Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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weitere Jungs in ihrem Alter. Die Türen schlossen sich automatisch, eine Lautsprecherstimme sagte: »Nächster Halt: Rathausplatz«, und der Zug rollte an.

      21

      Die Wagen schaukelten in langsamer Fahrt durch die kurvigen Tunnel. Auch bei den weiteren Stationen stiegen ständig weitere Schüler zu, bis die Bahn gesteckt voll war mit lärmenden Schülern, die dicht an dicht auf den Bänken saßen oder in den Gängen standen und sich an die Griffstangen klammerten. Die wenigen Erwachsenen, die an Bord waren oder unterwegs zustiegen, stiegen nach spätestens zwei, drei Stationen entnervt wieder aus.

      Heinrich stellte fest, dass die Umhänge der Schüler um sie herum unterschiedliche farbliche Markierungen und Embleme trugen. Nur die Erstsemester waren noch in Zivil unterwegs.

      »Wozu die farbigen Embleme auf den Umhängen? Werden damit die verschiedenen Akademien unterschieden?«, fragte er in die Runde, um auch die drei fremden Jungs ein wenig in das Gespräch mit einzubeziehen. Doch die drei, die ihm und Rum gegenüber auf eine Sitzbank gezwängt saßen, zeigten auffällige Sprachschwierigkeiten. Sie hatten während der ganzen Fahrt noch kein einziges Wort gesprochen und ihnen nicht einmal ihre Namen gesagt. Der linke der drei war ein übergewichtiger Schrank mit hellblauen Triefaugen, hängenden Mundwinkeln und hängenden Wangen. Im Grunde hing alles an ihm, inklusive der bräunlichen Haare, die kraftlos in sein gerötetes Gesicht fielen. Er hob nichtwissend die massigen Schultern, wodurch sich sein Kopf beträchtlich in die Breite drückte.

      Der Junge ganz rechts, ein ebenfalls zu breit geratener Fettsack mit dem Gesicht eines Ebers und kurz geschorenen, ferkelblonden Haaren, ließ auf die Frage nur ein verschrecktes Quieken hören, das Heinrich als ›nein‹ deutete.

      Zwischen den beiden saß, eingezwängt wie ein Hotdog-Würstchen zwischen zwei Brötchenhälften, ein verhuscht wirkender Junge mit blassem Gesicht. Es wäre cleverer gewesen, die beiden Fettsäcke hätten sich eine Sitzbank geteilt und der Schmale hätte sich zu Heinrich und Rum gesetzt, aber das schien ihm unheimlich gewesen zu sein. Er trug ein auffallend blütenweißes Hemd mit gebleichtem Kragen und einer roten Fliege, eine piekfeine schwarze Hose und polierte schwarze Schuhe. Gewiss war seine Mami stolz auf ihn. Als der Spargel auf Heinrichs Frage nach den Emblemen energisch den Kopf schüttelte, hob sein säuberlich gebürstetes feines Blondhaar ab, wie Marilyn Monroes Petticoat über dem Lüftungsschacht.

      »Mit den Emblemen und Farbmustern werden nicht nur die Akademien unterschieden«, übernahm jetzt Rum die Antwort. »Sie dienen auch innerhalb der Akademien zur Unterscheidung der Häuser.«

      »Häuser?«

      »Ja. Die Schüler werden in Hochwärts, je nach Befähigung und Können, in vier unterschiedliche Häuser aufgeteilt, die untereinander konkurrieren. Soll das Gruppenbewusstsein fördern und auf die Fährnisse des Überlebenskampfes im späteren Berufsleben vorbereiten. Jedes Haus hat sein eigenes Emblem. Man bekommt sie, sobald festgelegt ist, wohin man gehört. Das da vorne ist, glaube ich, das Symbol von ›Haferstroh‹. Hab gehört, die Haferstrohs seien mit Vorsicht zu genießen. Ziemlich clevere Burschen, die dich schon mal hinterrücks bescheißen, ohne dass du 's merkst. Man sagt, die verkaufen dir einen Bund Haferstroh als Rosenstrauß. Daher der Name. Soll viele gute Firmenmanager und Politiker hervorgebracht haben. Viele Haferstrohstudenten schlagen auch die Fachrichtung ›Illusionist‹ ein. Dazu sind an sich gar keine echten Zauberkräfte notwendig. Auf dem Arbeitsmarkt sind sich recht begehrt, weil sie Betrieben bei der Steuererklärung und Ähnlichem helfen.«

      »Wenn die ohne Zauberkräfte auskommen, wäre das vielleicht was für mich«, warf Heinrich ein.

      »Ein recht beliebtes Haus ist ›Tasskaff‹, obwohl es als ziemlich schlamperter Laden gilt. Wenn du Faulpelze, die sich auf Kosten anderer ausruhen oder angehende Beamte suchst, wirst du in Tasskaff fündig, heißt es.

      Wer was auf sich hält, geht natürlich nach ›Heldenheim‹. Es heißt, das sei der Hort für die ausgewiesenen arroganten und hochnäsigen Klugscheißer, die sich gerne für was Besonderes halten und alles besser wissen. Mein Bruder Nervi ist auch dort.

      Und dann wäre da noch ›Schwylerin‹. Über die weiß ich so gut wie gar nichts. Müssen ziemlich abgefahrene Figuren sein. Laufen alle in merkwürdigen rosa Fummeln rum.«

      »Rosa?«

      »Ja, rosa. Ich hoffe, es verschlägt mich nicht dorthin. Ich habe echt keinen Bock, in Rosa herumzulaufen. Nur Waschlappen und Mädchen ziehen sich freiwillig Rosa an.«

      Unwillkürlich sahen sie beide die drei Typen auf der Sitzbank gegenüber an, die wortlos und verschüchtert ihre Unterhaltung verfolgten.

      »Ähm, nun ja, wo war ich gerade? Ach ja, Rosa. Wobei ... Mädchen, speziell blonden, steht Rosa echt gut, weißt du?«

      Heinrich grinste und sah den neben sich auf der Bank lümmelnden und ein wenig selbstgefällig über die Häuser herziehenden Rum belustigt an. »Etwas sagt mir, dass du ganz gut nach Heldenheim passtest.«

      »Keine Ahnung, wovon du sprichst«, wehrte Rum lässig ab. »Wirst sehen, wir kommen bestimmt beide in dasselbe Haus.«

      »Ich hoffe, bevor es dazu kommt, kann ich irgendwen, der was zu sagen hat, davon überzeugen, mich wieder nach Haus zu schicken. Wie wird eigentlich festgestellt, in welches Haus man passt?«

      »Keinen Schimmer. Um das ganze Prozedere wird ein ziemliches Gewese gemacht.« Rum begann wieder, mit seinem Zauberstab herumzuspielen.

      »Warum hast du das Teil vorhin so hastig versteckt, als der Uniformierte auftauchte?«, fragte Heinrich. »Ist das nicht erlaubt?«

      »Jedenfalls nicht für Erstsemester«, erklärte Rum. »Hat sich das Ministerium so ausgedacht. Sie sagen, du musst erst über eine gewisse Erfahrung und Reife verfügen, bevor du die Dinger öffentlich mit dir rumschleppen darfst.«

      »Kannst du mit dem Teil schon was anstellen? Ich meine, außer Kaugummibildern mit Ozzy Osbourne.«

      »Ähm, nicht wirklich«, wich Rum aus. »Zaubern mit dem Zauberstab ist ziemlich schwierig, weißt du? Wenn du genug magisches Blut in den Adern hast, beherrschst du aber auch ohne 'ne Menge anderer nützlicher Dinge, wie zum Beispiel den Spell-a-med-Zauber. Mit dem Zauberstab schaffe ich nur ein paar Funken und solches Zeug. Muss aber aufpassen, dass ich dabei nicht aus Versehen Feuer lege. Von meinem Vater habe ich ein bisschen gelernt, wie man Naturenergie manipuliert und ... ähm ... Tiere verwandelt. Besonders gut bin ich darin nicht, aber ich träume davon, eines Tages mal Druide oder so was zu werden. Pass auf, ich zeig's dir ...«

      Er griff in seine Jacke und zog eine schläfrige, fette, graue Ratte daraus hervor.

      »Das ist Kotze, meine zahme Ratte«, stellte er vor. »Die habe ich nicht gerade erst in die Jacke gezaubert, die hockt da öfter, klar? Ich habe sie mit Hilfe meines Vaters aus Naturmasse beschworen. Hat allerdings nicht besonders gut geklappt. Ihr Stoffwechsel ist sehr träge, deshalb pennt sie meistens. Außerdem scheint sie ein paar genetische Defekte zu haben, zum Beispiel einen ziemlich nervösen Magen. Kotzt mir dauernd in die Tasche, daher auch der Name.« Er fühlte weiter in der Jackentasche herum. »Scheint heute bisher alles gut gegangen zu sein. Wundert mich eigentlich.«

      Heinrich betrachtete neugierig die Ratte, die, aufgewacht durch den ganzen Lärm, nervös herumschaute. Bevor Rum sie wieder in die Jacke verfrachten konnte, wand sie sich aus seiner Hand und huschte geschwind sein Bein entlang. Die drei gegenübersitzenden Jungs zogen furchtsam die Knie an und verfolgten panisch den Weg der Ratte, die jetzt an Rums Bein herabkletterte und den Gang des U-Bahn-Wagens entlangflitzte.

      Der Effekt bei einigen der Mädchen war beachtlich. Von überall her hörte man erschrecktes Kreischen hoher Mädchenstimmen.

      Rum lachte sich ins Fäustchen. »Ist ja ein voller Erfolg«, kicherte er.

      Heinrich schaute den Gang hinunter und versuchte, dem Zickzacklauf der Ratte zu folgen.

      »Die kommt schon zurück«, meinte Rum. »Büchst ab und zu mal aus.«

      Rum