Sabine Roth

Die Wälder von NanGaia


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Ohren steil nach oben gestellt. Als könne es kein Wässerchen trüben. Trotzdem sang Nantai weiter, bis er sich der erhofften Wirkung vollkommen sicher war. Dann erst löste sich seine Anspannung. Dann erst blickte er dem Hund in die Augen und begann, in der Sprache der Waldbewohner mit ihm zu reden. „Sandten die Geistwesen dich zu mir, schwarzer Riese?“ fragte er sanft. „Weißt du denn, dass du mir gerade das Leben gerettet hast?“ Der Hund jaulte leise und fing an, seine Hände abzulecken. Verblüfft ließ Nantai die unerwartete Freundschaftsbekundung über sich ergehen. Bis der Hund plötzlich innehielt und lauschend den Kopf hob. Im nächsten Moment stimmte er ein freudiges Gebell an, das weit in den Park hinein klang. Wenig später hörte Nantai in der Ferne eine helle Frauenstimme rufen. „Räuber, wo bist du denn? … Räuber?!“ Räuber? Hatte er diesen Namen nicht schon einmal gehört? Und woher kannte er diese Stimme? Verwirrt blickte er zu dem Hund, danach an sich hinunter. Sein Hemd war zerrissen, Blut lief ihm von Schultern und Brust. Er sah schrecklich aus - und fühlte sich ebenso. In diesem Zustand wollte er der Besitzerin der Stimme auf keinen Fall gegenüber treten - wer immer sie auch sein mochte. Entschlossen trat er einen Schritt zur Seite, um der Begegnung im Schutz der Dunkelheit zu entfliehen. Und erntete im selben Augenblick ein solch empörtes Knurren des Hundes, dass er sein Vorhaben sofort wieder aufgab. Er musste warten, bis die unbekannte Ruferin ihn erlöste. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn erreichte - eine zierliche junge Frau mit kinnlangen, hellen Locken, die im Schein der Laternen golden glänzten. Und trotz des schwachen Lichtes erkannte er sie sofort. Er war ihr beim Laufen immer wieder begegnet, ihr und dem Hund. Deshalb waren ihm ihre Stimme und der Name Räuber so vertraut gewesen…- und die Überraschung in ihrer Miene zeigte, dass auch sie sich an ihn erinnerte. Doch dann sah sie sein zerfetztes Hemd, sah das Blut auf seiner Brust, und ihre Überraschung wich Entsetzen. „Mein Gott, was ist mit Ihnen passiert?! Räuber, was hast du getan?!“ Sie packte den Hund grob am Halsband, legte ihm die Leine an, und wandte sich Nantai wieder zu, das blanke Grauen im Gesicht. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie Leid mir das tut…“ Es sprudelte förmlich aus ihr heraus, „…Räuber ist zwar oft recht ungestüm, aber er hat noch nie einen Menschen angegriffen… ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist… normalerweise hört er ja auf mich, deshalb hatte ich ihn nicht angeleint, es ist ja auch niemand mehr unterwegs um diese Zeit… aber er ist mir einfach weggelaufen… wenn ich geahnt hätte...“ Ihre Stimme brach. Jetzt endlich fand Nantai seine Fassung wieder. „Bitte beruhigen Sie sich, Ihr Hund hat mich nicht angegriffen. Er hat mir im Gegenteil sogar das Leben gerettet.“ Und begriff erst in diesem Augenblick, wie knapp er dem Tode tatsächlich entronnen war. Und im selben Augenblick entfaltete der erlittene Schock seine Wirkung. Nantai begann haltlos zu zittern, seine Beine versagten ihren Dienst, und er sank in die Knie, fühlte das schmerzhafte Pochen der Wunden im ganzen Körper widerhallen. Das darf nicht wahr sein. Mit geschlossenen Augen hockte er auf der Erde und versuchte irgendwie, seine aufgewühlten Sinne zu beruhigen. … spürte plötzlich eine Hand, die tröstend über seinen Rücken strich …. Verblüfft öffnete er die Augen. Verlegen lächelnd zog die Frau ihre Hand zurück. „Sie brauchen dringend einen Arzt“ sagte sie rasch. „Ich fahre Sie jetzt ins Krankenhaus. Außerdem müssen Sie zur Polizei gehen, und Anzeige gegen denjenigen erstatten, der sie so übel zugerichtet hat.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich brauche keinen Arzt! Und erst recht keine Polizei. Wissen Sie denn nicht, wie man dort mit uns Wilden umgeht?“ Ein bitterer Ton schwang in seiner Stimme mit. Er hatte zu Beginn seines Aufenthalts mehrfach unliebsame Bekanntschaft mit den Gesetzeshütern gemacht, weil er unwissentlich eines der zahlreichen Gesetze Megalaias missachtet hatte. Und viel zu oft hatten sie ihn wie ein Verbrecher behandelt. Einmal hatte er sogar zwei Tage in einer Arrestzelle verbracht - eine Erfahrung, die er nie wieder machen wollte. Ausgerechnet diese Polizei um Hilfe zu bitten, kam für ihn nicht in Frage. Selbst um den Preis, dass der Angriff auf ihn dann ungestraft blieb. Die Frau seufzte. „Aber ich kann Sie nicht einfach Ihrem Schicksal überlassen. Wenn Sie nicht zu einem Arzt gehen wollen, werde ich mich wohl selbst um Sie kümmern müssen.“ „Das müssen Sie keineswegs.“ Nantai starrte trotzig zu Boden. „Ich komme alleine zurecht.“ Sie schwieg, von seinem abweisenden Verhalten sichtlich irritiert. Aber dann siegte ihr Bedürfnis, ihm zu helfen. "Ich werde Sie hier auf keinen Fall zurücklassen" erklärte sie energisch. Nantais Stolz verbot ihm, ihre Hilfe anzunehmen. Auf der anderen Seite blieb ihm keine andere Wahl. Seine Wunden bluteten stark und schmerzten, sie mussten dringend behandelt werden. Und seine Wohnung lag zu weit entfernt, um in diesem Zustand zu Fuß nach Hause zu gehen. Den Bus oder ein Taxi nehmen konnte er allerdings ebenso wenig - die Fahrer würden bei seinem Anblick sofort die Polizei rufen. Hilflos zuckte er die Schultern. „Dann müssen Sie mir verraten, wie Sie mir helfen wollen, ohne einen Arzt hinzuzuziehen.“ Sie lächelte erleichtert. „Ich bin Medizinerin, jedenfalls beinahe, und werde Sie deshalb bei mir zuhause versorgen. Wenn Sie wollen, können Sie heute Nacht auf meinem Sofa schlafen - und morgen, wenn es Ihnen besser geht, fahre ich Sie nach Hause. Einverstanden?“ Was blieb ihm anderes übrig? Notgedrungen stimmte er zu. Den stützenden Arm seiner Helferin auf dem Weg zu ihrem Wagen hingegen lehnte er dankend ab. Ihr Hund zeigte sich allerdings weniger rücksichtsvoll als sie, und versuchte immer wieder voller Übermut an Nantai hochzuspringen. Bis ihn die strenge Rüge seiner Besitzerin endlich zur Räson brachte. „Räuber – Schluss jetzt! Lass den armen Mann in Ruhe!" Den Rest der Strecke trottete der Hund so brav neben ihm her, dass Nantai trotz der Schmerzen schmunzelte. Die so zart wirkende Frau schien das riesige Tier gut im Griff zu haben. Kein Wunder! Ich tue ja auch, was sie will… Wenig später saß er in ihrem Auto, hielt ein Tuch aus dem Verbandkasten auf seine Wunden gepresst, und starrte stumm auf die Lichter der Stadt, die draußen so rasch vorüber zogen. Erst nach einiger Zeit wandte er sich seiner Helferin zu... und musterte sie verstohlen. Von all den Begegnungen waren ihm lediglich ihre zierliche Figur und die blonden Locken in Erinnerung geblieben. Ihr Gesicht hatte er nie richtig wahrgenommen – und vorhin zu sehr unter Schock gestanden, um sich mit ihrem Aussehen zu beschäftigen. Ob sie blaue Augen hatte? Oder, was bei hellen Haaren seltener vorkam, braune - wie er? Aber er konnte ihr Gesicht im diffusen Licht der Straßenlampen nur schemenhaft erkennen. Nur ihre Hände sah er deutlich. Lang und schmal, umfassten sie das Lenkrad, und steuerten den Wagen in bewundernswerter Ruhe durch die Straßenschluchten Megalaias. Er verzog das Gesicht. Er selbst besaß keinen Führerschein, hatte weder Zeit noch Geld für den Erwerb gehabt … und hätte sich, davon abgesehen, ohnehin kein Auto leisten können. Die Frau warf ihm einen flüchtigen Blick von der Seite zu – und missdeutete seine grimmige Miene als Folge der Schmerzen. „Keine Sorge, es dauert nicht mehr lange!“ Kurz darauf bogen sie in eine der ruhigeren Seitenstraßen im Zentrum Megalaias ein und hielten vor einem gepflegten Apartmenthaus an. „Wir sind da.“ Räuber rannte voran, die Treppe hinauf, in den ersten Stock. Nantai und die Frau folgten deutlich langsamer. Oben angekommen, stand Nantai schwer atmend vor der Tür und verfluchte im Stillen seinen erbärmlichen Zustand, während die Frau nach dem Schlüssel kramte. Dann fiel sein Blick auf das silberfarbene Schild neben der Tür. ‚D. Miller’ stand dort - und wieder schmunzelte er. Trotz Schwäche und Schmerzen. Er wusste nicht einmal ihren Namen! ..und sie nicht den seinen. Sie räusperte sich. „Darf ich?“, schob ihn sanft zur Seite, und steckte den Schlüssel ins Schloss. „Bitte nach Ihnen…“ Erneut stürmte Räuber voran, während Nantai nur zögerlich folgte. Er fühlte sich wie ein Eindringling, als er durch die kleine Diele ins Wohnzimmer trat, wo Räuber neben dem leeren Futternapf Stellung bezogen hatte. Er blickte sich um. Das Zimmer war groß und mit Küchenzeile, Sofa, und schlichten Holzmöbeln ausgestattet, die gut zu den üppig wuchernden Pflanzen vor dem großen Fenster passten. Erst als die Frau ins Zimmer trat und zum Kühlschrank eilte, löste er den Blick von der grünen Pracht. Beobachtete, wie sie eine angebrochene Dose herausnahm und den Inhalt in Räubers Napf leerte. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit Nantai zu. „Jetzt sind Sie an der Reihe! Bitte machen Sie den Oberkörper frei und legen sich dorthin, damit ich Sie untersuchen kann!“ Sie wies auf das Sofa. Er zog sein Hemd aus, und legte sich wie befohlen hin. Wartete ergeben, bis sie mit einer dunklen Tasche aus dem Badezimmer zu ihm kam. „Zuerst muss ich die Wunden desinfizieren…“ Sie kramte ein Fläschchen und sterile Tücher aus der Tasche. „Das wird jetzt ziemlich brennen“ warnte sie, und tränkte eins der Tücher mit einer dunklen Flüssigkeit. Er spürte rasch, wie berechtigt diese Warnung war. Ein solch stechender Schmerz schoss durch seinen Körper, dass er sich unwillkürlich verkrampfte. Sie hielt inne. „Soll