Außenterrasse lag direkt zwischen einem hübschen, kleinen Pinienwäldchen und dem Strand. Entsprechend gut war das Lokal besucht. Sämtliche Tische waren besetzt und die Angestellten hatten alle Hände voll zu tun.

      All das interessierte den jungen dunkelhaarigen Mann auf der Empore aber erst in zweiter Linie. Ihm ging es nicht nur um das vorzügliche Essen, und auf die Preise brauchte er nun wirklich nicht zu achten. Ihm war es vor allem wichtig, unauffällig unter Menschen zu sein, ohne ihnen allzu nahe zu kommen. Fast sein ganzes, bisheriges Leben hatte er isoliert auf der Yacht seiner Eltern verbracht, und er hatte sich noch nicht wirklich daran gewöhnen können, jetzt ein halbwegs normales Leben zu führen.

      Normal, das war das Wort, um das seit jenem unseligen Nachmittag am Pool seiner Eltern all seine Gedanken kreisten. Wie oft hatte er sich gewünscht, wie ein ganz normaler Junge in irgendeiner Vorstadtsiedlung leben zu dürfen, mit Eltern, die einer normalen Arbeit nachgingen und einem ganz normalen Schulalltag. Warum hatte er nicht normal aufwachsen können: mit schlechten Schulnoten, Krach zuhause und vielleicht mit ersten, zaghaften Erfahrungen mit Mädchen, mit vierzehn oder fünfzehn? Warum klebte dieser Fluch an ihm, etwas Besonderes zu sein, sodass er bis jetzt fast wie ein Mönch oder wie ein Gefangener hatte aufwachsen müssen?

      Er hatte nie eine Antwort auf diese Fragen gefunden, weil es keine Antwort gab. Er war in dieses Leben hineingeboren worden, ohne gefragt worden zu sein und jetzt musste er sehen, dass er irgendwie damit zurechtkam.

      Andererseits gibt es aber kaum einen Schmerz, den man mit ein paar Millionen Dollar nicht erträglicher machen kann. Manchmal dachte er ernsthaft darüber nach, ob er wirklich bereit war, den Lebensstil, der ihm in die Wiege gelegt worden war, aufzugeben. Die Antwort war nein, denn sonst hätte er es ja spätestens jetzt tun können. Zudem hätte sich die Normalität ja auch nur auf gewisse Äußerlichkeiten beschränkt. Die Gabe, die er erhalten hatte, wäre doch geblieben.