Sabine Roth

Die Wälder von NanGaia


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sie kommen! Er hatte keine Angst. Dann waren sie bei ihm, und starrten ihn an. Ihre Messerklingen glänzten bedrohlich im Laternenlicht. „Hey, du Halbaffe! Was hast du hier in unserem Park zu suchen?“ Der größte der vier, ein kräftiger Kerl mit ungepflegtem, struppigem Bart und einer Mähne, die ein verdrecktes Tuch kaum bändigte, baute sich vor ihm auf, und musterte ihn derart verächtlich, dass Nantai sich nur mit Mühe beherrschte. „Entschuldigung, ich wusste nicht, dass dies euer Park ist“ murmelte er, und senkte den Kopf. Auch wenn er den Kampf nicht fürchtete, riet ihm ein Rest von Vernunft, diesen zu vermeiden. „Seht doch!“ erklärte der Bärtige spöttisch „Dieser Wilde hat Angst vor uns! Und das völlig zu Recht!“ Mit zusammengekniffenen Augen starrte er Nantai an. „Du wirst jetzt vor mir auf die Knie fallen, meine Füße küssen, und um Verzeihung bitten, dass du dich in unserem Revier herumtreibst. Vielleicht sind wir dann ausnahmsweise gnädig mit dir. Vielleicht belassen wir es dann bei einer Tracht Prügel. Ansonsten…“ Sein Gesicht verzog sich zu einer widerlichen Grimasse, „…Ansonsten werden wir dir dein dreckiges Fell abziehen, bevor wir deine Überreste an die streunenden Hunden verfüttern - falls sie so was wie dich überhaupt fressen!“ Das war zu viel. Der verletzte Stolz ließ ihn jegliche Vorsicht vergessen. „Du wirst gleich sehen, was ich tun werde!“ zischte Nantai wutentbrannt, und ehe der Bärtige sich versah, lag er rücklings auf dem Boden, die Hände stöhnend auf den Unterleib gepresst. Seine drei Kumpane reagierten jedoch unerwartet rasch - und stürzten sich brüllend auf Nantai. Dem ersten Messerhieb konnte er noch ausweichen. Aber der zweite traf ihn an der Schulter. Der stechende Schmerz, und sein rasender Zorn verliehen Nantai unbändige Kräfte. Blitzschnell packte er den Arm des Messerstechers und verdrehte ihn, sodass der Mann das Messer mit einem Aufschrei fallen ließ. Im nächsten Augenblick streckte ein Faustschlag ihn nieder. Jetzt standen Nantai nur noch zwei Angreifer gegenüber: ein untersetzter Glatzkopf und ein blonder, eher schmächtiger Kerl. Keuchend stierten sie ihn an, die Pupillen unnatürlich geweitet. Sie waren nicht betrunken, wie er geglaubt hatte. Sie standen unter Drogen. Und diese machten sie gefährlich. Unter normalen Umständen hätten sie jetzt nämlich die Flucht ergriffen. Unter normalen Umständen wäre die Auseinandersetzung jetzt zu Ende gewesen. Aber der Rauschzustand verlieh ihnen Mut, und sie griffen Nantai an, furchtlos, und schneller als er dachte, wenn auch unkoordiniert. Und fanden sich deshalb Sekunden später auf dem Boden wieder. Schwer atmend, und kochend vor Zorn, starrte Nantai auf sie hinunter. Sollte er sie die eigene Klinge fühlen lassen, damit sie sich noch lange an ihn erinnerten? ...Er entschied, es nicht zu tun. Sie waren den Ärger nicht wert, den er sich einhandelte. Er würde gehen, auch wenn ihr Angriff damit ungesühnt blieb. Doch er hatte zu lange gezögert. Denn als er sich umwenden wollte, traf ihn ein heftiger Schlag am Kopf und warf ihn zu Boden. Geblendet vor Zorn, hatte er nicht bemerkt, dass sich der Bärtige hinter seinem Rücken aufgerappelt, und mit einem Stock bewaffnet herangeschlichen hatte. Und sie nutzten Nantais Hilflosigkeit - mitleidlos, und ohne Gnade, ließen sie ihrer sinnlosen Wut nun freien Lauf, und traten auf ihn ein, während er am Boden lag, zu benommen, um sich zu wehren. Bis der Bärtige ihnen unvermittelt Einhalt gebot. „Hört auf damit“ brüllte er, „ich habe eine bessere Idee! Hoch mit ihm!“ Gehorsam zerrten sie Nantai hoch und hielten ihn fest. „Du bist ein zäher Brocken. Und dem Anschein nach unbelehrbar…“ Mit einem unheilvollen Grinsen trat der Bärtige auf Nantai zu. Hielt ihm die Messerklinge dicht vors Gesicht. „Oder willst du uns um Verzeihung bitten?“ In seiner Stimme lag eine Kälte, die schlimmer war als Wut. Nantai gefror das Blut in den Adern. Und zum ersten Mal begann er, um sein Leben zu fürchten. Aber er zeigte die Angst nicht. Er wollte sich keine Blöße geben. Nicht vor ihnen. Blickte seinem Peiniger scheinbar unbeeindruckt in die Augen, und schüttelte den Kopf. „Dann werde ich dir also wie versprochen das Fell abziehen.“ Genüsslich ließ sich der Bärtige diese Worte auf der Zunge zergehen. Dann packte er Nantais Hemd, und zerriss es. Starrte grinsend in dessen Gesicht, während seine Klinge in Nantais Haut drang, und eine blutige Spur darin zog. Würde dieser störrische Wilde nun endlich um Gnade flehen? Aber Nantais Miene zeigte keine Regung – und der Zorn des Bärtigen wuchs schier ins Unermessliche. „Diese Behandlung scheint dir zu gefallen“ höhnte er und blickte seine Kumpane triumphierend an. „Aber natürlich! Habe ich nicht vor kurzem gelesen, dass diese Wilden ihre Tapferkeit beweisen, indem sie Schmerzen klaglos ertragen?“ Als die drei seine Bemerkung mit brüllendem Gelächter quittierten, wandte er sich Nantai wieder zu. „Sicher wirst du gerne hören, dass ich noch lange nicht fertig mit dir bin“ tönte er, von der Reaktion seiner Kumpane sichtlich beflügelt. „Du kannst uns deine Tapferkeit zu genüge beweisen, ehe wir dich zu deinen Ahnen schicken!!“ Jetzt verlor Nantai die Beherrschung. All sein Zorn, all seine Schmerzen entluden sich in einem gewaltigen Schrei, als er sein Knie in den Unterleib des Bärtigen rammte, der stöhnend zu Boden sank. Den Überraschungseffekt nutzend, gelang es ihm noch, sich von zweien seiner Peiniger loszureißen. Doch ausgerechnet der schmächtigste der vier ließ sich nicht rasch genug abschütteln. Verbissen klammerte sich der Mann an Nantais Arm fest, ließ sich selbst von Faustschlägen nicht beeindrucken - und verschaffte seinen beiden Kumpanen Zeit. Und obwohl Nantai sich mit aller Kraft gegen sie wehrte, obwohl er jedem einzelnen von ihnen weit überlegen war, musste er sich ihnen nun geschlagen geben. Ungeachtet seiner heftigen Gegenwehr zerrten sie seine Arme auf den Rücken, und verdrehten sie, sodass er sich nicht mehr rühren konnte. In dieser Stellung hielten sie ihn fest. Keuchend vor Anstrengung, und sichtbar stolz auf ihren Sieg, warteten sie auf den Befehl ihres Anführers, der sich mühsam erhob. „Passt gefälligst besser auf, ihr Vollidioten“, zischte er seine Kumpane an, das Gesicht vor Schmerz und Zorn verzerrt, „oder wollt ihr, dass der Kerl uns die Polizei auf den Hals hetzt, ehe wir mit ihm fertig sind?“ Er riss sich das Tuch vom Kopf. „Haltet ihn fest, damit ich ihm das Maul stopfen kann...“ Eine Welle von Ekel und Angst überrollte Nantai, als sie seinen Kopf an den Haaren nach hinten rissen und ihm das stinkende Tuch in den Mund steckten. „Bekommst du es endlich mit der Angst zu tun?“ tönte der Anführer, „Hattest du etwa gehofft, dass wir bluffen?“ Sein Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. „In diesem Fall muss ich dich leider enttäuschen. Aber vielleicht tröstet dich die Aussicht auf die Begegnung mit deinen verstorbenen Ahnen ein wenig über dein trauriges Ende hinweg.“ Das grölende Gelächter seiner Kumpane folgte auf diese Worte. Während Nantai zu Stein erstarrte. Das durfte nicht wahr sein! Er würde nicht sterben!! Nicht hier, und nicht durch ihre Hand! Aber die Mienen seiner Peiniger sagten etwas anderes, und er schloss die Augen, um den blinden Hass in ihren Gesichtern nicht mehr sehen zu müssen. Seine Seele floh vor dem, was nun geschah. Zog sich in eine Welt zurück, in der die Klinge des Mannes nicht mehr spürte. Bis plötzlich, wie aus weiter Ferne, ein Furcht erregendes Bellen in seine Ohren drang und ihn wieder in die Welt der Schmerzen zurückholte. Nur widerwillig öffnete er die Augen – und sah aus dem Gebüsch am Wegrand einen riesigen schwarzen Hund auf sich zustürmen. Aber auch seine Peiniger hatten die drohende Gefahr bereits bemerkt. Sie hielten erschrocken inne und glotzten das Tier an, starr vor Schrecken, und zugleich vollkommen verblüfft. Doch als der Hund sich auf sie stürzte, löste sich ihre Starre, und die Griffe um Nantais Arme lockerten sich. Entsetzt, und wild durcheinander brüllend, rannten die Männer in wilder Panik davon. Allein der Bärtige konnte nicht weglaufen. Das tobende Tier hatte ihn am Arm gepackt und biss so kräftig zu, dass der Mann das Messer mit einem Schrei fallen ließ. Dann erst gab der Hund ihn frei, und er folgte seinen Kumpanen in die Dunkelheit, stöhnend und fluchend, den blutendem Arm an den Körper gepresst. All dies hatte sich innerhalb weniger Sekunden abgespielt. Noch immer benommen, riss Nantai den Knebel vom Mund und atmete tief ein. Fühlte dankbar, wie die kühle Nachtluft in seine Lungen drang, und wie sein Kopf allmählich klarer wurde. Er war wieder frei – und am Leben! Ein gütiges Schicksal hatte diesen Hund zu seiner Rettung gesandt…Verwundert blickte er dem Tier hinterher, das den vier Männern wütend bellend nachjagte. Die Gefahr schien vorüber. Doch ein weiteres Mal täuschte er sich. Anstatt den Fliehenden weiterhin zu folgen, blieb der schwarze Riese plötzlich stehen und wandte sich um. Ein tiefes Grollen drang aus der Kehle des Hundes, während er auf Nantai zutrabte, und sich so viel Zeit dabei ließ, als wisse er, dass dem Waldbewohner die Kraft zu fliehen fehlte. Nantai sah der unerwarteten Bedrohung hilflos entgegen. Er war zu geschwächt, um einen Angriff des gewaltigen Tiers abzuwehren. Was sollte er tun? Ohne darüber nachzudenken, begann er zu singen. Legte all die verbliebene Kraft in die Melodie, mit der er den Tieren der Wälder mitteilte, dass er ein Freund war - und hoffte inständig,