Stefan Heidenreich

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      Die meisten Einträge, welche er im Internet fand, verwiesen auf einen Soft- und Hardwarehersteller, der verschiedene Produkte zur professionellen Musikbearbeitung anbot. Nach kurzer Zeit erkannte er die Einträge dieser Firma auf Anhieb, sodass er sich auf die restlichen konzentrieren konnte.

      Da gab es einen Heinrich Steinberg, über den eine Münchner Tageszeitung einen Artikel veröffentlicht hatte, weil er fünf Monate zuvor einen Räuber in die Flucht gejagt hatte. Es handelte sich bei dem Mann um einen ehemaligen Postbeamten, der eines Morgens auf dem Heimweg von einem Jugendlichen überfallen worden war, nachdem er seine Pension von der Postbank abgeholt hatte. Sicherlich war diese Geschichte einen Artikel in der besagten Tageszeitung wert, konnte aber unmöglich etwas mit Stefan tun haben.

      Dann stieß er auf einen Manfred Steinberg, der als Fachanwalt für medizinische Kunstfehler diverse Artikel in Fachzeitschriften veröffentlichte und ein eigenes Internetforum unterhielt, in dem sich Opfer der Medizin öffentlich zu Wort melden konnten.

      Auch dieser Steinberg konnte unmöglich derjenige sein, mit dem er sich laut Heider unterhalten sollte.

      Er erfuhr, dass Sven Steinberg, ein 14-jähriger Fußballspieler, mit seinem Verein in die Merseburger Kreisliga aufgestiegen war, und fand noch eine Familie Steinberg, die sich auf verschiedenen Seiten als eine deutsche Musterfamilie in Szene setzte. Selbst der für seinen Geschmack ausgesprochen hässliche Haushund der Familie wurde, für diese Darstellung eines trauten Heims, ganze 13 Mal abgelichtet.

      Er schickte den Namen Steinberg noch zusammen mit Begriffen wie „Anwalt“ und „Rechtsanwalt“ auf eine Reise durch das Netz, aber mehr als den medizinischen Fachanwalt gab das WWW nicht her.

      Also musste es sich bei Steinberg um den Mandanten und bei Heider um seinen Anwalt handeln, mutmaßte er.

      Er wiederholte die ganze Prozedur noch einmal mit dem Namen Heider. Doch auch diese Suche verlief erfolglos.

      Bei Heider kannte er durch die E-Mail den Vornamen, was die Suche wesentlich verkürzte. Nun war er um die Erkenntnis reicher, dass weder Anwalt noch Mandant berühmt genug waren, um im Internet Erwähnung zu finden.

      Trotzdem war er davon überzeugt, dass ihm mit Gewissheit ein Rechtsstreit bevorstand. In diesem Punkt war er sich ganz sicher. Zu gern hätte er gewusst, welcher der beiden der Anwalt und welcher der Mandant war. Auch was er dem Mandanten angetan haben sollte, hätte ihn im Vorfeld brennend interessiert. Denn so hätte er wenigstens die Möglichkeit gehabt, sich auf ein Gespräch mit diesem ominösen Steinberg vorzubereiten.

      „Wann wollte er hier sein?“ Dennis sah sich in der Runde um und stellte fest, dass nicht nur Caroline, sondern auch die restlichen fünf Kommilitonen eine Antwort auf ihre Frage erwarteten. „Eigentlich sollte er schon seit einer Stunde hier sein. Ich verstehe das nicht. Es wäre das erste Mal, dass er einen Termin versäumt. Und ihr wisst ja, wie er immer sagt …“ Alle sieben stimmten mit ihm im Chor ein: „Pünktlichkeit ist eine Zier …“ Sie lachten schallend los, bis Jenny plötzlich ganz ruhig wurde. „Ungewöhnlich. Das passt gar nicht zu ihm.“

      Alles war vorbereitet, und jeder der Anwesenden hatte sich auf diesen Abend gefreut.

      Es sollte der Abschlussabend des Projekts sein, und heute wollten sie dem Professor ihre Arbeiten übergeben. Alle sieben studierten an der Universität in Marburg Philosophie im vierten Semester.

      Auf das Projekt, an dem sie seit drei Monaten arbeiteten, wurden sie aufmerksam, als Patrick damals das Buch „Im Netz der Gedanken“ gelesen und im Anschluss den anderen von der darin enthaltenen Theorie erzählt hatte.

      Sofort teilten sich die Ansichten der Studenten in zwei Lager auf. Während die einen eine solche Theorie begrüßten, lehnten die anderen diese vehement ab.

      Der Professor, ein Verfechter von Arbeitsprojekten, stellte es seinen Studenten frei, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Übrig blieben die sieben Anwesenden, die ihre Ergebnisse an diesem Abend ihrem Professor vorstellen wollten. Caroline war die erste der Gruppe, die herausfand, dass ähnliche Denkansätze bereits in alten chinesischen Weisheiten existierten, und forschte auf diesem Gebiet.

      Die restlichen sechs erarbeiteten ein Konzept, in dem sie alles zusammentrugen und in komprimierter Form niederschrieben. Dabei kamen sie zu folgenden Ergebnissen:

      Menschen sind für die meisten von uns nicht mehr als biologische Maschinen, in denen ein zufällig entstandener Computer, den wir Gehirn nennen, als Leitzentrale fungiert. Es war alles im Grunde ganz einfach. Ein kleiner elektrischer Impuls von dieser Leitzentrale an die richtige Stelle ausgesandt, und wir öffnen unsere Finger. Ein weiterer Impuls, und wir schließen sie wieder.

      Einen Kippschalter betätigte man, und im Zimmer ging das Licht an. Eine weitere Betätigung löschte es wieder.

      Alles war erklärbar. Jede Kraft war kontrollierbar oder würde es durch unser technisches Verständnis eines Tages sein. Immer größere und komplizierter werdende Maschinen wurden entwickelt. Man arbeitet seit Jahren daran, selbst Naturgewalten nicht nur vorher zu erkennen, sondern sie sogar zu beeinflussen. Eines Tages wären wir in der Lage, selbst einen Tornado in seine Schranken zu weisen. Wir erforschten den Weltraum und landeten auf dem Mond. Wir wussten inzwischen sogar, dass es auf dem Mars vor langer Zeit einmal Wasser gegeben haben musste. Wasser, der Ursprung des Lebens, wie wir vermuteten.

      Alles folgte den uns bekannten physikalischen Gesetzen. Alles war, wie gesagt, erklärbar.

      Alles, außer den sogenannten Psi-Kräften.

      Die Gruppe kam zu der Erkenntnis, dass auch diese schon seit Anbeginn der Welt existierten. Oder bereits vor unserer Welt existiert hatten. Was aber, wenn wir selbst nur die Produkte dieser Kräfte waren? Wenn alles um uns herum nicht mehr war als eine gemeinsame Illusion? Erschaffen von uns – für uns.

      Wissenschaftler der ganzen Welt versuchten diese Kräfte immer wieder zu untersuchen, und wenn sie keine Erklärung für ihre Existenz abgeben konnten, dann wurde derjenige, der offensichtlich über diese Kräfte verfügte, als Betrüger abgestempelt. Sei es Uri Geller, Nina Kulagina oder viele andere, die irgendwann scheinbar aus dem Nichts auftauchten und meist genauso schnell wieder verschwanden.

      Einem Bericht zur Folge soll zum Beispiel Uri Geller seine Gabe von einer außerirdischen Macht erhalten haben, die ihn in Israel, wo er damals geboren wurde, im Alter von acht Jahren heimsuchte. Der Verfasser dieses Berichts legte den größten Wert darauf die Geschichte dermaßen zu übertreiben, dass man als Leser zum Schluss nur noch an Betrug und Scharlatanerie glauben konnte.

      Nina Kulagina wurde laut einem anderen Bericht nur von den Wissenschaftlern der UDSSR untersucht. Die westliche Welt war damals ohnehin nicht bereit, irgendetwas aus diesem Land anzuerkennen. Also konnte man auch sie und ihre Fähigkeiten ohne Angabe von Gründen einfach ablehnen.

      Es gab noch unzählige dieser Menschen, die entweder Materie durch ihren Geist bewegen, den Herzschlag anderer Lebewesen beeinflussen oder sich sogar ohne fremde Hilfe selbst in die Luft erheben konnten.

      Da unsere Physik diese Dinge nicht erklären kann, musste man diesen Phänomenen anders begegnen. Wo kämen wir denn hin, wenn unsere Wissenschaftler zugeben müssten, Dinge nicht zu verstehen? Wenn unsere großen Denker und Vorbilder nicht mehr wären als neugierige Kinder, denen die Antworten auf unsere vielen Fragen einfach fehlten?

      Nein, das durfte nicht sein. Was wir nicht verstanden, das gab es nicht. Wir lehnten es einfach ab. Und das taten wir inzwischen schon, seitdem Adam und Eva vom verbotenen Baum der Erkenntnis aßen.

      Wir logen und betrogen uns selbst, um unsere eigene Existenz zu schützen. Wir strebten seit Anbeginn unseres Seins danach, im Mittelpunkt der Welt zu stehen. Für die meisten von uns war es schon unvorstellbar, dass alles, einschließlich uns selbst, laut Darwin durch eine Abfolge von Zufällen entstanden sein soll. Da wäre es doch ein viel schöneres Gefühl, an eine Schöpfungstheorie zu glauben, in der wir von einer höheren Macht zum Mittelpunkt des Seins erschaffen worden waren. Wir wären wichtig. Zu diesem Thema teilte sich die Menschheit inzwischen in zwei Lager auf, die ihre Ansichten offen verteidigten. So fand