Stefan Heidenreich

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so schnell wie möglich herkommen.“

      „Ich werde versuchen es einzurichten, und wahrscheinlich gegen 15.00 Uhr bei Ihnen sein“, erwiderte Stefan nach einem kurzen Blick auf seinen Terminkalender.

      An diesem Tag war in der Firma nicht besonders viel los, und ein paar von den Dingen, die er sich eigentlich vorgenommen hatte, würden noch etwas warten müssen. So auch die Geschäftspost, von der er erst ein Drittel abgearbeitet hatte.

      Schließlich wollte er endlich wissen, warum und in welcher Angelegenheit ihn Heinz Steinberg so dringend sprechen wollte.

      Die Straßen von Berlin waren wie immer vom einsetzenden Feierabendverkehr verstopft, und der Nachrichtensprecher, dessen Stimme sich durch die kleinen Lautsprecher des Autoradios zwängte, berichtete von den jüngsten Selbstmordattentaten in Bagdad sowie über Bin Laden, von dem ein weiteres Video aufgetaucht war, in dem er den Vereinigten Staaten wie immer drohte.

      Irgendwo braute sich wieder einmal ein Hurrikan zusammen und nahm Kurs auf Südamerika.

      Anschließend wurden noch die neusten Opferzahlen aus dem Indischen Ozean bekannt gegeben. Dann folgte der Wetterbericht und im Anschluss sollte ein Bericht über die derzeit stattfindende Weltklimakonferenz folgen.

      Nun, es gab an diesem Tage wieder einmal nichts Erfreuliches auf der Welt außer Steinbergs Genesung. Stefan steuerte seinen Mazda in eine freie Parklücke und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Residenz.

      Am Tor erwartete ihn bereits eine rundlich wirkende Dame in einem dunkelgrünen Kostüm, während der kräftige Zeitungsleser vom Vortag etwas abseits stand und offensichtlich versuchte, dem nun folgenden Gespräch zu lauschen.

      Irgendwie fühlte sich Stefan von diesem Mann beobachtet.

      Unmittelbar, nachdem er Stefans Aufmerksamkeit erweckt hatte, machte sich der Fremde schnellen Schrittes schon wieder aus dem Staub. Stefan war bestimmt kein ängstlicher Mensch, spürte aber ein gewisses Unbehagen.

      Seine Empfangsdame schien von alledem nichts mitbekommen zu haben und fing sofort zu erzählen an.

      „Haben Sie schon gehört?“, fragte sie. „Wir können es alle immer noch nicht fassen. Der alte Steinberg ist heute zum ersten Mal seit über 30 Jahren ein paar Schritte gelaufen. Bislang musste Bernd ihn immer im Rollstuhl schieben. Und heute, wie durch ein Wunder konnte ich mit meinen eigenen Augen mit ansehen, wie er mit Bernds Hilfe die ersten Schritte gehen konnte.

      Oh Gott, ich bin so aufgeregt, dass ich mich noch nicht einmal vorgestellt habe. Mein Name ist Gerda. Ich bin hier für die Diät-Kost zuständig. Ich wusste allerdings nicht, dass der alte Mann einen Sohn hat.“ Ihre Stimme überschlug sich regelrecht.

      „Einen Sohn?“, fragte Stefan ungläubig „Ich weiß nicht, ob er einen hat. Ich habe ihn selbst erst gestern kennengelernt.“

      „Oh, ich glaube, da bin ich jetzt mächtig in ein Fettnäpfchen getreten.“ Gerdas Gesicht verfärbte sich in ein tiefes Rot.

      „Aber egal wer Sie auch sind, Bernd und Herr Steinberg sind gerade im Garten. Sie müssen der Besucher sein, den die beiden erwarten. Ich bringe Sie zu ihnen.“

      Wieder kamen sie an der Dame vorbei, die bereits mit ihrem Klemmbrett wedelte, auf dem Gerda die nötigen Einträge vornahm, bevor sie in ihren Stöckelschuhen vor Stefan durch die Grünanlage stapfte.

      Wenige Augenblicke später fanden sie den alten Steinberg mit geschlossenen Augen inmitten eines gepflegten Gartens vor. Er saß, mit einer für ihn viel zu großen Strickjacke bekleidet, auf einer Bank und ließ sich die warme Herbstsonne ins Gesicht scheinen.

      Heider befand sich etwas abseits und war gerade mit einer kleinen Gruppe älterer Bewohner in ein Gespräch vertieft. Immer wieder wurden Hände geschüttelt.

      „Ist das sein Sohn?“, hörte Stefan eine weißhaarige Frau im pinkfarbenen Jogginganzug flüstern, die dabei auf ihn deutete.

      Heider drehte sich augenblicklich zu ihm um und kam, ohne sich von der Gruppe zu verabschieden, auf ihn zu.

      „Ich bin nicht der Sohn!“, rief Stefan den Leuten über Heiders Schulter hinweg zu.

      „Warum glauben hier alle, dass ich ein Verwandter bin?“

      Heider lachte nur.

      „Ich weiß es nicht. Aber ich freue mich, Sie zu sehen. Er hat schon den ganzen Tag nach Ihnen gefragt.“

      „Habe ich nicht!“, murmelte eine entrüstete Stimme hinter den beiden. Steinberg war aus seinem Schlaf erwacht und lächelte verschmitzt.

      Stefan ging auf ihn zu, unsicher, ob er ihm jetzt zur Begrüßung die Hand schütteln sollte oder nicht.

      „Bernd, bitte besorge unserem Gast einen Stuhl. Ich möchte nicht die ganze Zeit zu ihm aufsehen müssen. Das habe ich früher schon immer gehasst.“

      Heider verschwand augenblicklich hinter ein paar Büschen, während Steinberg seinen Gast aus großen gesunden Augen ansah und ihm seine Hand entgegenstreckte.

      Es war eindeutig nicht derselbe Mensch, an dessen Krankenbett er am Vortag gestanden und der seine Hand gehalten hatte. Zumindest befand er sich nicht im gleichen Zustand.

      Heider kam mit einem weißen Plastikstuhl und einem Tablett, welches er geschickt jonglierte, zurück.

      „Ich wusste nicht, ob jemand einen Kaffee wollte, habe aber vorsichtshalber welchen für euch mitgebracht“, sagte er, während er das Tablett neben dem Alten auf der Bank abstellte.

      „Und wo ist der Kuchen?“, fragte Steinberg unwirsch, wobei er abermals schelmisch lächelte.

      Sein Lachen steckte nicht nur Heider, sondern auch Stefan mit an. Normalerweise war es immer Stefans Aufgabe seine Mitmenschen durch einen Witz zum Lachen zu bringen. Aber diesmal genügten ein paar Worte aus dem Mund eines mindestens 90-Jährigen, um dieselbe Wirkung zu erzielen.

      „Ich gehe sofort noch mal los und hole welchen“, erbot sich Heider hilfsbereit.

      „Das hat keine Eile“, erwiderte Steinberg. „Aber du solltest vielleicht einen Aschenbecher für unseren Gast besorgen und uns dann alleine lassen. Wir beide haben eine Menge zu besprechen.“

      Wieder flitzte Heider los, drückte dem Besucher nur wenige Augenblicke später wortlos einen Aschenbecher in die Hand und ließ die beiden so ungleichen Männer allein.

      Woher wusste der Alte, dass Stefan in genau diesem Moment eine Zigarette rauchen wollte?

      Da der Sommer schon fast vorbei war, trug Stefan einen Blouson, sodass die Schachtel Camel in seiner Hemdtasche ihn unmöglich als Raucher entlarven konnte. Weil er in diesem Punkt sehr eitel war, waren seine Finger auch nicht, wie bei anderen Rauchern, vom Nikotin verfärbt, und da er im Auto immer noch nicht rauchte, lutschte er noch am Eukalyptusbonbon aus seinem Handschuhfach.

      „Tun Sie sich keinen Zwang an. Das bisschen Rauch wird mich nicht gleich umbringen.“

      Stefan zündete sich eine Zigarette an, pustete den Rauch in die von Steinberg abgewandte Richtung und hörte zu, was ihm dieser zu sagen hatte.

      Der Alte sprach sehr leise, aber so eindringlich, dass Stefan sich seiner Worte beim besten Willen nicht entziehen konnte.

      „Sie fragen sich immer noch, warum Sie hier sind. Habe ich recht?“

      Stefan nickte zustimmend.

      „Gut, dann lassen Sie mich beginnen, es Ihnen zu erklären. Vorweg erlauben Sie mir bitte eine Frage, auch wenn ich die Antwort bereits kenne.“

      Abermals gab ihm Stefan mit einem kurzen Blick seine Zustimmung zu verstehen.

      „Sie sind der Verfasser eines Buchs mit dem Titel ›Im Netz der Gedanken‹. Liege ich damit richtig?“

      Seine komplette Ausdrucksweise sowie seine Intonation ließen in Stefan keinen Zweifel aufkommen, dass er vor einem hochgebildeten Menschen saß.

      „Ja,