Nathalie O'Hara

Das Vermächtnis der Kristallkönigin


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der Transfer abgebrochen, die Mädchen bekamen britische Pässe und wohnten seitdem in dem abgelegenen Kloster. Das Kloster lag in einer ziemlichen Einöde, mehrere hunderte Kilometer von London entfernt. Es stellte sich später heraus, dass regelmäßig junge, verwaiste Mädchen in das Kloster gebracht wurden, um dort für ein wenig Essen und eine spärliche Unterkunft, schwere Arbeiten zu verrichten.

      „Sarah? Bist du eingeschlafen?“, fragte Cerridwen und riss das Mädchen aus den Gedanken.

      „Damit können wir leckere Marmelade herstellen“, sagte die Hüterin und deutete auf einen Ast voll reifer Marillen. „Worauf hättest du sonst noch Lust? Was kochen wir heute?“, fragte sie.

      Sarah löste sich mühsam von den trüben Gedanken der Vergangenheit, lächelte die Hüterin an und begann die orangen Früchte von dem Baum zu pflücken.

      „Ich hätte gerne wieder einmal ein saftiges Steak oder ein knuspriges Brathuhn mit Kartoffelbrei und Bratensaft“, sagte Sarah und leckte sich über die Lippen. Der pure Gedanke an saftiges Fleisch ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen.

      Cerridwen schüttelte den Kopf: „Wir sind keine Jägerinnen, wir können Fleisch nur dann essen wenn uns ein Jäger welches bringt. Wir beschränken uns auf die Fischerei und das Sammeln von Kräutern, Beeren, Obst, Wurzeln und Gemüse.“

      Sarah seufzte und die Hoffnung nach gutbürgerlicher Küche verschwand allmählich.

      „Aah, ich weiß was ich dir anbieten kann“, sagte Cerridwen, hastete zwischen den Himbeersträuchern hindurch, die den schmalen Weg säumten und kam mit einem Blattkorb voller Eier wieder zurück.

      „Ich bin mir sicher, dass dir das auch ganz gut schmecken wird, selbst wenn es kein Fleisch dazu gibt.“

      Der Blattkorb bestand aus einem einfachen grünen, überdimensional großen Blatt, dessen kurzer Stiel durch eine Seite gebohrt wurde und so einen Henkel bildete. Diesen Korb hatte Cerridwen mit seltsamen, bläulichen Eiern gefüllt, die etwas größer waren als Hühnereier. „Der Wasserpfau hat viele Eier gelegt und ich dachte mir, wir machen aus der Hälfte davon ein leckeres Pilzomelette und aus dem Rest einen Himbeerkuchen. Wir haben noch Kräutersuppe von gestern, die wir auch noch aufessen müssen. Außerdem hat mir ein Bauer gestern, als ihr bereits geschlafen habt, frische Kuhmilch aus der anderen Welt gebracht. Die können wir zum Kuchen servieren“, schmatzte Cerridwen.

      Als sie ihre Körbe mit den prächtigsten Pilzen, Himbeeren, Kräutern und Früchten gefüllt hatten, machten sie sich auf den Weg zurück in die Küche und stellten die Zutaten in den Vorratsschrank. Danach gingen sie zurück in den Obstgarten und Sarah wurde alles an Kräuterkunde beigebracht, was sie zum Kochen, Backen und Heilen benötigen würde. Cerridwen war eine außerordentlich gute Lehrerin und binnen weniger Stunden hatte sich Sarah so ein weitreichendes Wissen angeeignet, dass sie eine gesamte Armee gesund pflegen hätte können.

      Es machte ihr großen Spaß dieses Wissen zu lernen, vor allem weil ihr vorher nicht bewusst war, wie einfach man Heiltränke und Elixiere herstellen konnte. Als sich die Sonne langsam dem Untergang entgegen neigte, gingen sie zurück in die Küche und Sarah lernte die Kunst des Kochens und des Backens. Ein herrlicher Duft durchzog die Küche und das Mädchen freute sich, dass ihr erster Kuchen so toll gelungen war.

      Als die Sonne am Horizont verschwunden war, kamen Maya und Siran durch die Türe herein und setzten sich hungrig an den Tisch.

      „Ich bin hundemüde, hungrig und meine Arme schmerzen“, jammerte Maya und schlang ihr Pilzomelette und den warmen Himbeerkuchen hinunter als hätte sie einen Wüstenritt hinter sich. Als sie ihr Glas Milch in einem Zug gelehrt hatte, verabschiedete sie sich von allen und ging ohne ein Bad im Wasserfall, zu Bett.

      Sarah saß am Tisch, vor ihr der leere Teller und warf Siran verstohlene Blicke zu. Er schien es zu bemerken, drehte sich zu ihr und lächelte sie freundlich an. Sarah schmolz dahin, wurde aber von Cerridwen ziemlich bald aus ihren Träumen gerissen. Da morgen wieder ein großer Tag sei, sollte sie heute schon früher zu Bette gehen.

      Sarah wäre lieber noch neben Siran gesessen und machte sich mürrisch auf den Weg zum Wasserfall. Während sie ihren Körper und ihre Haare wusch, überlegte sie,

      wie sie sich morgen besonders hübsch zurechtmachen könnte. Es war das erste Mal, dass sie so ein Flattern im Bauch verspürte.Da sie aber am Abend nie wusste, welches Kleid am nächsten Tag für sie bereit liegen würde und auch die Blüten für den Haarkranz frisch sein sollten, entschied sie, den Blumenkranz morgen noch vor dem Frühstück zu gestalten. Zurück im Wolkenzimmer, bürstete sie sich die nassen Haare mit der knorrigen Wurzelbürste, die Cerridwen für die Mädchen angefertigt hatte, zog sich ihr langes, weißes Nachtkleid an und legte sich ins weiche Bett. Zufrieden und müde vom Tag schloss sie ihre Augen.

      >>Welch schöne blaue Augen er doch hat… und dieses Lächeln… ich liebe sein Lächeln..<<, schwärmte sie und schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

      16. Es war noch ziemlich früh als Sarah ihre Augen öffnete. Maya schlief noch tief und fest in ihrem Bett.

      Ab und zu drehte sie sich um, zog ihre Decke wieder höher und schlummerte friedlich weiter. Leise huschte Sarah zu dem weißen Kleiderschrank in ihrem Zimmer und öffnete erwartungsvoll seine Türen. >>Neeeein, schon wieder ein weißes Kleid!<<, ärgerte sie sich insgeheim und zog sich enttäuscht an. Dieses Mal war das Kleid am Saum bestickt und hatte vorne über der Brust zwei Kordeln, die im ZickZack-Verlauf bis zur Taille verliefen und dort gezogen werden konnten um die Weite bei der Brust zu verändern. Da Sarahs Brust schon ziemlich feminine Formen annahm, waren die Kordeln sehr praktisch. Sie schlüpfte in ihre bestickten Schuhe und schlich leise aus der Kammer.

      Tür geschlossen, Tür geöffnet und da war er wieder, der wunderschöne Wasserfall.

      Sarah ging hinaus in den Garten, setzte sich auf einen Felsen, überlegte und ließ ihre Blicke durch den Garten schweifen. Wie könnte sie ihr Kleid etwas aufpeppen?

      Als sie die großen, roten Blumen sah, kam ihr eine Idee. Sorgfältig pflückte sie ein paar handgroße Blüten und flocht sich daraus einen Gürtel. Danach suchte sie nach ein paar kleineren, rötlichen Blumen und steckte sich ein paar davon in ihr wallendes, mittlerweile bis zur Taille reichendes, goldblondes Haar.

      Als sie in die Küche ging, wartete Cerridwen schon mit einem frischen Blaubeerkuchen, auf dem zwei Kerzen steckten und einem dampfenden Getränk auf sie.

      „Das ist Honigtee“ lächelte die Hüterin und schenkte Sarah eine Keramiktasse von dem Tee ein. Siran, der bereits am Tisch saß, stand auf und ging zu Sarah.

      Er nahm sie zärtlich in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr: „Ihr seht heute einfach wunderschön aus. Alles Liebe zu Eurem 16. Geburtstag. Bald seid Ihr eine junge Frau“.

      Sarahs Herz klopfte bis zum Hals und als er sie an sich drückte, konnte sie seinen maskulinen, hölzernen Duft riechen. Sie schloss ihre Augen und nahm seinen Geruch tief in sich auf. Sie wünschte sich, dass dieser Moment endlos anhalten würde und sie in seinen Armen bis in alle Ewigkeit versunken bleiben könnte.

      Aber daraus wurde leider nichts, denn der Waldelf löste sich aus der Umarmung und setzte sich wieder auf seinen Platz. Enttäuscht nahm Sarah auf einem der Holzstühle Platz. Noch immer war sein Duft in ihrer Nase.

      Als Maya noch etwas schläfrig die Küche betrat, wurde ihr dieselbe liebevolle Umarmung wie Sarah zuteil. Eifersucht machte sich in Sarah breit. Sie sprang vom Stuhl, sprintete in ihr Zimmer und ließ die Tür ins Schloss knallen. Die Anderen sahen ihr verwundert mit großen Augen nach. „Ich sehe nach ihr“, sagte Maya und folgte ihrer Freundin.

      Als sie das Zimmer betrat lag Sarah auf dem Bett und weinte. Maya setzte sich neben sie und streichelte ihr zärtlich durch die Haare.

      „Maus? Es gibt keinen Grund zur Eifersucht“, sagte sie leise.

      „ICH BIN NICHT EIFERSÜCHTIG!“, fauchte Sarah und grub trotzig ihr Gesicht in das Wolkenkissen.

      „Selbstverständlich bist du eifersüchtig. Denkst