Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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etwas an seiner schmeichelnden Stimme mochte Heinrich gar nicht gefallen.

      »Sein ganzes Naturell ist ein bisschen so angelegt, findet ihr nicht?«, fuhr der Hut fort. »Sträubt sich gegen die Einschulung, Angst vor anderen Kindern, emotional labil, etwas weinerlich, vermisst Mum und Dad, schwer zu integrieren, nicht anpassungsfähig. – Bei diesem Persönlichkeitsprofil muss eigentlich ›Schwylerin‹ auf der Karte gestanden haben.«

      »Was? Wieso Schwylerin?«, fragte Heinrich erschrocken.

      »Weil Schwylerin unser spezielles Haus ist, das sich nicht nur unserer – emotional alternativ orientierten Kameradinnen und Kameraden ausgesucht liebevoll annimmt, sondern gleichfalls den besonders sensiblen und zuwendungsbedürftigen ...«

      Emotional alternativ orientiert? Endlich fiel bei Heinrich der Groschen. »Nein, nein! Nur das nicht! Es stand nicht Schwylerin auf der Karte. Ich mach' mir gar nichts aus Jungs. Ich mag viel lieber Mädchen, obwohl ich noch gar nicht Bescheid weiß, warum überhaupt. Dad sagt, ich bin einfach noch nicht so weit, aber ...«

      »Langsam, langsam«, murmelte Mr. Zylinder mit einer Stimme, die augenblicklich nicht nur Heinrich, sondern auch alle Diskussionen verstummen ließ. »Ich sag euch was, meine Lieben: Ihr habe alle recht mit dem, was ihr sagt. Irgendwie passte er in jedes Haus. Er lamentiert Unwissenheit vortäuschend herum, dass es selbst dem Gründer Tasskaffs eine wahre Freude wäre, jammert und klagt dabei, dass Schwylerin persönlich die Tränen gekommen wären, er versucht es mit Tricksereien, die Haferstroh zu aller Ehre gereicht hätten, setzt sogar biologische Waffen ein, um die Auswahl des Kartenspiels zu verschleiern, und hat es damit tatsächlich geschafft, dass wir seine Verteilentscheidung treffen und nicht die Karten. Aber das Allerschärfste ist, dass der Bengel mit dem ganzen faulen Zauber auch noch glaubt, durchzukommen. Das weist ihn nicht nur als Klugscheißer von außergewöhnlicher Arroganz, sondern auch prägnanter Hochnäsigkeit aus. Es gibt nur einen Namen, der auf der Karte gestanden haben kann.«

      »Heldenheim«, verkündete das Kollegium laut im Chor.

      24

      Da war sie wieder. Als Heinrich den Befragungsraum der Hüte-Findungskommission verließ, leicht benebelt aber erleichtert, ein eingerolltes Einschulungszertifikat in der Faust, stand sie auf dem Gang, lässig an die gegenüberliegende Wand gelehnt, und erwartete ihn mit verschränkten Armen, genauso, wie sie schon bei der Gepäckabfertigung gestanden und dafür gesorgt hatte, dass er sein Notebook behielt. – Die große Frau mit dem Hexenhut.

      »Heldenheim?«, fragte sie.

      Heinrich nickte wortlos.

      »Hätte ich drauf gewettet«, sagte die Frau und klopfte ihm auf die Schulter. »Kommen Sie mal mit.«

      Widerstandslos ließ sich Heinrich von ihr durch Flure und Treppenhäuser führen und fragte sich, wer diese Frau war, und was sie eigentlich von ihm wollte. Seit er hier war, hatte sie ihn kaum aus den Augen gelassen, und das augenscheinlich nicht zufällig.

      Die Räumlichkeiten, die sie durchquerten, hatten nichts mehr von der nüchternen Büroatmosphäre des Gebäudeflügels mit der Findungskommission. Dafür wechselten jetzt hohe Gänge mit Gewölbedecken und steinernen Wänden aus unverputzten groben Quadern mit solchen, die aufwändig holzvertäfelt, mit golden schimmernden Gemälden behängt und warm und behaglich waren. Auf einem solchen Flur lag ihr Ziel. Die Frau öffnete eine mit Schnitzereien verzierte hohe Tür und winkte Heinrich herein. An der Tür stand ›Prof. Conserva McGummiball – Stellv. Leiterin ...‹. Den Rest konnte er nicht mehr lesen, aber hier hatte er offenbar die Absenderin der geheimnisvollen E-Mail vor sich, mit der sein Dilemma am gestrigen Samstag begonnen hatte und mit der sein Vater und er über das Notebookmikrofon gesprochen hatten. Was mochte sie von ihm wollen? War sie endlich die Person, die er brauchte, um seine ersehnte Heimreise zu arrangieren? Für den Augenblick war er bereits wunschlos glücklich darüber, es wieder mit einem Menschen aus Fleisch und Blut zu tun zu haben; obwohl es mit Fleisch an der knochigen Gestalt der Professorin nicht weit her war und ihr schmallippiges Gesicht eher von Blutleere zeugte. Aber für das Footballposter, das zwischen all den Ölgemälden an der holzvertäfelten Wand hing, räumte er ihr sogleich eine Menge Sympathiepunkte ein, wenngleich es neben den alten Gemälden wirkte, wie ein Kaugummibild in einer wertvollen Briefmarkensammlung.

      Sie wies Heinrich einen lederbezogenen Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch an. Heinrich setzte sich und sah der Professorin zu, wie sie eine Menge Papiere auf dem überladenen Schreibtisch zu wackeligen Stapeln aufschichtete und dabei eine metallene Keksdose zutage förderte. »Ach, hier ist die«, murmelte sie weltvergessen. »Habe ich schon gesucht. – Keks?« Sie hielt Heinrich die geöffnete Keksdose hin.

      »Danke, Professor«, brachte Heinrich mühsam hervor und griff zaghaft zu.

      »Bedien dich ruhig.«

      Heinrich fiel auf, dass sie bei der Anrede in das persönlichere Du verfallen war, sobald sich die Bürotür hinter ihnen geschlossen hatte.

      »Hier müsste dringend aufgeräumt werden«, brummte die Professorin lustlos, ließ eilig ein zerlesenes Mad-Magazin in einer Schublade verschwinden und schob die Papierstapel so weit zur Seite, dass sie freien Blick auf ihr Gegenüber hatte. Dann ließ sie sich von Heinrich das Einschulungszertifikat geben. Sie überflog es und blickte ihn über die Brillengläser hinweg an. »Also, Harr...«

      »Heinrich«, unterbrach Heinrich.

      »Also schön: Heinrich, wenn dir das besser gefällt. Wir hatten ja gestern bereits das Vergnügen, wie du dir sicher denken kannst.«

      »Ja, das dachte ich mir, Frau Professor.«

      »Professor reicht«, sagte Professor McGummiball gönnerhaft. »Nun, ich bin froh, dass deine Reise hierher doch noch so kurzfristig möglich war. Ich muss zugeben, wir hatten unsere Zweifel, dass wir dich rechtzeitig finden würden, Harr...«

      »Heinrich.«

      Professor McGummiball zog leicht unwillig die Augenbrauen zusammen. »Vielleicht solltest du erwägen, deinen Namen bei der Magischen Union in Brüssel registrieren und in das automatische Übersetzungsprogramm aufnehmen zu lassen. Wir haben Schüler aus aller Herren Länder. Ein babylonisches Sprachgewirr wäre da höchst hinderlich. Trotzdem hast du natürlich ein Recht darauf, so gerufen zu werden, wie du es möchtest und ich werde die Kollegen bitten, dich mit Herr Töpfer oder Heinrich anzusprechen, wenn dir daran gelegen ist.«

      »Daran wäre mir wirklich gelegen, Professor. Aber es geht mir nicht nur darum, mit dem richtigen Namen angesprochen zu werden, sondern darum, dass ich ein anderer bin, als der andere, verstehen Sie?«

      »Nein.«

      »Der Junge, den Sie meinen und ich ... wir sind zwei unterschiedliche Personen, Professor.«

      Sie las erneut in dem Papier. »Hm, die Findungskommission hat in deine Beurteilung geschrieben, dass bei dir leichte Tendenzen einer multiplen Persönlichkeit erkennbar seien ...«

      »Aber nein!«, rief Heinrich verzweifelt.

      »Du musst wissen, ich war damals selber dabei, als wir dich auf der Türschwelle deiner Pflegeeltern abgesetzt haben.«

      »Sie meinen die Durstigs. Die haben früher da gewohnt.«

      »Mir tun von dem Unfall heute noch die Knochen weh.«

      »Ehrlich, sie heißen Durstig und sind vor etlichen Jahren weggezogen.«

      »Aus der Zeit hast du übrigens auch die Narbe.«

      »Wermut und Petunie Durstig. Eine seltsame Sippe. -«

      »Professor Schwurbelbart wird dir die Geschichte deiner Herkunft erzählen, sobald er Zeit gefunden hat. -«

      »- Sie tun nichts anderes, als ihren Neffen zu schikanieren und ihren fetten Sohn Diddl zu mästen.«

      »- Es kann ein paar Tage dauern. -«

      »Dieser Neffe ist der, den Sie eigentlich suchen.«

      »-