Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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hielt, und sprach mit ihm über magische Tore in andere Dimensionen! Wie war das gewesen, was Hagweed ihm zu erklären versucht hatte? Unterschiedliche Welten, die Schnittpunkte untereinander hatten, über die man von einer Welt in die andere kam. Gab es wirklich ein magisches Paralleluniversum und er war durch eine Verkettung mehrerer Verwechslungen mittendrin gelandet? Die Eskapaden des Notebooks gestern, Hagweed, die Winkel-Mall ... er musste sich zwingen zu glauben, dass das alles kein Traum, sondern höchst real gewesen war.

      Keinen Zweifel gab es jedenfalls daran, dass er keine Ahnung hatte, wo er war und dass er, zumindest im Augenblick, keinen Kontakt mit der Außenwelt, mit seiner Welt, herstellen konnte. Er wurde außerdem das Gefühl nicht los, dass der Verlust des Handynetzes nicht damit zu erklären war, dass hier die Mobilfunkmasten dünn gesät waren. Eines war klar: Er bräuchte Hilfe, wenn er einen Heimweg finden wollte.

      Heinrich seufzte tief und versuchte ein Lächeln. »Rum, auch auf die Gefahr hin, dass du mich für bescheuert hältst, aber ich bin wirklich nicht der, für den du und all die anderen mich halten. Ich gehöre nicht hierher und ich muss einen Weg zurück nach Hause finden. Ich weiß nur nicht, wie ich das anstellen soll, solange ich nicht weiß, wo ich bin und was ich hier soll.«

      Rum grinste. »Du hörst dich wirklich leicht bescheuert an. Kommt bestimmt daher, dass du bei den Nupsis aufgewachsen bist.«

      Heinrich grinste zurück. »Genau dahin will ich wieder zurück. Gibt es wirklich keine Möglichkeit, von hier wegzukommen?«

      »Zumindest keine, dir mir bekannt ist. Im Augenblick fällt mir ehrlich gesagt noch nicht einmal ein Grund ein, warum du das überhaupt versuchen solltest. Die Schule soll echt okay sein. Und Zaubern ist cool, weißt du. Die ganzen Nupsiwissenschaften sind doch nur Hokuspokus. Das hier ist die wahre Magie.« Er hatte einen Stab aus dem Hosenbund gezogen, etwa so dick wie eine Zigarre, aber ein gutes Stück länger, und ließ ihn gekonnt durch die Finger wirbeln – ein Zauberstab! »Und außerdem echt unterhaltsam: Ein Kumpel hat mir neulich gezeigt, wie man aus einem Stück Tapete und etwas Holzkohle ein Poster zaubert, auf dem Shakira nackt im Whirlpool planscht. Scharfe Sache, sage ich dir, aber alleine krieg ich es einfach nicht hin. Bei mir kommt immer nur ein Kaugummibild raus, auf dem Ozzy Osbourne mit runtergelassener Hose auf dem Klo sitzt. Wirklich kein schöner Anblick. Wird Zeit, dass ich lerne, wie es richtig geht.«

      Ein Uniformierter kam um die Hausecke geschlendert, offenbar ein Ordnungshüter, er hatte eine recht gewichtige Miene aufgesetzt. Rum schob hastig seinen Zauberstab zurück in die Hose und bemühte sich um einen unschuldigen Meine-Weste-Ist-Sauber-Gesichtsausdruck.

      Doch der Uniformierte war bereits auf sie aufmerksam geworden, blieb stehen und musterte sie argwöhnisch. »'n Tag«, brummte er. »Hochwärts Erstsemester?« Er wartete nicht auf Antwort. »Seht zu, dass ihr zurück zu eurer Gruppe kommt.«

      Rum nickte wortlos. Heinrich schulterte geschwind den Rucksack und gemeinsam machten sie, dass sie Land gewannen.

      »Was hat der Typ gegen uns? Und was meint er mit ›zurück zur Gruppe‹?«, fragte Heinrich, als sie ein paar Meter zwischen sich und den Uniformierten gelegt hatten.

      »Die Erstsemester sollen nicht allein in der Stadt rumlaufen. Die haben wohl Angst, dass wir in schlechte Gesellschaft geraten.«

      »Aber hier laufen doch überall Kinder in unserem Alter ...«

      »Das sind keine Kinder«, unterbrach Rum. »Sieh sie dir nur mal richtig an.«

      Heinrich schaute genauer hin. Richtig, was da zwischen gewöhnlichen Erwachsenen und älteren Schülern auf der geschäftigen Einkaufsstraße herumwuselte, waren keine Kinder, sondern eigentümliche Gnome in Latzhosen und jeder Menge borstiger Haare auf den bloßen Füßen.

      »Das sind Hobbels, die hiesigen Ureinwohner«, erklärte Rum. »Abgesehen von ihrer Kleinwüchsigkeit sind die Haare auf ihren Füßen ihr charakteristischstes Merkmal. Die Haare wachsen praktisch vom ersten Atemzug an ihr ganzes Leben hindurch. Spätestens ab Vollendung der Pubertät sind sie in der Lage, daraus direkt auf ihren Füßen mit geschlossenen Augen und einer Hand auf dem Rücken einen kleinen Gobelin zu knüpfen. Wenn sie damit fertig sind, rasieren sie sich die Füße und fangen wieder von vorne an. Ursprünglich gab es in dieser Gegend sehr viele von ihnen, aber seit Ansiedlung der Zaubererakademien sind sie auf dem Rückzug, weil sich die Menschen immer mehr ausbreiten und die Hobbels systematisch unterbuttern. Wären die Hobbels bei der Produktion von Nachkommen nicht genauso fleißig wie beim Gobelinknüpfen, wären sie wahrscheinlich schon vom Erdboden verschwunden.«

      »Warum unterdrücken die Menschen sie?«

      »Die Hobbels sind ein Urvolk, und Urvölker werden von weißen Siedlern immer unterdrückt. Das ist so Tradition, glaube ich. – Magst du was essen?« Sie waren an einem Imbiss-Kiosk angelangt.

      »Oh, ja«, nickte Heinrich. »Ich habe immer noch den Witchburgergeschmack von gestern im Hals und schon ein ganz pelziges Gefühl auf der Zunge. Bin durch meinen überstürzten Aufbruch heute Morgen gar nicht zum Zähneputzen gekommen.«

      »Zähneputzen?«

      »Ja. Bürste, Zahnpasta, schrubben. Zähneputzen eben.«

      »Ist ja ulkig. Dafür nehmt ihr Bürsten?«

      »Ihr etwa nicht?«

      »Nö. Wir haben Spell-a-med, den universellen Dentalzauber. Er gehört zu den Zaubersprüchen, die einem praktisch mit in die Wiege gelegt werden.«

      »Wow, wie praktisch. Den würde ich auch gerne können.«

      Auf Rums Empfehlung orderte Heinrich an dem Kiosk eine ›Hot Hag‹ (damit bekam der Ausdruck ›heiße Hexe‹ eine ganz neue Bedeutung) und eine Coke. Rum bestellte für sich das Gleiche und steuerte außerdem noch einen Berg Süßkram bei. Zum Bezahlen genügte es, dass Rum sein Einladungsschreiben vorzeigte und den ganzen Kram auf seine Misa-Card anschreiben ließ.

      »Wofür steht ›Misa‹?«, fragte Heinrich, während sie zu einer Parkbank hinübergingen, die neben dem Imbisskiosk an einem kleinen Springbrunnen aufgestellt war.

      »›Magisches Institut für Spar- und Anlageberatung‹«, erklärte Rum und ließ sich auf der Bank nieder. »Eine gemeinnützige Bank des öffentlichen Sektors. Bist du auf dem Weg hierher eigentlich über Los gekommen? – Glück gehabt. Die Kohle müsste bis nächsten Sommer locker reichen. Ich hatte wieder mal Pech und muss mit dem auskommen, was mir meine Eltern auf das Misa-Card-Konto überwiesen haben. Irgendwie habe ich nie Kies.«

      »Und ›Nupsi‹? Hat das auch eine tiefer gehende Bedeutung oder ist das eine von den bescheuerten Bezeichnungen, die man gewählt hat, weil sie so lustig klingen?«

      »Nupsi ist eine Abkürzung und steht für ›Nichtmetamorphe unmagische Personen ohne suprathaumaturgische Individualfähigkeiten‹. Früher nannte man sie ›LedvodgaZamkAh‹, das bedeutet ›Leute, die von der ganzen Zaubereimischpoke keine Ahnung haben‹, aber die Bezeichnung war den meisten zu sperrig.«

      »Hm, irgendwo verständlich.«

      Rum machte sich bereits hungrig über seinen Imbiss her, während Heinrich den schweren Rucksack abstellte und sich die verspannten Schultern massierte. Klamotten zum Wechseln für drei Tage, ein wenig Schreibzeug, ein Notebook. Das war alles, was er bei sich hatte, aber der Rucksack war nicht gerade klein und bestimmt hatte seine Mutter jeden freien Kubikzoll mit Wäsche zum Wechseln vollgestopft. Das wog ganz schön.

      »Coole Klamotten«, bemerkte Rum plötzlich kauend. »Woher hast du die?«

      Heinrich schaute verblüfft an sich hinunter. Ein dunkelgrünes Shirt mit gelbem ›Er ist tot, Jim‹-Aufdruck, Jeans, Nikes. Alles ganz normal so weit. »Nupsimode halt«, sagte er und zuckte mit den Schultern.

      »Wo kriegt man solche Hosen her? Habe ich noch nie gesehen.«

      Heinrich ließ sich auf die Bank fallen. »Die heißen Jeans. Trägt bei uns jeder. Bei H&M in der Winkel-Mall gibt's die bisher allerdings nicht. Vielleicht wird das in der nächsten Saison anders, dann könntest du es mal versuchen.«

      »Ist