Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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gehörte.

      Sie hatten aufgegessen und verließen den Burgerladen. Die metallenen Schiebetüren des Fahrstuhls zurück in den Leckenden Nachttopf waren nicht mehr weit entfernt.

      »Wenn du erst in Hochwärts bist, wirst du sicher manches besser verstehen. Es wird dir gefallen.«

      »Das kannst du direkt vergessen, Hagweed«, unterbrach Heinrich entschieden. »Falls du glaubst, ich ginge jemals ...«

      »Gibt jede Menge netter Mädels dort.«

      »Hm, wie viele nette Mädels?«

      Hagweed lachte. »Na bitte, so gefällst du mir schon besser. Ich hoffe, du besuchst mich dann mal. Meine Tür ist immer offen für dich, Bruder. Und das ist sie längst nicht für jeden.«

      Am Fahrstuhl angekommen, fischte Hagweed eine Spielkarte aus der Hosentasche und schob sie Heinrich in die Brusttasche seines Poloshirts. »Hier, die wirst du morgen brauchen.« Die Fahrstuhltüren öffneten sich. »Hör zu, Heinrich, auch wenn ich dir heute noch nicht die ganze Geschichte erzählen kann, muss ich dir noch was sagen: Ich gondele normalerweise nicht in der Weltgeschichte herum und helfe den Erstklässlern beim Einkaufen, aber hier haben wir beide es mit etwas von Bedeutung zu tun, verstehst du?

      Du wirst im Gefüge der Zeit noch eine Rolle zu spielen haben. Und ich ebenfalls. Egal, welches Leben du bisher geführt hast, es wartet ein anderes auf dich. Du bist wichtig für unsere Welt, da bin ich mir sicher, Heinrich, das spüre ich. Dieses Gefühl hat mich bisher nie getrogen und das tut es auch diesmal nicht. Pass auf dich auf, Alter.«

      Vor Heinrichs verwirrtem Blick schloss sich die Fahrstuhltür, und Hagweed und die in der Abendsonne glühende Winkel-Mall entschwanden seinen Blicken.

      17

      Polosers Pager piepste. Um ihn herum war es so laut, dass er es zunächst gar nicht wahrnahm. Erst als Gewaltrat Panik ihn scheel von der Seite anschaute, wurde Poloser auf das Geräusch aufmerksam. Er grinste entschuldigend und manövrierte sich aus dem Pulk der lauthals über die Zuständigkeiten Streitenden heraus. Das Büro war gerammelt voll. Außer Dr. Schmelzer, Dunkel, Miesmann und Panik waren mittlerweile auch Angstrat Ernst Widrig, zuständig für Furcht und Verzweiflung, und Major Werner Zoff vom operativen Zentrum für Tarnung und Täuschung hinzugekommen.

      Poloser zog den Pager aus der Tasche und stellte das Piepsen ab. Die Botschaft auf dem Display war kurz. Und sie ließ ihn fast spontan in lauten Jubel ausbrechen! Konnte das sein? Das lief ja besser als erwartet! Dann überlegte er und ließ den Blick durch das überfüllte Büro schweifen. Sollte er den hitzig Diskutierenden sofort mitteilen, dass es auf dem Weg zur Realisierung seines Plans bereits erste Erfolge gab? Vielleicht ließen sie sich dann endlich dazu herab, die Diskussionen einzustellen und Taten folgen zu lassen. Andererseits ... es war vielleicht besser, wenn sie vorläufig nicht erfuhren, dass er auf eigene Kappe Maßnahmen in die Wege geleitet und damit klar seine nicht vorhandenen Kompetenzen überschritten hatte. Sie wären bestimmt nicht begeistert, wenn ausgerechnet ein Greenhorn wie er ihnen das Heft des Handelns aus den Hufen nahm.

      »Poloser?«

      Poloser zuckte zusammen wie ein ungezogenes Kind, das mit dem Finger im Marmeladenglas erwischt wird. Doch Gewaltrat Panik legte ihm versöhnlich den Huf um die Schultern. »Poloser, es wird Sie freuen zu hören, dass wir uns geeinigt haben«, sagte er. Poloser stellte neugierig die Ohren auf. Eine Einigung?

      »Einigung würde ich das nicht gerade nennen«, widersprach Dr. Schmelzer. »Sagen wir, wir haben uns auf eine gemeinsame Linie zum weiteren Vorgehen verständigt.«

      »Wie auch immer. Ich sage Ihnen, wie wir’s machen«, fuhr Panik fort. »Sie bereiten eine schicke Präsentation für uns vor und morgen Nachmittag, wenn auch die anderen wieder da sind, treffen wir uns alle im kleinen Sitzungssaal und schauen uns Ihren netten kleinen Plan noch mal aus der Nähe an. Was sagen Sie dazu?«

      »Moment, morgen? Geht nicht, da habe ich Urlaub«, fuhr Miesmann Panik in die Parade. »Wie wär 's mit nächstem Dienstag?«

      »Nein, da ist der Chef auf dem Führungskräfteseminar. Aber Mittwoch ...«

      Poloser hörte nicht mehr zu. Eine Präsentation vorbereiten! Mein Gott, egal, ob morgen, übermorgen oder sonstwann, in der Oberwelt vergingen bis dahin Wochen! Nur der Herr der Finsternis selbst mochte wissen, welche Abwehrmaßnahmen die Magier sich bis dahin hatten einfallen lassen! Nein, so lange konnte er auf keinen Fall warten. Er musste zurück in sein Büro und jetzt sofort dem Absender der Nachricht eine Antwort zukommen lassen. Er durfte nicht riskieren, dass sich diese heiße Spur wieder abkühlte.

      18

      Goldenes, durch schwere Vorhänge gedämpftes Sonnenlicht, flutete durch die hohen Fenster herein. Heinrich vergrub das Gesicht in den Kissen und versuchte, das Licht des neuen Tages von seinen Augenlidern fernzuhalten. Ein diffuses Pochen hinter seiner Stirn zwang ihn halbwegs zur Besinnung. Welcher Tag war heute? Ach ja, Sonntag. Ansonsten hätte seine Mutter ihn längst aufgescheucht und zur Schule gejagt. Ach, nein, Montag war ja ebenfalls schulfrei. Wegen der Sanierungsarbeiten. Der dritte Tag des geplanten Spielwochenendes mit seinen Freunden. Wenn er es schaffte, gleich heute Morgen aufzubrechen, hätte er nur den gestrigen Nachmittag und Abend verpasst. Was hatte er gestern eigentlich stattdessen getan? Bilder, Gefühle und Eindrücke schwirrten wild in seinem Kopf durcheinander, ohne dass er etwas davon zu packen bekam.

      Er tastete nach dem Wecker und erblinzelte sich mit halb geschlossenen Augen die Uhrzeit. Viertel nach acht. Gähnend rieb sich Heinrich die Augen und kratzte sich gedankenverloren am Kopf.

      »Was für ein abgefahrener Traum«, murmelte er vor sich hin und richtete sich auf einen Ellbogen auf. Sein Blick fiel auf die gebrauchten Klamotten des Vortages, die gewohnt unordentlich über dem Stuhl neben seinem Bett hingen. Komisch, dieselben Klamotten, die er in seinem Traum getragen hatte.

      Zaubererumhänge, Hexen- und Magiermode schossen durch seine Erinnerungen. Das Beunruhigende war, dass er sich an jedes Detail seines verrückten Traumes erinnern konnte, nicht aber, wie der gestrige Tag tatsächlich zu Ende gegangen war, wo sein wirkliches Erleben aufgehört und der Traum begonnen hatte. Erinnerungen an das Grill anzünden am Mittag überlagerten sich mit solchen von sprechenden Notebooks und Fantasien von Zauberstäben mit Force-Feedback-Effekt. Wann war er zu Bett gegangen? Er spulte die Bilder vom gestrigen Nachmittag noch einmal vor seinem geistigen Auge ab. Zwecklos. Er wusste beim besten Willen nicht, was passiert war, nachdem es zu Hause an der Tür geläutet hatte und dieser merkwürdige Jamaikaner namens Hagweed aufgetaucht war. Seine Erinnerung, oder vielmehr, die Erinnerung an seinen Traum, setzte erst wieder ein, als er im Hinterzimmer eines Lokals aufgewacht war.

      »Zaubererumhänge und Spitzhüte«, brummte er vor sich hin, und rieb sich erneut die Augen. »Verrückt, das alles.«

      Sein Blick suchte die gewohnte Umgebung seines unordentlichen Zimmers mit den überquellenden Bücherregalen ..., die nicht da waren! Sie fehlten einfach. Der überladene Schreibtisch mit Stapeln von CDs und Zeitschriften ... an seiner Stelle stand ein aufgeräumter Beistelltisch mit einer Schirmlampe und einem Telefon! Sein mit Aufklebern verunzierter Kleiderschrank ..., er war einem makellosen Schwebetürenschrank mit in Schwarzglas gehaltenen Spiegeleinsätzen gewichen!

      Plötzlich fror Heinrich und jedes einzelne seiner Nackenhärchen richtete sich auf. Ein paar Sekunden lang war er unfähig, sich zu bewegen, dann fuhr er wie von Furien gehetzt aus dem Bett. Ein Hotelzimmer! Kein Zweifel, er stand in einem Hotelzimmer! Er sprang zum Fenster und riss die orangefarbenen Vorhänge zur Seite ... die Winkel-Mall!

      Nein! Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Niemals! Er stolperte rückwärts und wäre beinahe über seinen Rucksack gefallen. Den Rucksack, den er für das Spielwochenende mit seinen Kumpels gepackt hatte. Auch seine schwarze Sportjacke lag darüber. Hagweed musste dafür gesorgt haben, dass sie das Zeug beim Sprung durch das Dimensionstor ohne sein Wissen mitgenommen hatten. Dimensionstor? Nein, das war absurd! Er zwang die törichten Gedanken aus seinem Kopf.

      Außer