Thomas Helm

"Blutige Rochade"


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Auskünfte zu geben. Deren oft irrwitzige Fragen bisweilen ein Kopfschütteln hervorrufen konnten.

       Ein Schreibtisch und ein Computer samt Monitor befanden sich ebenfalls im Raum. Die Kaffeemaschine hatten sie bereits angeschlossen, als er hier einzog.

       Seine kleine Dienstwohnung, gleich in der Nähe, konnte er zu Fuß erreichen. Er übernahm sie komplett eingerichtet. Schlichte aber sauber verarbeitete Möbel, ein großer Farbfernseher mit Kabelanschluss, ein Bad und eine moderne Küche. Alles war bereits drin!

      Auch, dass sich über die Straße eine nette Cocktailbar befand, kam seinen Ambitionen entgegen. Nach Feierabend trank er dort zwei bis dreimal die Woche ein paar Whiskys.

       Dass ihm Angelo, der schwarz gelockte Barmixer schöne Augen machte, nahm er mit Genugtuung zur Kenntnis. Nur zu gern würde er diese schlanken, südländischen Burschen vernaschen. Nun ja. Dazu bot sich ihm sicherlich bald eine Gelegenheit!

      Er trank einen Schluck Kaffee. Dabei schaute er, in seinen Gedanken vertieft, hinüber zu einem naheliegenden Waldstück. Dort erkannte er immer noch einige Schneefetzen unter den Bäumen.

      Er schmunzelte. Denn innerlich lachte er über ihre peinlichen Vorkehrungen, die sie wegen ihm getroffen hatten. Sie versuchten alles zu vermieden, was ihm zum gesamten Komplex einen genauen Überblick erlauben könnte. So durfte er sich nur in diesem einen Gebäude aufhalten, in dem er sich derzeit aufhielt.

       Dabei war das alles vergebliche Liebesmüh. Die wichtigsten Grundrisse der Baulichkeiten dieser Dienststelle befanden sich ohnehin seit Jahren in seinem Kopf!

      Ein kaltes Lächeln huschte über sein markantes Gesicht.

       Die glauben vermutlich immer noch ernsthaft daran, dass wir ihnen jetzt ausgeliefert wären. Nur, weil unser System offiziell zerschlagen ist und es damit nicht mehr existiert!

      Mann, oh Mann, wo leben die eigentlich? Jahrzehntelang führten wir sie an der Nase herum. Und die Informationen, die wir brauchten, die holten wir uns dort, wo diese Lackschuhe überhaupt nicht hinkamen!

       Doch was soll’s? Sie wollen etwas von mir, – ich kann es ihnen geben. Weil sie mich anscheinend akzeptieren und mich ordentlich dafür bezahlen.

       Auch, wenn das nur so lange vorhält, bis sie mich völlig ausgelutscht haben.

      Er drückte den Rest der Zigarette aus, da es soeben an der Tür klopfte. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte ihm, dass jetzt der nächste vereinbarte Termin anstand.

       Die Tür wurde geöffnet.

      Ein älterer Oberstleutnant in Zivil, mit dem er schon mehrmals gesprochen hatte, trat ein.

      Ihm folgte ein Herr mit gebräuntem Teint und weißen Haaren. Das musste der angekündigte Kontaktoffizier vom Mossad sein. Der wollte heute angeblich etwas über die Kontakte erfahren, die er in den Achtzigern zu den Palästinensern pflegte.

       Er interessierte sich vorgeblich für einige von diesen bärtigen Typen, die sie vor Jahren in den Brandenburger Wäldern ausgebildet hatten. Diese Burschen rückten in ihren Hierarchien inzwischen so weit nach oben, dass sie eine Gefahr für die Israelis darstellten.

      Er lief den beiden Besuchern die wenigen Schritte entgegen und begrüßte sie. Zurückhaltend, aber sehr bestimmt.

       Wir brauchen uns nicht zu ducken! So lautete seine neue Devise.

      »Ich möchte Ihnen Mister Levi vom Mossad verstellen!«, sagte der Beamte vom BND. »Er hat einige dringende Fragen an Sie, Herr Römer! «

      Ost-Berlin (Ende Juli 1990)

      Helmuth Steincke verfluchte lauthals seine zwei linken Hände. Erneut war ihm der Akkuschrauber abgeglitten. »Verdammte Scheiße! So schwer kann’s doch wohl nicht sein!«, jammerte er laut und ungehalten.

       Wozu hatte er denn gestern dieses Gerät in Moabit in einem von diesen Baumärkten erstanden? Wem nutzte es, wenn man als Laie damit nicht klarkam?

      Endlich gelang es ihm. Auch ohne das er einen Handwerker holen musste vermochte er die zweite Schraube festzudrehen.

       Mit einem gewissen Stolz, der seine Brust schwellen ließ, betrachtete er das widerborstige Schild.

       »Steincke & Schirmer-Trockenbau und Rekonstruktionen«

       Das stand in fetten Lettern auf dem glänzenden Kunststoff geschrieben.

      Er wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn. Aufatmend betrat er dabei den neu eingerichteten Firmensitz.

       Mit einem sanften Klicken fiel die hohe Tür hinter ihm ins Schloss.

       Indem er seinen Blick durch den geräumigen, frisch tapezierten Raum schweifen ließ, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.

       Er erblickte drei Arbeitsplätze, die mit teuren Computern ausgestattet worden. Dort, wie auch an zwei anderen Schreibtischen, sollten seine Mitarbeiter zukünftig das Geld für ihn verdienen. Von der Rückwand aus führten vier hell gestrichene Türen zu seinem und zu Frank Schirmers Büro. Ebenso gelangte man von da aus zur Teeküche und zur Toilette.

       Im Augenblick zeigten sich alle Arbeitsplätze verwaist.

      Kufke, der Projektant, suchte am Vormittag einen Kunden auf. Zierbach, der Bauleiter, sah auf einer Baustelle nach dem Rechten. Und die Sekretärin, gerade eingestellt, würde morgen erst mit ihrer Arbeit beginnen.

      Sein Partner, Frank Schirmer, war in der Stadt in Sachen Akquisition unterwegs. Mit dem neuen Dienstwagen

      Steincke verstaute den Akkuschrauber in einen der Wandschränke, wo auch das andere Werkzeug herumlag. Er durchquerte den Raum und betrat sein Büro.

      Seufzend ließ er sich hinter seinem modernen Schreibtisch in den mit Leder bezogenen Drehsessel fallen. Rasch zog das große Fach von linken der beiden Rollcontainer auf. Die standen beiderseits unter der Tischplatte.

      Nach einem winzigen Zögern ergriff er die Flasche mit dem irischen Whisky und eines der geschliffenen Gläser.

       Am liebsten genoss er das bernsteingelbe Getränk bei Raumtemperatur. Meistens kam er diesem Vergnügen nach, wenn ihn niemand dabei beobachtete. So wie eben auch.

       Früher genoss er grusinischen Cognac. Heutzutage schlürfte er mit Vorliebe einen feinen Whisky. Auch schon, als der bis vor einigen Wochen noch einen gepfefferten Preis in alter DDR-Mark hatte.

      Vorsichtig roch er in das Glas hinein, sagte ein leises »Hallo« und schwenkte das Getränk ein wenig. Dann schaute er stolz auf die langen Tränen, die innen im Gefäß herabrannen.

       Er brannte sich eine Zigarette an, blies den Rauch gelassen zur Zimmerdecke hin. Erst jetzt nahm er genüsslich einen Schluck vom edlen, teuren Tropfen. Ein Lächeln verklärte sein Gesicht, als der feurige Strom seinem Magen zustrebte.

       Schnuppernd hob er nochmals die Nase.

       Alles hier roch neu. Nach Farbe, Leder und Holz. Es schien, als wollten diese martialischen Ausdünstungen das herrliche Bukett des Whiskys übertreffen.

      Sein Blick fiel auf die Straßenbäume draußen vor den beiden Fenstern. Im dichten Laub, bewegt von einem sanften Wind, spielte flirrend das Sonnenlicht.

       Er nahm einen kleinen Schluck und schaute auf den großformatigen Wandkalender. Der zeigte die bunte Werbung einer Fensterfirma und hing gleich neben die Tür.

      Mann Gottes! Der Monat geht ja schon wieder zu Ende, dachte er beim Blick aufs heutige Datum. Und dabei war er hektisch und verrückt gewesen, dieser Juli des Jahres Neunzig!

       Er stöhnte leise und winkte ab. Denn ebenso durchgedreht zeigte sich schließlich das gesamte erste Halbjahr.

       Und das, was in dieser kurzen Zeit passierte ging auf keine Kuhhaut!

       Er schüttelte den Kopf, um daraufhin noch einen Schluck zu genießen. In seinen Gedanken ging er einen Schritt zurück.

      Auf zu neuen Ufern (im ersten Halbjahr 1990)

      Es