SPD-Zentrale wird es hier sicher geben, nicht? Also werde ich mein Glück dort versuchen.«
»Dies ist aktuell die stärkste Partei in Bayern. Und die gefährlichste!« Er starrte mich aus weit geöffneten Augen an. Auf die Sozialdemokraten passte meiner Meinung nach nur die legendäre Bezeichnung weitgehend harmlos.
»Außer der Führungslosigkeit war an denen nichts wirklich Bedrohliches. Was ist das Problem mit der Partei?«
»Ich vermute, Sie meinen die ehemaligen Sozialdemokraten. Als fast keiner mehr ihre Partei wählen wollte, hatten die letzten Genossen ihr Kürzel versteigert. Ich hatte mitgeboten, um das Schlimmste zu verhindern. Doch wurde mir die Aktion zu teuer, nachdem sich die Gebote zu einem vierstelligen Bereich hochgeschaukelt hatten. Vermutlich hatten die Genossen geschummelt und selbst mitgeboten.«
»Was ist die SPD jetzt?«
»Die Salafistische Partei.«
Das gab mir den Rest. Mit dem Gabriel und den Ansichten von Schulz hatte ich zwar manche Schwierigkeiten, aber fast immer fanden wir einen Konsens mit den Sozialdemokraten. Nur vor den Kameras hatten wir Uneinigkeit vorgespielt. Genaugenommen waren sie sehr verträglich, denn ich konnte mich immer auf ihre Kooperation verlassen. Die Wähler jedoch waren nicht bereit, der Partei so zu folgen, wie sie mir folgte. Solch ein Schicksal hatte die SPD nun wirklich nicht verdient, dass ihre Marke von den Radikalen gekapert wurde. Ich hätte weit mehr als zweitausend Euro dafür geboten, damit der Name der alten Dame SPD nicht in die falschen Hände geriet. Vor allem nicht in solche von fanatischen und von Narzissmus geprägten Extremisten. Das tat mir leid. Jedes Wort, das ich im Wahlkampf gegen die SPD gewandt hatte, bereute ich … weitgehend. Ob ich damals, als dieser eingebildete Schröder mich so vorgeführt hatte, lieber hätte verkünden sollen, dass sich meine CDU trotz des Vorsprungs ihm als Juniorpartner bereitwillig unterordnen würde? Dann gäbe es diese ganze Misere vielleicht nicht. Doch ich drängte den Gedanken beiseite, die Uhr ließ sich nun mal nicht zurückdrehen. Ich könnte die Uhrzeit zwar zurückstellen, aber als Physikerin wusste ich, dass Zeit eine feste Größe war, die jeder Manipulation standhielt. Sie lief ausschließlich vorwärts, unabhängig davon, wie lange die herausragendsten Wissenschaftler der Welt daran forschen mochten: Vergangenheit blieb Vergangenheit. Die Zeit ließ sich niemals umkehren. Nur die menschliche Intelligenz bildete möglicherweise eine Ausnahme. Manchmal entwickelte sie sich zurück. Vielleicht war es der Wille des Allmächtigen und er hat mich zurückgerufen, da ich in dieser ernsten Lage wieder gebraucht wurde. So wie niemals zuvor, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen. In diesem Fall hätte ich eine Mission zu erfüllen.
»Sicher gibt es auch noch andere Möglichkeiten, wie ich mich einbringen könnte. Welche Partei würden Sie denn wählen?«
»Die Tierschutzpartei!« Seine Augen leuchteten plötzlich. »Es ist die zweitstärkste Kraft, direkt nach den Salafisten. Ich bin auch Mitglied. Morgen Abend findet ein Treffen mit meinen Parteikollegen statt. Vielleicht wäre das für Sie interessant?« Er reichte mir ein Flugblatt. »Sie können einfach an einer unserer Sitzungen teilnehmen.«
»Na … gut.« Höflich nahm ich das Stück Papier entgegen. »Ich könnte einmal vorbeischauen.« Wenn er nicht hinschaute, würde ich das Blatt in den Müll schmeißen. Deutschlands Kanzlerin tritt Tierschutzpartei bei: wie absurd wäre das denn? Was würden die Medien denken? Mit Sicherheit gäbe es reichlich Spott und Häme. »Vielen Dank für die vielen Informationen. Nun werde ich dieses Pamphlet mal kritisch unter die Lupe nehmen.«
Nachdem ich mich verabschiedet hatte, wanderte ich zu einer alten Ulme. Eine weißgetünchte Parkbank stand einladend unter dem grünen Blätterdach. Wie lange ist es her, dass ich entspannt in der Natur sitzen konnte, um einfach etwas zu lesen? Durch die Belastung mit ständigen Terminen war mir dies schon seit Monaten nicht mehr vergönnt gewesen … Moment, ich hatte es fast vergessen: es waren Jahrzehnte!
Ich blätterte eine Weile in der Zeitschrift mit dem seltsamen Titel. Die Abbildung eines alten Ruderbootes aus der Antike weckte mein Interesse. Handelte es sich vielleicht um einen Bericht über die Restauration alter Wracks vom Grund eines Ozeans? Diese Arbeit sei sehr schwierig, hatte ich mir sagen lassen, denn Holz zersetzt sich im Salzwasser nach einigen Jahren fast vollkommen. Schon nach einem Jahrhundert nahm sich die Natur zurück, was man ihr genommen hatte. Nur wenn sich Sand auf dem vergänglichen Material abgesetzt hatte und ein Boot unter Ausschluss von Sauerstoff konserviert wurde, ließen sich nach dem Abtragen der Schicht einzelne Reste herausarbeiten, die unter Wasser sofort chemisch behandelt werden mussten, damit sie nicht sofort zerfielen. Danach folgte ein unglaublich komplizierter Prozess, die Bruchstücke wie ein Puzzle zusammenzusetzen.
Beim Blick auf den Inhalt des Artikels bemerkte ich, es ging nicht um Historie. Es thematisierte ein Konzept, die Sträflingsgaleeren aus der Römerzeit wieder einzuführen. Damit könnte man den Überseehandel wiederbeleben, der - so erfuhr ich weiter - nach der Explosion der Treibstoffkosten weitgehend eingestellt worden war. Also hatten sich die alten Befürchtungen bewahrheitet. Dieser kostbare Rohstoff Öl ging zur Neige. Obwohl ich diese langhaarigen Hippies aus der Grünen Partei immer für ein wenig weltfremd gehalten hatte, behielten sie in diesem Punkt wohl Recht. Die Folgen konnten dramatisch sein. Denn wenn der internationale Handel über die Seewege nicht mehr funktionierte, gab es kein Wachstum mehr. Keine neuen Arbeitsplätze konnten entstehen, die Weltwirtschaft würde einbrechen. Das bedeutete letztendlich eine Gefahr für den Wohlstand. Dieser Artikel versprach nun die Lösung des Problems. Man könnte die Waren über das Meer auf eine sehr alte und traditionelle Weise transportieren. Durch Muskelkraft von Sträflingen, die als Rudersklaven dienten. Dafür könnte man die unzähligen straffällig gewordenen Einwanderer einsetzen, welche derzeit im Migrantenstadl einsäßen. Somit hätte man eine sinnvolle Verwendung für sie. Mit Sicherheit wären sie dankbar dafür, wenn sie mit solch einem Projekt endlich etwas zu tun bekämen. Wenn sie eine Arbeit bekämen, die dem Nutzen der Allgemeinheit dienen würde. Mit dieser Lösung könnte man diese erbärmliche Festung für Sträflinge abreißen und endlich die Wies'n wiedererrichten. Der Artikel endete mit O'zapft is! So endete auch jeder andere Artikel, war mir beim Durchblättern schon aufgefallen.
Auf welche Ideen die Leute bisweilen kamen. Dies war absolut unmenschlich! Sklaven wurden damals angekettet. Wenn ein Boot sank, wurden die Menschen mit auf den Grund des Meeres gezogen und ertranken. Eines musste ich dieser bizarren Idee aber zugestehen: es war ein sehr umweltverträgliches Konzept.
Ich blätterte zur nächsten Seite. Dort forderte man den Anschluss an Nationaldeutschland. Dort hätte man das Problem mit den Migranten wirksam gelöst, mit den gleichen Maßnahmen würde es auch eine Lösung für das Wies'n-Problem geben. Man forderte, das Reinheitsgebot zu erweitern. Man sollte es nicht nur auf das Bier, sondern auch auf das Volk anwenden, von dem es getrunken wurde. Dieser Artikel bestätigte, dass in dem Blatt Ideen verfolgt wurden, die damals im dritten Reich galten und letztendlich in der Katastrophe endeten. Ich las weiter. Hinter den Mauern befände sich das wahre Paradies - behauptete der Text - der sich fast überschlug vor überschwänglichem Eifer für den Nachbarstaat. Dies erinnerte mich daran, was damals in der DDR über die Bundesrepublik gedacht wurde. Nach der ersten Euphorie waren viele jedoch enttäuscht. Was mochte nun in meiner ursprünglichen Heimat vor sich gehen? Sie war mutiert zu einem völlig isolierten Staat, wie ich aus der Karte erfahren hatte. Ich stellte mir vor, wie in diesem faschistischen Staat gleichgeschaltete Menschen in SS-Uniform durch die Straßen marschieren und dass sie die Welthauptstadt Germania nach den ursprünglichen Plänen vollendet und den alten Pharaonen gleich diese gigantische Ruhmeshalle errichtet hatten. Den Führerdom, gegen den unser Reichstag winzig wirken sollte. Wie ein angebautes Toilettenhäuschen, in das sich der mächtige Pharao bisweilen begab, der aufgrund eines dringenden Bedürfnisses aus seiner alles überragenden Pyramide heraustrat.
Geradezu juckte es mich unter den Nägeln zu erfahren, was in diesem von der Welt abgesonderten Staat vor sich gehen würde. Herrschte dort ein größenwahnsinniger Diktator? Ließ er überlebensgroße Statuen von sich errichten? Ich selbst hatte mir niemals Denkmäler gesetzt, die Chance nie genutzt. Hätte ich in meiner Amtszeit auch etwas erbauen lassen sollen? Zumindest etwas ganz Kleines, damit sich spätere Generationen an mich erinnern würden? Es könnte ein Angela-Merkel-Spielplatz sein, auf dem die Kinder herumtollen,