Detlef Köhne

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel


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Rum.

      Heinrich ließ den Blick weiter durch den Speisesaal wandern. Dem Eingang direkt gegenüber an der Kopfseite des Saales befand sich die Tafel des Lehr- und Verwaltungspersonals. Dahinter erhob sich eine kleine Bühne, was dem Saal ein wenig den Anstrich einer Schulaula verlieh. Von der hohen Decke her verbreiten zahlreiche Kronleuchter ihr warmes Licht.

      »In ›Zahlen, Daten, Fakten – Hochwärts für Besserwisser‹ habe ich mal gelesen, dass hier früher eine verzauberte Decke eingezogen war, die aussah wie der Himmel draußen«, sagte Rum mit einem Blick nach oben, »und dass man zu besonderen Ereignissen, wie zum Beispiel Halloween, sogar Hunderte echter Fledermäuse hier drin hat umherfliegen lassen.«

      »Nette Idee. Warum hat man das geändert?«

      »Nun, ich glaube, du würdest dich ganz schön bedanken, wenn ständig ein leiser Schauer Fledermausscheiße von der Decke in dein Essen rieselte. Und die Sache mit der verzauberten Decke hat man eingestellt, nachdem infolge von Schadensersatzklagen die Versicherungsbeiträge immer höher wurden. Du weißt schon, Verletzungen durch herabfallende Hagelkörner, Augen- und Hautschäden durch ungefiltert einfallendes Sonnenlicht und so weiter.«

      »Hm, auch wieder wahr.«

      Am Lehrertisch erkannte Heinrich Hagweed und Professor McGummiball, die mittlerweile ebenfalls eingetroffen war. Neben Hagweed saß ein auffälliger großer Kerl, dessen Kopf rundherum mit Alufolie umwickelt war. Nur die Augen schauten heraus. Er unterhielt sich steif mit einem Lehrer mit altrosafarbenem Umhang und schimmernd schwarzen Haaren, der ihm jedoch kaum zuhörte, sondern in Heinrichs Richtung sah und ihn aufmerksam musterte. Er fixierte ihn geradezu. Heinrich rieb sich die Stirn. Seine Beule zwickte.

      »Was ist los?«, fragte Rum.

      »Ach, nichts. Meine Beule tut nur etwas weh. Kennst du welche von den Typen am Lehrertisch? Wer ist der Kerl, der mich so anstiert? Der mit der Angela-Merkel-Frisur.«

      Rum schaute in die angezeigte Richtung. »Der? Das muss Professor Ziep sein, Hauslehrer von Schwylerin. Der daneben ist Mr. Spack. Über den habe ich mal was gelesen. Unterrichtet ›Abwehr schwarzer Magie‹ und ist außerdem wissenschaftlicher Leiter von Hochwärts. Soll ein bisschen paranoid sein, der Kerl. Hat ständig Angst, von Außerirdischen entführt zu werden, und deshalb zur Abwehr gegen ihre Strahlen immer die Birne mit Alufolie umwickelt.«

      »Groß ist das Kollegium ja nicht. Bei so vielen Schülern hätte ich mit mehr Lehrern gerechnet.«

      »Es scheinen auch nicht alle da zu sein. Außerdem machen die natürlich alle mehrere Fächer, besonders in den oberen Jahrgangsstufen. So locker sitzt das Geld hier auch nicht, dass die Lehrer mit nur einem müden Unterrichtsfach schon als Oberstudienräte bezahlt werden.«

      »Wer ist der alte Sack, der gerade aufgestanden ist?« Ein älterer Zauberer hatte sich von der Tafel erhoben und richtete sich zu beachtlicher Höhe auf. Sein wallender Bart ließ nicht viel vom Gesicht erkennen, außer einem heiteren Lächeln und ein paar lebhaften hellblauen Augen.

      »Keine Ahnung. Könnte mir vorstellen, dass ...«

      »Das ist Professor Schwurbelbart«, fiel ihm das Mädchen namens Lärmine Danger ins Wort. Sie hatte ihr Gespräch mit den Haferstrohs unterbrochen und beobachtete ebenfalls neugierig den Lehrertisch. »Über den hat kürzlich was in der ›Bravo‹ gestanden. War, glaube ich, in irgendeinen Skandal in der Groupieszene verwickelt.«

      »Danke«, brummte Rum unwillig. »Ich ...«

      »Sieht lustig aus, mit seiner Kinderbrille, nicht?«, unterbrach Lärmine erneut. »Ob er die aus der Kinderkollektion von Stiehlmann hat?«

      »Ich wollte ...«, setzte Rum neu an.

      »Und erst der Hut. Der ist bestimmt von Boys 'r us«, kicherte sie leise und zog die Nase kraus. »Seht mal, mit dem Bart sieht er aus, als hätte er einen Fußsack unterm Kinn. Und die Nase! Der Riesenzinken steht ihm im Gesicht, wie eine Spitzhacke im Scheunentor.«

      »Ich ..., ich geb 's auf«, resignierte Rum.

      »Keine Chance«, grinste Heinrich belustigt.

      Schon hatte sich Lärmine wieder von ihnen abgewendet und unterhielt erneut mit lauter Stimme den Nebentisch.

      Professor Schwurbelbart hatte sich unterdessen hinter der Lehrertafel herausgewurstelt und kletterte auf die Bühne. Er trat hinter ein darauf platziertes Rednerpult und klopfte ein paarmal gegen ein bereitstehendes Mikrofon. »Eins zwo, eins zwo, Soundcheck,« säuselte er hinein und richtete sodann das Wort an seine Schüler. Es wurde still im Saal.

      »Hallo, zusammen. Mann, lange nicht mehr so viele Gören auf einem Haufen gesehen. War eine ruhige Zeit in den letzten Wochen. Naja, alles Schöne geht mal zu Ende.« Er räusperte sich und fuhr fort. »Wie an jedem ersten Sonntag im September haben wir heute viele neue Schüler unter uns. Es entspricht der Tradition, dass ich, bevor wir uns über das Abendessen hermachen, einige Worte der Begrüßung an euch richte. Auch wenn das, was ich zu sagen habe, nur für die Neuen interessant sein wird, würde ich es dennoch schätzen, wenn mir auch die Alteingesessenen zumindest mit einem halben Ohr zuhörten, auch wenn sie sich unerträglich langweilen. – Nun denn, zunächst einmal herzlich Willkommen zu einem neuen Jahr in Hochwärts. Wir werden, wie immer, alles in unserer Macht stehende tun, um euch nach bestem Wissen auszubilden. Warum tun wir das?« Er schaute in die Runde. »Nun, weil wir euren Eltern versprochen haben, dass wir euch von der Straße holen, und weil wir vom Ministerium eine verdammte Stange Geld dafür bekommen. Aber von irgendwas müssen wir schließlich leben. Also: Bildung für euch, Geld für uns. Ich finde, das ist nur fair.

      Nach dem gleich stattfindenden Abendessen werdet ihr von den Marshalls eurer Häuser in eure Gemeinschaftsräume gebracht. Das Wohnen in den Aufenthalts- und Schlafräumen ist nach wie vor mietfrei, obwohl die Zuschüsse vom Ministerium schwer gekürzt wurden. Die schlechte Nachricht: Die Geschlechtertrennung in den Schlafräumen wurde auch in diesem Jahr aufrechterhalten. Ist ja schließlich eine Schule und keine Partnerschaftsvermittlung.« Er kicherte über seinen eigenen Witz. »Äh, ja. Morgen kriegt ihr in der Bekleidungskammer die Aufnäher mit den Hausemblemen für eure Umhänge. Fortan gilt für die gesamte Unterrichtszeit Tragepflicht für diese Tuntenfummel – oh, tut mir leid, Schwylerin. – Wie ihr in der Freizeit rumlauft, bleibt euch überlassen, solange ihr nicht gegen die guten Sitten verstoßt.

      Zum Schluss bitte ich euch, die Sicherheitshinweise zur Kenntnis zu nehmen. Das Video läuft als Endlosschleife auf allen Terminals der Info-Center auf den Etagen sowie im Eingangsbereich. Bitte schaut euch das Video zumindest einmal an und beherzigt die Hinweise. Ihr wisst ja, unser Schusi-Chef, Mr. Filz, sieht alles.« Schwurbelbart nickte zu einem Pfeiler hinüber, an den ein alter Mann mit Hut und beigefarbenem Trenchcoat gelehnt stand. Er sah allerdings nicht im Entferntesten wie ein aufmerksamer Beobachter aus, sondern eher, als kippte er jeden Moment vor Schwäche aus den Latschen. Auf dem Arm hielt er mühsam ein kleines Männchen im weißen Anzug, das man für eine Bauchrednerpuppe hätte halten können. Allerdings war das Männchen höchst lebendig, spähte aufmerksam umher und reckte sich wiederkehrend zum Ohr des Sicherheitschefs hinauf, um ihm dies und jenes zuzuflüstern. Es trug eine dickrandige Hornbrille und einen weißen Hut, den Heinrich als den Panamahut aus der Findungskommission wiedererkannte.

      »Das sind Mr. Filz und sein kleiner Genosse Erich«, flüsterte Rum. »Die sollen hier so was wie die totale Überwachung aufgezogen haben. Nennt sich Abteilung für Schulsicherheit.«

      Mr. Filz hielt den Kopf gesenkt und wirkte unaufmerksam, aber der kleine Erich musterte die Schüler mit Argusaugen und ließ sich keine Einzelheit entgehen. Er kam Heinrich merkwürdig bekannt vor.

      Schwurbelbart kam zum Ende. »So, das wär 's vorläufig. Alles Weitere erzählen euch morgen die Hauslehrer. Ich halte nun erst mal den Rand und erkläre das Buffet für eröffnet.« Er schwang den Zauberstab und ließ die Abdeckungen vom Abendbuffet, das auf Serviertischen zwischen Getränke- und Kaffeeautomat am anderen Ende des Saales aufgebaut war, verschwinden.

      Allgemeines Stühlerücken setzte ein, begleitet vom erleichterten Aufatmen der Schüler über die beendete Begrüßungsrede.