Катя Брандис

Feuerblüte II


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mit dem Griff aus Schlangenbaumholz – ihre Meisterarbeit ? in ein weiches Tuch und ließ es mitten auf dem großen Tisch. Dort würde ihr Vater es sofort sehen. Es war gleich nach dem Smaragdschwert das Wertvollste, was sie besaß.

      Dafür suchte sie sich aus seinen Dingen etwas aus, das sie mit ihm verband und bei sich tragen konnte. Sie entschied sich für eine kleine Schriftrolle mit einem seiner Gedichte, das sie besonders mochte, und verwahrte sie sorgfältig in einer Innentasche ihrer Tracht. Eine gute Wahl, dachte Alena. Gedichte sind ein Stück Seele des Menschen, der es geschrieben hat …

      Alena war nicht nach Reden zumute, als sie mit Kilian und Jelica nach Norden aufbrach, und die Geschwister schienen es zu spüren, denn sie waren genauso einsilbig. So lange sie noch in der Nähe des Dorfs waren, gingen sie abseits der Wege. Hier in der Gegend riskierten sie jemanden zu treffen, der sie kannte – und der wusste, dass ihnen ganz bestimmt niemand erlaubt hatte dem Ruf zu folgen. Alena hatte keine Lust, Fragen beantworten zu müssen.

      Es war eine gute Zeit, um durch Tassos zu wandern. Jetzt, im Frühling, heizte sich der schwarze Sand zwar tagsüber auf, aber frühmorgens war die Luft noch frisch und kühl. Alena war froh, dass sie den warmen Umhang mitgenommen hatte, der einst ihrer Mutter Alix gehört hatte. Ihre Sandalen knirschten auf dem harten Vulkangestein und Alena hörte das Tappen von Cchraskars Pfoten neben sich. Ab und zu zertrat sie versehentlich die Blüten eines Wüstenveilchens und ein schwacher süßlicher Geruch zog durch die Luft.

      „Bähhh“, meckerte Ccchraskar. „Das verstopft einem jarr die Nase wie eine Pfütze Düftwasser!“

      Alena hörte ihm kaum zu. Sie fühlte sich unsicher. Eigentlich wusste sie nicht gerade viel über Kilian und Jelica. Es war gar nicht so lange her, dass sie ihr die Messer ins Gesicht gehalten hatten, weil sie Zarkos Getreue waren und Zarko mit Alena abrechnen wollte. Und jetzt reisten sie zusammen. Alena fragte sich, ob sie sich auf die beiden verlassen konnte. Ihr Gefühl sagte Ja. Sie hatte die beiden von Anfang an gemocht, auch wenn sie als Zarkos Gefährten um ein Haar mit ihr gekämpft hätten. Vielleicht musste man manchmal auf seinen Instinkt hören … und alles andere auf sich zukommen lassen.

      Am nächsten Tag erreichten sie Alaak und stießen auf die große Handelsstraße. So voll hatte Alena sie noch nie gesehen. Tausende von Menschen aller Gilden strebten nach Norden – aber es gab auch viele Flüchtlinge, die sich mit ihren Habseligkeiten nach Süden davonmachten, plärrende Kinder an den Händen und Säuglinge in geflochtenen Tragtaschen auf dem Rücken. Selbst ohne ihre Amulette zu sehen erkannte Alena an ihren großen dunklen Augen und kräftigen Fingern, dass sie zur Erd-Gilde gehörten. Von Rena wusste sie, dass die meisten Erd-Menschen unterirdisch lebten und Tunnel gruben.

      „Ganz schön was los hier“, sagte Kilian beeindruckt. „Der Ruf hat sich schnell verbreitet …“

      Alena und die anderen gingen am Rand der Straße, um nicht versehentlich von einem der Dhatlas niedergetrampelt zu werden, die die Straße entlangschlurften. Heller Staub lag in der Luft und setzte sich in Alenas Nasenlöchern fest. Das Quietschen von Karrenrädern, das Schleifen von Grabkrallen und die Rufe von Menschen klangen ihnen in den Ohren.

      „Ich würde vorschlagen, wir lagern heute Nacht irgendwo in den Wäldern, ein ganzes Stück weg von der Straße“, schlug Alena vor und hielt sich die Nase zu, als ein Dhatla neben ihr einen riesigen, dampfenden Haufen auf die fest gestampfte Erde setzte. „Da ist es ruhiger!“

      „Ja, schlafen wir uns noch mal richtig aus“, meinte Jelica und nahm einen Schluck aus ihrem ledernen Trinkbeutel. „Bevor wir zu nah an der Grenze sind. Hat der Bote nicht gesagt, dass die Wesen nachts auf Jagd gehen?“

      „Doch. Wir müssen bald anfangen, tagsüber zu schlafen und nachts zu wandern. Ich will nicht im Schlaf von so einem Biest überrascht werden.“ Alena war das ganz recht, sie war sowieso ein Nachtmensch.

      Kilian wirkte nachdenklich und wurde immer stiller. Schließlich fragte ihn Alena vorsichtig: „Alles klar mit dir?“

      „Inzwischen wissen unsere Eltern, dass wir weg sind. Aber ich glaube, die werden uns nicht suchen können. In diesem Getümmel – keine Chance.“

      „Das stimmt“, sagte Alena – und wurde nun selbst schweigsam. Nach mir sucht keiner, dachte sie. Ihr Vater wusste nicht, dass sie die Schmiede im Stich gelassen hatte, Rena und Tjeri hatten keine Ahnung, was Alena vorhatte, und sonst interessierte sich niemand dafür, was sie tat und wo sie war.

      Es war ein berauschendes Gefühl, dass sie nun wieder selbst über ihr Schicksal bestimmte. Aber Angst machte es ihr auch.

      Der Fremde im dunklen Umhang

      Joraks Geld reichte noch, um sich auf dem Weg nach Norden ein Zimmer in einem Gasthaus zu nehmen. Er brauchte lange, bis er eins gefunden hatte, in dem sie einen Gildenlosen wie ihn aufnahmen. Das Zimmer war klein und hatte keinen Kamin, aber er hatte in seinem Leben so oft auf dem Boden und in zugigen Ecken der Stadt geschlafen, dass er den ungewohnten Luxus genoss. Die wenigen Münzen, die er noch übrig hatte, reichten entweder für drei Krüge Polliak oder ein heißes Bad. Joraks innerer Schweinehund brauchte nicht lange um sich zu entscheiden.

      In der Gaststube blickten sie ihn erst angewidert und misstrauisch an. Aber als sie merkten, dass er nicht auf Ärger aus war und zahlen konnte, beachteten sie ihn nicht mehr. Der Wirt, ein Mann der Luft-Gilde, war in guter Stimmung, weil er zurzeit ein volles Haus hatte. Als Jorak fragte: „Na, wie gehen die Geschäfte?“, blieb er für eine kurze Plauderei.

      „Blendend“, berichtete der Wirt. „Im Moment sind viele Leute unterwegs, die dem Ruf folgen – die meisten aus Tassos, wenn mich nicht alles täuscht. Mal schauen, wie viele wieder zurückkommen!“

      Jorak horchte auf. Er wusste, dass Alena im Norden von Tassos lebte, im Dorf Gilmor. Eigentlich versuchte er, nicht mehr an sie zu denken – es war sowieso aussichtslos –, aber der kleinste Anlass brachte die Sehnsucht zurück. Wieso hatte er eigentlich nie daran gedacht, dass auch sie auf dem Weg zur Grenze sein könnte?

      „Es war nicht zufällig ein Mädchen der Feuer-Gilde mit schulterlangen rotbraunen Haaren dabei? Schlank, langbeinig, hübsch?“, fragte er ohne viel Hoffnung.

      Erstaunt blickte ihn der Wirt an. „Moment mal, ja, so eine habe ich gestern im Ort gesehen. Eine junge Meisterin. Sie hatte ein eigenartiges Schwert, es hat einen großen Smaragd am Griff. Als ich das gesehen habe, dachte ich: Hm, mit der legst du dich besser nicht an, wenn dir dein Leben lieb ist!“

      Jorak war es, als bliebe sein Herz stehen. Alena. Es musste Alena sein.

      „Aber hübsch … na ja …“, sagte der Wirt. „Kurven muss ein Mädel haben, sonst hat man ja nichts in der Hand!“

      „Sie ist wunderschön.“ Jorak funkelte ihn an.

      „Ja, ja, die Liebe.“ Der Wirt grinste.

      Jorak ärgerte sich, dass er den Mund nicht gehalten hatte. „War jemand bei ihr?“, fragte er.

      „Ein Iltismensch. Andere Menschen – vielleicht auch. Es war ein großes Gewimmel, ich habe nicht so genau darauf geachtet.“

      Cchraskar. Jorak erinnerte sich. Der Iltismensch hieß Cchraskar. Und jetzt gab es nicht mehr den geringsten Zweifel, dass sie es war.

      „Noch einen Krug Polliak gefällig?“, fragte der Wirt.

      „Nein, ich danke Euch. Aber könnte mir einer von Euren Leuten ein Bad richten?“

      Zehn mal zehn Atemzüge später saß Jorak in der Wanne und schrubbte sich wie ein Wilder. Er überlegte, wie er es anstellen konnte, Alena und ihre Freunde zu treffen. Eine Tagesreise Vorsprung war ganz schön viel. Und was war, wenn er sie eingeholt hatte? Sie mochte ihn ja nicht mal. Die Erinnerung daran, wie er sich mit seinem Versuch, eine Flamme zu rufen, vor ihr blamiert hatte, ließ ihn selbst nach einem halben Winter gequält aufstöhnen.

      Aber da war noch eine zweite Erinnerung, die er hütete wie einen Schatz. Diesen Moment, als er nach ihrem Duell mit Cano im Palast der Trauer neben ihr gesessen