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Rainer Schulz
Wer schreibt der bleibt?
DDR-Autoren nach ihrem Leben befragt
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Inhaltsverzeichnis
ZUR ENTSTEHUNG
1953 wurde ich in Ostberlin, genauer Friedrichshain, geboren. Sechs Monate, nachdem sowjetische Panzer den Aufstand der Arbeiter gegen die Normerhöhung, das SED-Regime oder beides, erstickt haben. Am 17. Juni 53 übrigens, machte mein späterer Onkel, damals 23 Jahre alt, aus dem Fenster unserer Wohnung in der Langenbeckstraße dieses Foto:
Die Bildqualität ist nicht deshalb so schlecht, weil der Mann nicht fotografieren konnte; das konnte er sehr wohl. Aus Angst entdeckt zu werden, fotografierte er durch das geschlossene Fenster. Was mag damals wohl in ihm vorgegangen sein?
Einige Jahre später, 1956, ließen sich meine Eltern scheiden. Meine Mutter erhielt das Sorgerecht. Sie ging im Jahr darauf in den Westen, ich blieb bei meinen Großeltern. Die beiden Alten waren immer für mich da, haben mich nie eingeengt und mir Werte vermittelt, typisch preußische, die mir heute noch wichtig sind. Meine Eltern haben auch niemals gegeneinander gehetzt. Sie achteten sich – und gingen sich aus dem Weg.
Dann wurde die Mauer, zu deren Bau noch Tage zuvor niemand die Absicht hatte, trotzdem gebaut. Das war ein schwerer Schlag. Wie sagt heute ein bekannter Fernsehmoderator: „Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft.“
Meine Mutter war nach Westdeutschland, Frankfurt am Main, verzogen. Nachdem Republikflüchtlinge, die vor dem 13. August 1961 die DDR verlassen hatten, amnestiert worden waren, durfte sie uns regelmäßig besuchen. Das waren immer große Ereignisse; freudig die Anreise, tragisch die Abreise. Erste Gedanken, mich „illegal rüber zu holen“ wurden als zu gefährlich verworfen. Parallel dazu lief ein Ausreiseantrag, und noch einer, und noch einer ... Irgendwann war das Unternehmen von Erfolg gekrönt, und das kam so: In dem Haus in dem meine Mutter wohnte, lebte ein Journalist des Hessischen Rundfunks mit seiner Frau. Die beiden hatten zwei Kinder im Osten. Der Mann hatte die Idee, eine Reportage über Eltern im Westen – Kinder im Osten zu machen. Davon erfuhren Behörden der DDR. Der Rest ging recht einfach: Kinder gegen Film. Ich war in diesem Handel sozusagen ein Anhängsel, mit finanzieller Unterstützung des „Ministeriums für Innerdeutsche Angelegenheiten“ (So etwas gab es damals tatsächlich).
Am 17. November 1967, elf Tage vor meinem 14. Geburtstag, reiste ich völlig legal, im Rahmen der Familienzusammenführung, aus.
Der goldene Westen. Es war eine gewaltige Umstellung. Waren vorher meine Großeltern ständig präsent, so war ich mit einem Mal den ganzen Tag allein und auf mich selber gestellt, denn meine Mutter war „Alleinerziehende“ und den ganzen Tag berufstätig. Und dann die neue Welt. Ich erinnere mich noch, dass ich öfter an den Flughafen fuhr, nur um mir die Abflugtafel der Flüge anzuschauen.
Das Warenangebot war erschlagend. Der Nutzen jedoch begrenzt. Gab es in der DDR kaum Waren, aber relativ viel Geld, war das im Westen genau umgekehrt; für uns jedenfalls. Die Grenzen des Wohlstandes zeigten sich.
Aber nach einiger Zeit klappte das, was man wohl Integration nennt. Politisch orientierte ich mich, wie die Meisten in meinem Alter gegen Ende der Sechzigerjahre, links. Die Grenze dieser Einstellung war jedoch scharf: Immer wenn meine Mitstreiter begannen über Marx oder Lenin zu schwadronieren –was ich ohnehin besser konnte als sie, kein Wunder dank der 26. Oberschule in der Ostberliner Straßmannstraße- war diese erreicht. Bis heute habe ich meinen Frieden nicht „mit dem real existierenden Sozialismus“ und seinen Protagonisten gemacht. Das wird wohl auch nichts mehr.
Ich schaffte dann ein leidliches Abitur, eine Lehre als Bankkaufmann, und schließlich eine vorzeigbare berufliche Karriere in der Finanzbranche.
Den Kontakt zu meinem „Ostvater“ nahm ich nach einiger Zeit wieder auf. So wie meine Mutter früher regelmäßig ihren Sohn im Osten besuchte, besuchte ich nun regelmäßig meinen Vater dort. Ich war eben ein richtiges Ost-West-Männchen.
Mein Vater war in den Siebziger- und Achtzigerjahren in der DDR ein recht erfolgreicher Schriftsteller geworden. Nicht in den Sphären von Stefan Heym oder Christa Wolf. Aber er konnte ganz gut davon leben, wie ich beobachtete. Und er hatte Privilegien. Er durfte sogar reisen, so 1986 auf Einladung des Publizisten Armin Mohler, zur Siemensstiftung nach München. Seine Bücher waren schnell verkauft, und von den Schwierigkeiten, die er hatte, bis sie endlich erschienen sind, wusste ich nicht viel.
1987 kam ich berufsbedingt nach Westberlin; unser Kontakt wurde enger.
Am 9. November 1989 meldete sich unser Radiowecker mit dem SFB: „Berliner, macht den Fernseher an, die Mauer ist offen!“ Da hatte das Ost-West-Männchen doch tatsächlich den Mauerfall verpennt.
Die Euphorie war unbeschreiblich, vor allem in Berlin. Je weiter man nach Westen kam, desto mehr nahm diese allerdings ab. 1990 sprach ich mit einem Frankfurter Bankerkollegen, Jahrgang 1950, der sagte mir: „Wissen Sie Herr Schulz. Ich freue mich auch über die schönen Bilder im Fernsehen. Aber eigentlich habe ich keinen Bezug dazu. Meine Sorge ist nur, dass das Ganze verdammt teuer wird.“ Der Mann sollte aus seiner Sicht recht behalten. Die Euphorie wich einer Ernüchterung, die am Ende bei manchen in eine tiefe Ablehnung mündete. Der Besser-Wessi traf auf den Jammer-Ossi. Es gab in dem großen Spiel Gewinner und Verlierer; Gewinner wohl auf beiden Seiten, Verlierer mehr im Osten. Mein Vater gehörte nicht zu den Siegern.
Zwar erschienen noch ein paar Bücher von ihm, weil es noch alte Verträge gab, dann aber stellte ihn der Verlag vor die Frage, ob die noch vorhandenen Bücher entsorgt werden sollen, oder ob er sie abholen möchte.
Als es