wesentlich mehr gehabt, als von den Milliarden teuren Denkmälern, die sich François Mitterrand im benachbarten Frankreich zu seinem Gedenken errichten ließ. Doch widersprach dies dem Wesen Nachkriegsdeutschlands. Nach dem fatalen Größenwahn wurde man extrem bescheiden, deswegen gibt es weder eine Konrad-Adenauer-Kathedrale, noch eine Ludwig-Erhard-Fabrik. Keine Kiesinger-Grube, Brandt-Brennerei, Scheel-Brillenmode, Schmidt-Seeflotte, Kohl-Pyramide oder eine Schröder … da fällt mir ein, dass dieser Macho-Mann sich Denkmäler gesetzt hatte wie Hartz4, die Riester-Rente oder den Mini-Job. Doch solche Dinge zu erschaffen, bei deren Namen der Puls jedes Bundesbürgers sofort auf 180 stieg, darauf konnte ich getrost verzichten. Die Idee mit dem Spielplatz fand ich jedoch äußerst sympathisch. Hauptsache, es gab dort keine Schlägereien zwischen den Jungs, es wurde nicht mit Drogen gedealt, keine Spritzen von heroinabhängigen lagen im Rasen und es wurden dort keine ethnischen Konflikte zwischen Migranten und rechtsextremen Deutschen ausgetragen. Und hoffentlich wurden keine Leichen im Sandkasten vergraben. Sonst verzichte ich lieber auf ein eigenes Denkmal. Schade um den Spielplatz!
Dieses Magazin war Hetze, doch es regte meine Gedanken an. Ich kannte Schlimmeres. Damals war ich anfangs stolz, als mich das Time-Magazin zur Frau des Jahres gekürt hatte. Nachdem ich diese Zeitschrift jedoch vollständig durchgeblättert hatte, war ich entsetzt! Mit meiner Person als Aushängeschild wurde geworben für Produkte, die dem Herzstillstand vorbeugen sollten. Pillen, welche die Manneskraft wiederbeleben sollten. Nahrungsergänzungsprodukte mit Stoffen, die jeder Mensch wesentlich billiger durch halbwegs vernünftige Lebensmittel aufnehmen konnte. Bis auf einen halbseitigen und katastrophal schlecht verfassten Artikel zum Titelbild war dieses Druckwerk ein Propagandaheft für die Pharmaindustrie sowie ein eindeutiger Fall für den Müll. Wie positiv war in jungen Jahren mein Eindruck von unseren amerikanischen Freunden. Vom Wiederaufbau bis zur Wiedervereinigung hatten sie unglaublich viel für uns getan und wie enttäuschend war es zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass sie sich zu Bürgern entwickelt hatten, die jederzeit vom Herzstillstand bedroht wurden, an Potenzproblemen litten und soviel Cola tranken, bis sie alle unter Diabetes litten. Dass sie kaum keinen Tag überleben konnten, ohne unzählige Präparate einzuwerfen. Es wäre sinnvoll gewesen, sie hätten sich endlich mal um ihre eigenen Probleme gekümmert, nachdem sie so viel für den ganzen Rest der Welt getan hatten. Diese ständigen Amokläufe hätten sie als Warnzeichen erkennen sollen, denn es waren Zeichen, dass irgendetwas in ihrer Gesellschaft nicht stimmte.
Mit Entsetzen überblätterte ich einige Seiten, die dem Rassengedanken gewidmet waren. Diese längst widerlegten Theorien kannte ich zur Genüge. Der folgende Artikel behauptete, dass sich der europäische Kontinent aufgrund der massiven Einwanderung gesenkt hätte, und dass dies der Grund wäre, weshalb alte Küstenregionen nun unter Wasser lägen. Dies bestätigte erneut die fremdenfeindliche Tendenz dieses Magazins. Mich führte es zur Erkenntnis, dass die Vorhersage, dass der Meeresspiegel steigen würde, eingetroffen war. Gab es heute noch Polkappen? Haben die Eisbären überlebt? Existierten noch Pinguine? Denen mochte ihr Überleben gesichert haben, dass die Antarktis einen festen Untergrund besaß. Selbst wenn das Eis vollständig weggeschmolzen sein sollte, würde dieser siebte Kontinent nicht verschwinden. Zudem konnten diese putzigen Tiere schwimmen. Nur waren sie nicht in der Lage zu fliegen, obwohl sie nach dem Artenbuch als Vögel klassifiziert wurden.
Ich war nun am Ende meines Lesestoffes angekommen und hatte mir alles zu Gemüte geführt, was irgendwie lesenswert zu sein schien. Das Heft hatte seinen Zweck zur Recherche erfüllt und jetzt brauchte ich es nicht mehr, so entsorgte ich es in den Papierkorb neben der Bank. Den Flyer wollte ich gerade hinterherwerfen, warf jedoch noch einen kurzen Blick darauf und las:
»Die Tierschutzpartei fordert, alle Rechte der Tiere den Menschenrechten anzugleichen. Nur wenn man alle Lebewesen mit dem gleichen Respekt behandelt, hören die Menschen endlich auf, gegeneinander Krieg zu führen.«
So einfach werden sich mit Sicherheit nicht alle Konflikte in Luft auflösen, auch wenn sich solch eine Vorstellung sympathisch anhörte. Denn die Tatsache, dass Hitler Vegetarier war, bewies, dass auf diese Weise nicht alles bunt und rosa wurde. Andererseits war Letzteres, das Gegenargument mit dem Führer, sehr platt. Der Diktator war nach Stand der Forschung kein Anhänger von Obst und Gemüse aus Überzeugung, sondern litt unter gesundheitlichen Problemen.
Der nächste Punkt »Ende der Massentierhaltung« war etwas, was ich erwartet hatte und es war nicht gerade schön, dass die Nutztiere derart eingepfercht wurden. Das Fleisch wuchs aber nun mal nicht auf Bäumen und diese vielen Menschen mussten sich irgendwie ernähren, da war einfach nicht genügend Platz vorhanden, damit jedes Nutztier sein eigenes Gelände bekommen konnte. In ihrem Papier setzte die Partei sich ein für das Verbot des Schächtens. In diesem Punkt drifteten die Meinungen der Bürger extrem auseinander. Eigentlich widersprach das rituelle Schlachten dem Tierschutzgesetz. Doch aus Toleranz gegenüber anderen Religionen hatte man ihnen diesen Gesetzesverstoß zugestanden. So wie Polizeifahrzeuge im Einsatz über rote Ampeln fahren durften, wurde akzeptiert, dass Moslems und Juden sich bei ihren rituellen Schlachtfesten nicht an dieses Gesetz halten mussten, da ihr Glaube es erforderte. Angeblich. Warum taten sie sich so schwer dabei, ihre Rituale zu ändern? Im Gegensatz dazu hatten wir, die Christen, strenge Hygienegesetze akzeptiert und verzichteten bei unserem Abendmahl darauf, aus einem gemeinsamen Kelch zu trinken oder unser Brot zu teilen, was seit Urzeiten der schwerwiegendste Eingriff in diese christliche Zeremonie war. Die Forderung der Tierschutzpartei, dass sich andere Religionen ebenso an Gesetze halten sollten, war daher nicht unberechtigt.
Nun entschied ich mich, das Flugblatt zu behalten. Vorerst. Da ich nichts anderes vorhatte und weder Sitzungen, noch Termine auf dem Plan standen, konnte ich genauso gut diesen Tierschützern einen Besuch abstatten. Nach Einschätzung meiner momentanen Lage war es die derzeit einzige Möglichkeit, einen Weg zurück in die Politik zu finden. Sie vertraten ebenso christliche Werte und somit gab es kein klares Ausschlusskriterium, das mich dieser bei Wahlergebnissen unter »ferner liefen« genannten Partei entfremden würde.
Die Sonne senkte sich schon zum Horizont, als ich meinen Sitzplatz unter der Ulme verließ und in das Klinikgebäude zurückkehrte. Es blieb mir nun einmal nichts anderes übrig, als dies als vorübergehenden Wohnsitz akzeptieren. Aufgrund der aktuellen Lage war es weder möglich im Kanzleramt zu residieren noch meine Wohnung in Berlin zu beziehen.
»Wo waren Sie die ganze Zeit? Wir haben uns schon Sorgen gemacht!« Der Oberarzt stoppte mich, als ich gerade über den Flur zu meinem Zimmer gehen wollte und sah mich mit vorwurfsvoller Miene an.
»Nun. Ich hatte angenommen, ich hätte das Recht dazu, mich frei bewegen zu dürfen, um mir ein Bild der Lage zu verschaffen. Gibt es damit ein Problem?«
»Sie sind noch nicht bereit dafür!« Mit verschränkten Armen baute sich der Mann vor mir auf.
»Bereit für was?«, gab ich zurück und starrte ihn ebenso vorwurfsvoll an. Er löste seine Arme und ließ seine rechte Hand in die Kitteltasche gleiten. Wieder hörte ich das nervöse Klicken. Auf meine Frage war er unvorbereitet und ich sah, wie es unter seiner Schädeldecke intensiv arbeitete. Ich beschloss, ihn nach einem Moment des Schweigens aus dieser Situation zu erlösen. »Vielleicht Folgendes: zu erfahren, dass ich nach Jahrzehnten der Bewusstlosigkeit im Jahr 2050 aufgewacht bin?«
»Wer hat Ihnen das gesagt?« Schlagartig wurde er blass. »Wir hatten ein genaues Vorgehen ausgearbeitet, wie wir Ihnen die Situation langsam und behutsam, in winzigen Schritten beibringen würden. Für den Fall - es gab dabei sehr unterschiedliche Prognosen - dass Sie wieder zu Bewusstsein kämen. Alle Kollegen auf dieser Station wurden glasklar instruiert, dass sie eigenmächtig keinerlei Informationen preisgeben dürften. Wer war es, der sich nicht an diese Anweisung gehalten hat?«
»Niemand! Sie hatten bei der Planung wohl vergessen, die Kalender in Ihrem Haus zu entfernen.«
»Oh!« Das war vermutlich die Abkürzung für: die Planung von Jahrzehnten war vergebens aufgrund einer winzigen Dummheit. Aus seinem Gesichtsausdruck war zu schließen, dass in dieses Konzept, das nach meinem Erwachen umgesetzt werden sollte, ähnlich viele Arbeitsstunden geflossen waren wie in den Neubau des Berliner Flughafens. Mit vergleichbarem Erfolg. Einen kurzen Augenblick drängte sich mir die Frage auf, wie weit mittlerweile dieses Projekt fortgeschritten sein möge – als mir sogleich bewusst wurde, dass dies