Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


Скачать книгу

      »Kann nicht zaubern.«

      »Keines der Kinder kann zaubern, wenn es hierher kommt. Sonst wären wir Lehrer ziemlich überflüssig, findest du nicht?«

      »Professor McGummiball, ehrlich, ich muss so schnell wie möglich zurück nach Hause. Meine Eltern werden sich Sorgen machen, wenn ich mich nicht melde.«

      »Kein Grund zur Aufregung. Alle Erziehungsberechtigten werden vom wohlbehaltenen Eintreffen ihrer Kinder benachrichtigt. Im Fall deines Onkels werde ich das persönlich übernehmen. Er scheint im Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln etwas überfordert zu sein.«

      Heinrich schaute auf die Papierberge auf dem Schreibtisch. Falls sich darunter nicht irgendwo ein Telefon oder ein Computer verbarg, stellte er sich eine Kontaktaufnahme schwierig vor. »Wie machen Sie das?«

      »Wir haben unsere Methoden.«

      »Könnte ich vielleicht selbst ...?«

      »Ausgeschlossen. Kein privater Kontakt der Schüler mit ihren Erziehungsberechtigten während der Semester. Das lenkt nur vom Lernen ab.«

      »Aber, Professor ...«

      »Schlag dir das aus dem Kopf. Und um dir eine Illusion gleich zu nehmen«, fuhr sie fort, »falls du mit dem Gedanken spielst, dich rauswerfen zu lassen ...«

      Heinrich wurde hellhörig. Rauswerfen? Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

      Professor McGummiball sah Heinrich scharf an. »Die Findungskommission hat dich nach Heldenheim gesteckt. Ich bin, wie du vielleicht schon erraten hast, nicht nur die stellvertretende Leiterin dieser Akademie, sondern auch Leiterin des Hauses Heldenheim und ...« Sie unterbrach sich selbst und plötzlich entspannten sich ihre Gesichtszüge. »Wie fandest du übrigens den Hut mit der Blumenstickerei?«, fragte sie in komplett verändertem Tonfall.

      Heinrich war sich nicht sicher, wie er auf die Frage reagieren sollte. »Oh, ich, äh ..., hübsch.«

      Trotz Blutarmut brachte die Professorin ein leichtes Rosa in ihren knöchernen Wangen zustande. »Es ist meiner«, sagte sie, sah verlegen zur Seite und lächelte andeutungsweise. »Du solltest ihn sehen, wie er erst zusammen mit meinem neuen Sommerkleid ... äh, zurück zum Thema.« Sie straffte sich. »Aus meinem Haus wird man nicht hinausgeworfen, merk dir das. Du verlässt dieses Haus als ausgebildeter Zauberer. Vorzeitige Entlassung gibt's nur mit den Füßen voran, falls du verstehst, was ich meine. Lege es also nicht darauf an.«

      Sie lehnte sich in ihrem Bürosessel zurück, während Heinrich sich vorzustellen versuchte, wie diese in dunkle Gewänder gehüllte Person mit dem strengen Haarknoten, in einem flotten Sommerkleid unter einem cremefarbenen, breitkrempigen Hut aussehen mochte. Seine Vorstellungskraft reichte dafür jedoch nicht aus.

      »Aber ich wollte nicht mit dir sprechen, um dir Angst einzujagen, sondern ein paar Ängste zu nehmen, die du offenbar hast.«

      »Professor ...«

      »Kinder, die unter Nupsis aufgewachsen sind, haben oft zunächst eine Menge Ängste und Vorbehalte, wenn sie herkommen, doch das ist unnötig. Es ist wie beim Autofahren: Der Fahrlehrer sieht es lieber, wenn du vorher nie gefahren bist, dann muss er dir wenigstens keine Fehler abgewöhnen.

      Ich bin froh, dich bei mir in Heldenheim zu haben. Es hätte dich schlimmer treffen können, glaube mir. Du wirst sehen, es wird uns gelingen, einen richtig guten Zauberer aus dir zu machen und dich Großes vollbringen zu lassen.«

      25

      »Habe ich nicht gesagt, wir kommen in dasselbe Haus?« Rum hielt Heinrich freudestrahlend sein Einschulungszertifikat unter die Nase, als sie in den Flur zum Speisesaal abbogen. ›Heldenheim‹, lautete die Empfehlung des Gremiums.

      Als Rums Blick auf Heinrichs unwilliges Gesicht fiel, drosselte er seine Begeisterung etwas, denn ihm musste klar sein, dass Heinrich sie nicht teilte. Heinrich erzählte ihm kurz, dass die Leiterin ihres gemeinsamen Hauses ihn bei der Findungskommission abgepasst und er versucht hatte, sie davon zu überzeugen, dass sie einen Fehler machte.

      »Hat wohl nicht so viel gebracht, wie?«, fragte er betont teilnahmsvoll.

      Heinrich schüttelte resigniert den Kopf. »Zwecklos«, sagte er. »Die sturen Böcke haben sich allen Ernstes in den Kopf gesetzt, einen zweiten Copperfield aus mir zu machen.«

      »Na, komm schon«, sagte Rum freundschaftlich und schlug Heinrich auf die Schulter. »Essen wir erst mal was, dann sieht die Welt gleich anders aus.«

      Heinrich wusste zwar nicht, wie eine Mahlzeit seine Situation auch nur etwas verbessern sollte, aber er widersprach nicht. Rum war trotz dieser fragwürdigen Aufnahmeprozeduren offensichtlich angetan von seiner neuen Umgebung und warum sollte er ihm die Freude vermiesen, nur weil er es anders sah? Außerdem konnte er nicht verhehlen, dass er einen Riesenkohldampf hatte. Ein Witchburger, eine Hot-Hag und ein bisschen Süßkram waren als Ernährungsgrundlage der letzten sechsunddreißig Stunden entschieden zu wenig gewesen.

      Im Speisesaal herrschte Hochbetrieb. Die Tische waren zu vier langen Tafeln zusammengestellt, eine Tafel für jedes Haus. Ein Typ am Eingang warf einen Blick auf ihre Zertifikate und wies ihnen den Tisch ganz links an. Die anderen Heldenheims begrüßten sie herzlich. Hie und da drehten sich Köpfe zu Heinrich um, und vereinzelt wurde getuschelt.

      »Was tuscheln die? Kennen die mich?«, fragte Heinrich verwirrt und setzte sich an den Tisch.

      »Naja, einige von denen haben, denke ich, schon von deiner Geschichte gehört oder gelesen. Also diese Sache mit Schwurbelbart und Dem-der-dabei-auch-eine-Rolle-spielt.«

      »Meine angebliche Geschichte, meinst du. Die werden schön enttäuscht sein, sobald ich das erste Mal den Stab raushole.«

      Ein Mädchen, das nur die letzte Bemerkung mitgekriegt hatte, wendete den Kopf und schaute ihn mitleidig an.

      »Den Zauberstab, meinst du«, murmelte Rum.

      »Oh, ich ...«, stammelte Heinrich. »Ja, natürlich.«

      Das Mädchen zwinkerte ihm frech zu und drehte sich wieder zu seinen Freundinnen um.

      Vereinzelt öffnete sich die Saaltür und weitere Erstsemester kamen herein. Die Einschulungsprozedur musste langsam ihrem Ende entgegengehen; am Tisch waren kaum noch freie Plätze übrig. Das Ratten hassende Mädchen aus der U-Bahn erschien im Türrahmen und steuerte ebenfalls den Heldenheimtisch an.

      »Hallo, Jungs. Lärmine Danger. Ich soll hier zaubern lernen«, stellte sie sich munter vor und ließ sich Heinrich und Rum gegenüber auf die Bank fallen. »Wie steht's bei euch? Alles senkrecht?« Sie schien aber gar keine Antwort zu erwarten, denn schon hatte sie ihnen den Rücken zugekehrt und begann über den Gang hinweg eine lebhafte Unterhaltung mit den älteren Jungs am Nachbartisch. Sie gehörten zum Haus der Haferstrohs.

      »Lärmine Danger. Der Name ist Programm«, knurrte Rum. »Soll sich doch gleich zu denen setzen, wenn die ihr lieber sind. Was meint sie bloß mit alles senkrecht

      Heinrich betrachtete den Umhang eines Typen, der ihm schräg gegenübersaß. Auf der Brust trug er ein buntes Emblem in den Farben Rot und Gelb. Ein grinsender Kürbis mit Augen und Armen, der ein großes ›H‹ in die Luft hielt, war darauf abgebildet. Es war eines der Embleme, das er schon auf der U-Bahn-Fahrt gesehen hatte.

      »Morgen bekommt ihr die Aufnäher mit dem Heldenheimkürbis«, erklärte der Typ, der Heinrichs interessierten Blick bemerkt hatte. »Die werden auf eure Umhänge aufgenäht und dann seid ihr welche von uns.«

      »Sieh mal«, zeigt Rum. »Das da hinten müssen die Schwylerins sein.«

      In der Tat, die als Tischdekorationen dienenden Kürbisse und die Tischdecken an der Tafel am anderen Ende des Saales und die Umhänge der dort sitzenden Schüler waren in den Farben Altrosa, Lila und Pink gehalten.

      »Da ist mir gelb rot aber lieber.« Heinrich und Rum entdeckten an dem rosa Tisch