Ester Ette

Die Creole


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      DIE CREOLE

      von ESTER ETTE

      „Eine Lüge ist, ganz gleich, wie gut sie auch gemeint sein mag, ­immer schlechter als die bescheidenste Wahrheit.“

      Ernesto Rafael Guevara de la Serna, genannt Che Guevara

      In dem Augenblick, in dem wir leiden, scheint der menschliche Schmerz unendlich zu sein. Doch weder ist der menschliche Schmerz unendlich, noch ist ­unser Schmerz mehr wert als eben ein Schmerz, den

      wir ­ertragen müssen.“

      Fernando Pessoa

      Der Mensch ist ein Abgrund. Wenn man hinabschaut,

      schwindelt es einen.

      Georg Büchner

      Es gibt keine dummen Fragen, – nur dumme Antworten.

      Frau Münch, Deutschlehrerin

      ***

      Inspiriert von wahren Begebenheiten, sind doch alle ­Charaktere und deren Lebenswege der Phantasie entsprungen.

      ***

      Prolog OLGA

      Ich liebe Indien, das Land meiner Geburt. Auch wenn ich hier immer eine Fremde sein werde.

      Ich liebe Goa, meinen Mann Gopal und meinen Sohn Merlin.

      Gopal möchte eines Tages zurück in das Land seiner Ahnen nach Nepal. Ich möchte nicht zurück in das Land meiner Ahnen – Deutschland – und auch nicht zurück in das Sehnsuchtsland meiner Mütter und ­Väter. Portugal. Nicht dorthin, wo es sie wie magisch immer wieder hinzog, wo die Dinge ihren Lauf nahmen und ich hineingeschleudert wurde in eine Welt voller Geheimnisse, Lügen und Intrigen, aber auch Unwägbarkeiten und Zufälle, wenn man an Zufälle glauben mag. An Kismet, an Bestimmung, Vorsehung oder höhere Gewalt. An göttliche Macht, – all das, worauf der Mensch keinen Einfluss zu haben scheint. Oder ist es Karma, wie es die Hindus und Buddhisten sehen, das Prinzip von Aktion und Reaktion. Diese ganze vertrackte Mischung – Schicksal eben, wie Ur-Großmutti Sara Barbosa es gesehen hätte, vielleicht auch Oma Lotti auf ihre Weise.

      Wie auch immer, ich liebe diesen Ort, an dem ich unter Palmen geboren wurde, als behütetes, vaterloses Mädchen am Strand von Candolim, da, wo mich José, Gopal und dieser Hippikautz Winni mit seiner Vorliebe für Pumpernickel und junge Männer vor den wilden Gottheiten beschützt haben. An jenem Ort, an dem José nicht glücklich werden konnte und an den meine Mutter geflüchtet war, um den Verletzungen ihrer großen Liebe und der ewigen Dominanz ihrer ­Schwester zu entgehen.

      Nun freue ich mich auf den Besuch meiner kleinen Schwester Zoe, auch wenn er mich zurückwirft in die Tragödie meiner Teenager-Zeit und konfrontiert mit all den Verwirrungen meiner Familie.

      Sieben mal ist seit dem der Monsun über das Land gezogen. Eine Ewigkeit manchmal, und doch erscheint es mir wie heute.

      HEUTE_Verrückt

      Wer am Anfang schon ans Ende denkt.

      Wie es Martina, Marko und Susanne derzeit geht.

      LIVROBRANCO März 2013

      MARTINA

      Zuerst ist es nur so ein diffuses Gefühl, eine leichte Verwirrtheit, Unstimmigkeit – als wenn die Wahrnehmung geringfügig verschoben oder auch nur verwackelt ist, ein Duplex entsteht. Du schiebst es zur Seite wie einen leichten Vorhang, und alles ist wieder scharf und klar.

      Nur ganz hinten oder eher unten galoppiert einer deiner vielen Pulse zu schnell, liegt ein leichter Druck auf deinem inneren Auge, zwischen den Oberschenkeln zieht es ein wenig. Und dann ist es auch schon wieder vorbei.

      Beim nächsten Mal dachte sie laut: „Komisch. Irgendetwas stimmt doch nicht. Habe ich einen Aussetzer? Ich hatte die Vase doch auf den Tisch gestellt, oder? Der Terrassenschirm am Pool war hochgestellt als wir gingen. Ich weiß es genau, weil ich noch dachte, ob er dem leichten Wind vom Meer standhält? Und wie schnell frischt der Wind auf.“

      Ebenso die Vase mit der leuchtend roten Geranie, die sich so grandios von der frisch gekalkten Hauswand abhob, auf die die Februar-Sonne derart knallte, dass man sich fast geblendet abwenden musste. Gerade diesen grellen Farb­tupfer hatte Martina beim Fortgehen bewundert.

      Von ihren Einkäufen zurückgekehrt, stand die Vase auf dem Fenstersims und der Schirm war zugeklappt. ­Menschenleere. Das Haus stand fern ab des Weges, keine Nachbarn in einem Umkreis von 300 Metern.

      Sie war irritiert.

      „Marko? Hast du auf der Terrasse den Schirm zugemacht als wir gegangen sind?“

      „Wie? Keine Ahnung. Mag sein, vielleicht. Ein Reflex. Wieso? Sollte ich nicht?“

      „Nein, nein, schon gut.“ Selbst, wenn er den Schirm zugemacht hätte… was war mit der Vase? „Und hast du die Vase auf das Fenstersims gestellt?“

      „Wie?“, schallte es etwas ungeduldig aus dem Bad. „Die Vase? Was für eine Vase?“

      „Hier vorne auf der Terrasse!“

      „Nicht, dass ich wüsste. Warum auch. Ich verstelle niemals Vasen, das weißt du doch.“

      Dann sah sie, dass das Grillgitter, welches sie gewiss vor die Haustür zum Trocknen gestellt hatte, im Flur an der Wand lehnte. Soweit sie sich erinnerte, hatte sie es nicht dort deponiert.

      „Marko, was ist mit dem Grillgitter, hast du es ins Haus geholt?“ „Grillgitter? Sag mal, was willst du eigentlich von mir? Kontrollierst du mich, oder hab ich was falsch gemacht?“

      Mein schöner Marko war genervt.

      „Nein, nein. Mir ist nur so als wäre hier alles ein wenig ­verschoben worden. Keine Ahnung. Ich wollte nur wissen, ob ich irgendwie nicht richtig ticke, oder was. Wenn du die Sachen nämlich verstellt hättest, wäre das die einfachste Erklärung, meine ich.“

      „Was denn“, rief er aus dem Bad, „der Grill, die Vase, der Schirm. Ist was geklaut oder beschädigt?“

      „Nein, nichts dergleichen. Es sind ja auch nur Zenti­meter eigentlich. Schwamm drüber. Soll ich uns einen Tee ­machen?“

      ***

      Am dritten Tag hatte Martina sich beruhigt. Die Dinge standen am richtigen Platz. Sie scannte ihre Positionen, merkte sich das Gesamtbild und verlor kein weiteres Wort darüber.

      Am vierten Tag stand plötzlich ein gepflücktes Grasbüschel in einem ihrer Wassergläser auf dem Tisch der Hinterhaus-Terrasse, mit Wasser drin. Das Gartenregal war vom Abstellplatz um die Ecke vor den Außenkamin gewandert und die Polsterauflage des Liegestuhls stand sorgfältig drapiert an der Wand. Sie packte alles wieder dorthin, wo es hingehörte, setzte sich auf den Liegestuhl, schaute auf den Pool und ihren Büro-Anbau, auf den sie recht stolz war, atmete zehnmal achtsam aus und ein – so wie sie es beim Pilates gelernt hatte – und behielt alles für sich. Ein Rest Unsicherheit blieb.

      Die Veränderungen waren nicht massiver Natur, nur gerade so, dass sie es wahrnahm. Marko bemerkte nichts.

      Als sie beide eines späten Nachmittags vom Strand aus ­Fuzeta kamen und der Tontopf mit der Nelke, die Marko tags zu vor noch wegen ihrer zarten Farben eine Erwähnung Wert war, was sie verwundert hatte, da er ansonsten selten etwas zu ihren Blumen sagte, als also dieser Tontopf nicht mehr auf der Blumenbank, sondern an der Grundstücksmauer stand, war für Martina klar, jemand schleicht um das Haus und verrückt die Dinge – geradeso als wolle er oder sie sagen: „Sieh her. Ich war wieder da!“ Und nun?

      Sie sagte zu Marko: „Da, der Tontopf… Siehst du? Ich spinne nicht. Er steht nicht mehr auf der Bank wie heute morgen. Er steht jetzt an der Mauer.“

      „Ach, Liebes“, sagte er leicht von oben herab: „lass es gut sein. Wahrscheinlich hast du ihn selbst aus der Sonne in den Schatten gestellt. Da steht er ja auch viel besser. Du machst mich