Stefan Heidenreich

Libri Cogitati


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bekäme. Entgegen den allgemeinen Regeln, die es für unsere Rechtschreibung gab, ging er nun mal sehr großzügig mit der Verteilung von Kommas um. Er setzte sie einfach gemäß seinem Gefühl, welches sich in diesem Punkt allerdings als ziemlich unzuverlässig erwies. Aber das war nur ein Teil seines eigenwilligen Umgangs mit der deutschen Sprache.

      Laut seinem Billard spielenden Rechtsberater hätte er bereits in dieser Phase viele für einen späteren Zivilstreit gravierende Fehler machen können. Gerhard hatte zwar angeboten, ihn beim bevorstehenden Treffen zu begleiten, aber gleichzeitig auch zu bedenken gegeben, dass bereits die Gegenwart eines Juristen als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte.

      Diesem Rat folgend saß er also vor seiner Tastatur und verfasste den nächsten Brief.

      Er entschied sich für einen knappen Text, den er mehrmals korrigierte, bis er ihn schließlich für gut befand.

      „Hallo Herr Heider,

      bitte teilen Sie mir mit, wann und wo ich mit Herrn Steinberg zusammentreffen kann.

      Mit freundlichen Grüßen“

      Gerhards Anregungen folgend, verzichtete Stefan darauf, das Schreiben mit seinem Namen zu unterzeichnen. Er sollte sich, einem weiteren Rat zur Folge, generell angewöhnen, immer dann auf eine Unterschrift zu verzichten, wenn es um Dinge ging, die eines Tages gegen ihn verwendet werden könnten.

      Stefan drückte auf den Button „Senden“ und schickte seinen Brief elektronisch auf die Reise. Seinen Computer ließ er eingeschaltet und erhöhte die Lautstärke so weit, dass er eine eintreffende E-Mail in jedem Raum seiner Zwei-Zimmerwohnung hören könnte.

      Dann setzte er sich im Wohnzimmer auf sein Sofa und schaltete den Fernseher ein. Es lief eine der zahlreichen Quiz-Sendungen und er versuchte, sich auf die gestellten Fragen zu konzentrieren.

      Die Kandidatin, eine ca. 35-jährige Frau, die ihr überdimensioniertes Hinterteil erst vor 10 Minuten in den Stuhl gegenüber dem Quizmaster gepresst hatte, war immer noch damit beschäftigt, die erst zweite gestellte Frage zu verstehen. Der Moderator der Sendung hatte sichtbare Schwierigkeiten, seine Empörung darüber mit der erforderlichen Höflichkeit zu überspielen. Gerade als die von Gottes Laune zum molligen Modell erkorene Hausfrau Luft holte, um eine Antwort zu formulieren, meldete der Computer im Nebenraum das Eintreffen einer E-Mail an. Sofort rannte Stefan ins Nebenzimmer und konnte gerade noch hören, wie diese dumme, dicke Frau den Bolero von Ravel Julio Iglesias zuordnete.

      Auf dem Monitor blinkte die Nachricht:

      „Sie haben Post.“

      Eiligst öffnete er die Mail und las ihren Inhalt.

      „Herr Steinberg erwartet ihren Besuch morgen um 10.30 Uhr in der Clayallee 52 in Berlin-Zehlendorf.

      Mit freundlichen Grüßen

      Bernd Heider“

      Weil es noch nicht sehr spät war, rief er Frau Janke zu Hause an und bat sie, den für den nächsten Tag erwarteten Kunden für ihn zu übernehmen. Da sie den Kunden, einen der Ersten, seitdem er in der Branche tätig war, sehr gut kannte, erklärte sie sich sofort bereit, ihm diese Gefälligkeit zu erweisen. Irgendwie mochten sich die beiden, und wenn sich Stefan nicht irrte, hatten sie sogar mehr als nur berufliches Interesse aneinander. Und wer weiß?

      Vielleicht spielte er mit dieser beruflichen Programmänderung sogar ein bisschen Schicksal für die beiden.

      2. Kapitel

      Nachdem er alle Pläne des Vormittags kurzfristig gestrichen und einige der anstehenden Aufgaben neu verteilt hatte, saß Stefan also mit seiner ausgedruckten E-Mail und der selbst erstellten Hinweisliste über mögliche taktische Fehler in der Tasche im Auto und fuhr ohne Umwege von seiner Wohnung aus zur genannten Adresse.

      Gemäß Gerhards Anweisungen wählte er eine unscheinbare Kleidung, die aus einer einfachen Stoffhose, Oberhemd und Pullover sowie einem leichten Blouson bestand. Sein ursprüngliches Vorhaben, zu diesem Anlass einen Anzug zu tragen, verwarf er, als Gerhard darauf hinwies, dass viele Leute bereits anhand der Kleidung eine zu erwartende Schadenersatzforderung festmachen.

      Die Morgenstunden erwiesen sich inzwischen als kühl, aber bereits nach wenigen Kilometern hatte sich die Sonne durch die dünne Wolkendecke gekämpft.

      Wie der gesamte Berliner Ortsteil Zehlendorf, in den sein Weg ihn führte, gehört auch die Clayallee zu den vornehmeren Gegenden der Stadt.

      Bereits beim Einbiegen in die Straße konnte er erkennen, dass sich die Gehwege und Grünanlagen, die diese säumten, in einem wesentlich besseren Zustand befanden als der größte Teil des restlichen Stadtbildes. Der gesamte Baustil zeigte bis auf nur wenige Ausnahmen ein kostspieliges Niveau. Ein paar Gebäude, die man als Stadtvilla bezeichnen könnte, schmückten sich im Eingangsbereich mit prunkvollen, meist weißen Säulen.

      Die Hausnummern, die er passierte, verrieten ihm, dass er sein Ziel jeden Moment erreichen würde, und der schmiedeeiserne Zaun, der das Grundstück mit der Nummer 52 umgab, ließ ihn in Ehrfurcht regelrecht erstarren.

      Entschlossen lenkte er sein Auto in eine Parklücke, die bei seinem Eintreffen (wieder einmal) direkt vor dem Grundstück frei wurde und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Eingangstor.

      Von welcher Güte die Arbeit des darin lebenden Anwalts sein mochte, darüber bestand inzwischen kein Zweifel mehr.

      Zumindest wusste dieser Anwalt offensichtlich sich seine Leistungen mehr als ordentlich honorieren zu lassen. Zudem verstand er es meisterlich, seine Besucher bereits beim Eintreffen mit kostspieliger Eleganz zu beeindrucken.

      Anders als erwartet, existierte jedoch nirgends eine goldene Namenstafel, die auf eine Anwaltskanzlei schließen ließ. Diese Namenstafeln gaben im Allgemeinen bereits erste Hinweise auf die zu erwartende Gebührenrechnung.

      Das Hauptgebäude befand sich auf dem hinteren Teil des Anwesens, während eine akkurat gepflegte Rasenfläche den erforderlichen Rahmen dazu bildete. An zwei Bäumen konnte man Überwachungskameras entdecken, die offensichtlich zum Schutz der gesamten Anlage installiert worden waren. Schnell ging Stefan seine Checkliste noch einmal im Kopf durch.

      ,Wollte er dieses Grundstück tatsächlich betreten? Sich wirklich dem Gespräch mit jemandem aussetzen, der gesellschaftlich so deutlich in einer höheren Liga spielte, von der er eigentlich so gut wie nichts wusste?‘

      In dem Moment, als er darüber nachdachte, bemerkte er den ins Mauerwerk eingelassenen Klingelknopf, der in der Sonne glänzte. Immer noch zögerte er, ihn zu betätigen. Nach einer eingelegten Zigarettenpause und genauer Inspizierung des Grundstücks drückte er ihn dann doch und harrte der Dinge, die da kommen würden. Bereits nach wenigen Sekunden kam eine Frau in Schwesterntracht ans Tor und fragte freundlichst, was sie denn für ihn tun könne.

      Völlig verwirrt von diesem Anblick teilte Stefan ihr mit, dass er einen Termin mit einem gewissen Herrn Steinberg hätte.

      „Einen Moment bitte. Ich hole Herrn Heider.“

      Noch bevor Stefan auch nur ein Wort sagen konnte, verschwand sie mit ihren Stöckelschuhen, deren Absätze rhythmisch auf den Gehwegplatten trommelten, wieder im Gebäude. Stefan wartete geduldig, und noch während er darüber nachdachte, wie Absatzschuhe und Schwesterntracht zusammenpassten, tauchte ein kräftiger, fast hünenhafter Mann von ca. 40 Jahren auf, der ihn mit den Worten „Hallo, ich bin Bernd Heider. Ich freue mich, dass sie hier sind“, empfing.

      Er trug genau wie Stefan eine Stoffhose und dazu ein grünes Poloshirt, dessen kurze Ärmel sich um den Bizeps eines Bodybuilders spannten. Die zur Begrüßung entgegengestreckte Hand erinnerte Stefan allerdings eher an die Pranke eines Bären, und er konnte nur noch mit ansehen, wie seine eigene komplett darin verschwand, um augenblicklich den Kräften eines Schraubstocks ausgesetzt zu werden.

      „Entschuldigung, aber ich weiß immer noch nicht, was ich hier überhaupt suche“, erwiderte Stefan schüchtern, während er krampfhaft versuchte,