Ufer hochzuklettern. Aber die Erde war so bröckelig, dass sie ständig von oben nachrutschte. Es war schwierig, einen Halt zu finden, immer wieder brachen die Griffe, die er sich für Hände und Füße grub, heraus. Unter ihm bäumte sich die dunkle Masse auf, schnappte nach seinen Füßen, versuchte hinter ihm her den Hang hochzukriechen. Als Jorak einen Blick nach unten warf, sah er ein rundes Schneckenmaul mit zwei Reihen von Zähnen. Groß genug, um seinen Fuß in einem Stück zu verschlucken und das Bein gleich mit.
Jorak bekam eine Baumwurzel zu fassen und klammerte sich daran fest. Schließlich hatte er sich zwei Menschenlängen weit hochgezogen. Hier oben wurde die Erde zum Glück etwas fester und war voller dünner Wurzeln. Irgendwie schaffte er es ganz nach oben und warf sich keuchend platt auf den Bauch. Das hier kann man ohne Zweifel als etwas Neues für den Tag durchgehen lassen, dachte Jorak mit wild rasendem Herzen.
An seinem Bein hing noch eine kleine Zecke. Jorak klaubte sie herunter, hob sie hoch und schaute zu, wie sie schwach zwischen seinen Fingern zappelte. Entweder war das Blut eines Gildenlosen nicht bekömmlich oder das Wasser, durch das er gewatet war, hatte ihr den Garaus gemacht. Das war interessant!
Die großen Biester, die ihm auf den Fersen waren, rutschten in der bröckeligen Erde immer wieder nach unten. Jorak bewaffnete sich mit einem langen Ast, um im Notfall nachzuhelfen. Machte ihnen das Wasser nichts aus? Wie hatten sie es über den Fluss geschafft? Er hob die Lampe und stellte fest, dass im Fluss zwei tote Wesen lagen ? anscheinend hatte das Wasser sie umgebracht, er war es jedenfalls nicht gewesen. Die anderen Biester benutzten ihre Rücken als Trittsteine und kamen so trockenen Fußes zum Hang!
Jetzt erst fielen ihm Alena und ihre Freunde wieder ein. O je – wenn sie noch nicht die gleichen Probleme hatten wie er, würden sie sie demnächst haben. Bald würden sie einen Retter dringend brauchen. Aber Jorak war sich auf einmal alles andere als sicher, ob er der richtige für die Rolle war.
***
Nervös lauschten sie in die Dunkelheit. „Klingt nach einem Kampf“, sagte Alena und überlegte, ob sie zurückgehen und nachsehen sollte, was sich dort tat. Doch in diesem Moment fauchte Cchraskar: „Zurücckkk!“
Da sah Alena sie. Große Schatten, die aus dem Wald auf sie zukamen – langsam zwar, aber stur und unerbittlich. Sie riss ihr Schwert heraus und Kilian und Jelica taten es ihr nach. Der Smaragd glühte schon so hell, dass er die Umgebung in ein grünes Licht tauchte. Alena rief eine Flamme, ließ sie direkt unter dem Wesen auflodern, aber Feuer beeindruckte sie nicht. Das Schwert lag ihr leicht in der Hand, zerschnitt die Luft mit dem weichen Geräusch einer Vogelschwinge. Sie ließ es auf eins der lebenden Steine niedersausen – und war schockiert darüber, dass der gehärtete Iridiumstahl nicht einmal eine Kerbe in den Rückenpanzer schlug.
Alena wich dem gierigen Maul aus und versuchte das zeckenähnliche Tier mit einem Fußtritt umzuwerfen. Das brachte es einen Moment lang aus dem Gleichgewicht. Mit einem vollendet geführten Stoß glitt Alenas Schwert durch die Stelle, an der sie die Kehle vermutete. Die Zecke stieß einen dumpfen Laut aus und eine schwarze Flüssigkeit glänzte im Licht der Fackel. Aber es schob sich weiter voran, nur etwas langsamer als zuvor. Beim Feuergeist, waren die zäh! Alena wiederholte ihr Manöver und schaffte es, eins der gepanzerten Beine abzuschlagen. Das wirkte endlich. Nun schien das Tier nicht mehr die Richtung halten zu können und kroch im Kreis.
Dafür spürte sie gerade noch rechtzeitig, dass von hinten zwei andere Wesen angriffen. Alena fuhr herum, ließ ihr Schwert herumwirbeln. Diesmal schnitt der Stahl durch die Panzerung des Kopfes – die verletzten Biester starben zwar nicht, blieben aber liegen.
Doch trotz der Erfolge sah es schlecht für sie aus. Cchraskar jaulte vor Wut; er kam nicht gegen die gepanzerten Körper an. Leichtfüßig sprang er ihnen auf den Rücken und versuchte ihnen in den Hals zu beißen, aber ohne Erfolg. Jelica brüllte und fluchte, Kilian schleuderte wütend Steine auf die Wesen.
Alena und die anderen wurden immer weiter zurückgedrängt. Und die Nacht hatte erst begonnen, der zweite Mond war gerade aufgegangen!
Da hörte Alena eine Stimme. Sie schien aus weiter Ferne zu kommen. „Geht zum Wasser! Zum Wasser!“ Dann hörte Alena jemanden wegrennen.
Was sollte das? Wer war das gewesen? Zum Wasser ? was für ein ekelhafter Gedanke. Menschen der Feuer-Gilde konnten Wasser, und ganz besonders große Mengen davon, nicht ausstehen. Wahrscheinlich würde ihr das Zeug die Haut vom Körper ätzen. Und wer wusste, wie tief dieser Fluss war – lieber gefressen werden als ertrinken! Besser, sie versuchten es mit ein paar anderen Feuerarten … sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Biester Kaltem Feuer trotzen konnten … aber um ein Kaltes Feuer zu rufen, musste sie sich konzentrieren …
Eins der lebenden Steine schnappte nach ihrem Fuß und Alena zahlte es ihm mit einem Hieb heim, der ihm gleich ein ganzes Beinpaar abtrennte.
„Verdammt, Alena, komm endlich ? wir müssen es probieren!“, rief Kilian, verpasste einem der großen Zecken noch einen Schlag auf den Kopf und wich zurück, bis er mit den Füßen im Wasser stand. „Es tut gar nicht weh, es ist nur ziemlich kalt!“
„Der Fluss ist viel zu klein, selbst wenn sie Wasser nicht mögen, kommen sie schnell an uns ran!“, schrie Alena. In diesem Moment biss gleich ein halbes Dutzend der kleinen Zecken zu und sie überlegte sich das mit dem Fluss noch einmal.
Es war ein gruseliges Gefühl, wie das Wasser um ihre Knöchel spülte. Jelica packte sie am Arm und zerrte sie tiefer in den Fluss hinein. „Klingenbruch, Alena, stell dich doch nicht so an …“
Cchraskar sprang und landete mit einem großen Platsch neben ihr. Jetzt war Alena sowieso patschnass. Sie gab ihren Widerstand auf und watete hinter Jelica her.
In diesem Moment hörten sie das Krachen und Poltern flussaufwärts. Alena ließ eine Flamme auflodern, um mehr sehen zu können. Zwei Baumlängen von ihnen entfernt schien der halbe Berg heruntergebrochen zu sein, eine Steinlawine hatte sich gelöst. Oder hatte sie jemand losgetreten? Sie erkannte eine Gestalt in einem wehenden dunklen Umhang, die an der oberen Kante des Hangs entlangrannte.
Alena versuchte sich an der Steilwand hochzuziehen, merkte aber, dass das Gestein zu locker war – wenn sie so weitermachte, bekam sie noch eine Lawine auf den Kopf.
„He, du!“, rief sie dem Mann zu. „Hast du ein Seil? Kannst du uns hochziehen?“
„Bleibt besser da unten – hier oben sind sie auch schon!“, bekam sie zur Antwort und schon war der Fremde verschwunden. Ja, tatsächlich. Ab und zu fiel eine der kleinen Zecken von der Kante aus zappelnd auf sie herunter, verschwand im Wasser und tauchte nicht mehr auf.
Schon fünfmal zehn Atemzüge später merkte Alena, was der Fremde mit seinem Felsrutsch bezweckt hatte. Er staute den Fluss auf!
Angeekelt und erleichtert zugleich fühlte Alena das Wasser um sich steigen. Es stieg und stieg, bis der Fluss schließlich über die Ufer trat. Bald stand der Waldboden unter Wasser, ein flacher See breitete sich um sie herum aus. Nach einer Weile wurde er nicht mehr größer, weil das Wasser um die Barriere herumfloss. Aber der kleine Stausee erfüllte seinen Zweck – er hielt die Zecken weit genug von ihnen weg. Ganze Legionen von ihnen hatten sich am Ufer versammelt wie ein gierig wimmelnder Teppich.
Das Wasser war kalt und sie standen bis zu den Knien darin. Schon bald beklagte sich Jelica: „Ich kann meine Zehen nicht mehr fühlen!“
„Ich auch nicht“, stellte Alena fest und hoffte, dass sie noch da waren und nicht irgendetwas sie abgefressen hatte.
„Vielleicht hätten wir lieber einen Baum hochsteigen sollen.“ Kilian schlotterte schon vor Kälte. Auch Cchraskar fauchte ungehalten. Schließlich kletterten sie abwechselnd auf den Rücken einer toten Großzecke, die im Wasser lag, und rieben ihre Füße, um sie wieder warm zu bekommen. Von oben, vom Steilhang her, kam hin und wieder ein rauschendes Krachen, es klang, als würde etwas sehr Schweres auf den Boden aufschlagen.
Es wurde eine lange Nacht. Als die Sonne endlich aufging und die Wesen sich verzogen, waren Alena und ihre Freunde völlig erschöpft und durchgefroren. Bibbernd machten sie im Wald ein Feuer und hielten Hände