Ester Ette

Die Creole


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unterstellte er ihr, dass sie nicht mehr wusste, was sie getan oder gelassen hatte?

      Am folgenden Tag fotografierte sie mit dem Smartphone sowohl die vordere als auch die hintere Terrasse und den Bereich rund um den Pool, in dem um die Jahreszeit noch kein Wasser stand, um einen Vergleich zu haben, falls sie wieder eine Veränderung bemerken sollte.

      Martina hatte die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan, jedes Geräusch hielt sie wach, ihr Puls raste. Sie trank ein, zwei Brandy zur Beruhigung. Wer schlich ums Haus und beobachtete sie und aus welchem Grund? Warum glaubte Marko ihr nicht und unterstellte ihr, dass sie nicht ganz bei Sinnen war? Hatte er vielleicht recht? Vergaß sie im Laufe des Tages, was sie morgens hin und her geschoben hatte? Die verschobenen Dinge machten ja Sinn: heruntergelassene Sonnenschirme, sichergestellte Blumenvasen, dekorierte Tische, verstauter Grillrost, in den Schatten gestellte Nelken. Das musste niemanden beunruhigen. Das alles trug sogar ihre Handschrift – da sie immer für Ordnung sorgte – es ihnen schön machen wollte – alles in Sicherheit brachte.

      Ihr Mann sagte oft, sie solle doch mal alle Fünfe gerade sein lassen, entspannen, umso mehr, wenn sie sich ein paar freie Tage gönnten. Das geschah selten genug, wenn er nicht auf Messen und Tagungen unterwegs war zu seinen Kunden oder um Ankäufe zu tätigen in London, Lissabon oder Berlin. Martina graute vor nächster Woche, wenn er sie wieder alleine lassen würde, hier auf dem portugiesischen Land – allein mit einem Geist, der die Dinge verschob.

      „Langsam mache ich mir Sorgen“, sagte Marko, kniff die Brauen über seinen wasserblauen Augen zusammen und bewegte seine Sorgenfalten auf der Stirn. Sie hatte ihn gerade betont locker und beiläufig gefragt, ob er ihre Gartenschere gesehen habe. Sie war sich ganz sicher, sie hatte sie auf die verschobene Gartenbank am Außenkamin abgelegt. Dort lag sie nun nicht mehr. Sie konnte sie nicht finden. Alles, was anders lag als sie es erinnerte oder einen neuen Platz eingenommen hatte, versetzte sie inzwischen in leichte Panik.

      „Die Gartenschere“, sagte Marko in einem Ton, mit dem man gewöhnlich zu kleinen Kindern oder Demenz­kranken spricht, „habe ich gestern Abend von der ­Gartenbank genommen als es anfing zu regnen und in den Geräteschuppen gelegt – dort wo sie hingehört. Was ist dabei?“

      „Nichts. Nichts“, erwiderte sie hastig. „Ich meine ja nur.“

      „Glaubst du noch immer, hier streunt jemand umher und verschiebt deine Sachen?“, fragte er und verzog sein Gesicht zu einem schrägen Grinsen. „Ist das der Grund, warum du wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her rennst, andauernd Fotos machst, bevor du das Haus verlässt, ­alles ordnest und sortierst, nachts unruhig schläfst und mit dunklen Schatten unter den Augen herumläufst?“

      Immerhin – er hatte es bemerkt. „Ich denke mir das ja nicht aus“, versuchte sie ihr Verhalten zu erklären. Es klang ihr selbst jämmerlich.

      „Haben denn deine Fotobeweise etwas ergeben?“, fragte er durchaus interessiert.

      Martina mochte darauf nicht antworten, wollte sich nicht verteidigen. Sie hatten nichts ergeben. Sie konnte ja nicht vor jedem Einkauf, nach jedem Pilates-Kurs oder Besuch bei Freunden alle Ecken und Winkel durch fotografieren. Ihr Eindruck war ohnehin, dass sich merkwürdigerweise immer jene Dinge verschoben, die sie vorher nicht dokumentiert hatte.

      Auf der Eingangsmauer waren die am Strand gesammelten Steine und Muscheln in neuer Reihenfolge, nun nach ­Größe sortiert, zusammengestellt. Unter dem Johannisbrotbaum am Carport links von der ehemaligen Scheune war das alte Surfbrett von Marko umgedreht worden. Das seit langem lockere Schild mit ihrer Hausnummer stand auf dem Kopf – von 66 auf 99. Der Blechnapf mit dem Futter für die Katze war umgedreht, der Wasserschlauch, den sie abends eingerollt hatte, lag ausgebreitet über dem Gartenweg. Ihr T-Shirt war von der Wäscheleine genommen und fein säuberlich zusammengefaltet auf die Grundstücksmauer gelegt worden. Tausend Nettigkeiten immer dort, wo sie gerade nicht fotografiert hatte.

      Das alles schien kein Zufall zu sein und zeigte ihr, dass sie ständig beobachtet wurden. Konnte sie sich Marko anvertrauen? Wohl kaum. Er nahm sie nicht ernst. Er würde ihr nicht glauben und sich nur lustig machen. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihm nicht sagen konnte, wie es um sie stand. Ja, sie gewann die Überzeugung, er hielt sie langsam für verrückt oder betrunken oder beides. Und irgendwo konnte sie es ihm nicht einmal verdenken.

      „Nun sag schon. Hat das Fotografieren was gebracht?“

      „Ja“, sagte sie mutig.

      „Ach ja? Und was genau?“

      Wollte er es wirklich wissen? Oder wollte er nur eine Bestätigung ihrer Dämlichkeit? Martina atmete tief ein und blähte ihren Brustkorb auf.

      „Da sich immer dort etwas verändert hat, wo ich nicht fotografiert habe, ziehe ich den Schluss, dass uns jemand durchgängig beobachtet und gerade die Stelle verändert, die nicht dokumentiert ist.“

      Er schob sein markantes Kinn schräg nach vorn und guckte sie ungläubig an: „Du willst mir sagen, auf den Fotos sind keine Veränderungen sichtbar und das sei der Beweis dafür, das etwas verändert wurde?“

      „Richtig“, antwortete sie, alles Selbstbewusstsein zusammenkratzend, das ihr noch zur Verfügung stand. Er wollte sie nicht verstehen, obwohl sie zugeben musste, dass die Schlussfolgerung selbst in ihren Ohren etwas absurd klang.

      „Weißt du was?“, sagte er genervt – Tendenz ärgerlich. „Ich hatte dir etwas mehr Logik zugetraut. Ich packe jetzt meine Sachen für morgen, schmiere mir ein Brötchen mit Käse, trinke ein Glas Bier und lege mich ins Bett. Ich muss morgen früh los. Der Flieger geht um kurz nach acht.“

      „Soll ich dich nach Faro bringen?“ fragte sie vorsichtig. Das tat sie eigentlich immer um die Zeit. Sie tranken dann noch ein Glas Galão in der Flughafenhalle, und sie verabschiedete ihn in die große weite Kunst-Welt.

      „Ich nehme ein Taxi“, sagte er kurz angebunden. „Du kannst ja sicher nicht weg, weil sonst wieder was verrückt ist, wenn du zurückkommst.“

      „Du bist gemein“, die Tränen standen ihr in den Augen und sie ärgerte sich über sich selbst. „Warum sagst du so etwas? Ich bin etwas verunsichert. Mir graut gerade davor, allein im Haus zu sein. Wie lange bist du denn unterwegs?“

      Er stöhnte laut und schaute seine Frau unverwandt an. „Mindestens eine Woche, du weißt doch, wie lange die Messe in London immer dauert und dass ich rundherum viel zu tun hab. Das Halbjahresgeschäft. Ich lasse dich in diesem Zustand auch ungern allein. Frag doch deine Schwester, ob sie dir für ein paar Tage Gesellschaft leistet. Na ja, vielleicht besser nicht...“ Der Vorschlag war ihm wohl nur so herausgerutscht. Er wusste ja am besten, wie schwierig das Verhältnis der beiden Schwestern war.

      „Es würde mir schon helfen, wenn du mir einfach glauben würdest und etwas aufmerksamer wärst. Dieser jenige will uns ja offenbar nichts Böses, sonst hätte er oder sie sich wohl anders oder gar nicht bemerkbar gemacht. Oder?“

      „Martina, hör endlich auf damit. Hier ist niemand. Du steigerst dich da in etwas hinein. Vielleicht solltest du mal zu einem Arzt oder Psychologen gehen. Beruhigungs­tabletten, Entspannungstees oder ein, zwei Brandys weniger oder so was. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes. Du bist ja kaum wiederzuerkennen. Seit Tagen können wir kein normales Wort mehr miteinander reden. Du schleichst durch die Gegend, als leidest du unter Verfolgungswahn. Und jetzt willst du nicht alleine sein. Was sollen wir denn machen? Ich kann doch nicht meinen Job aufgeben“, er lachte hysterisch und lief rot an. „Weißt du was, ich bitte Hannes mal wieder, nach dir zu sehen. Er passt rund um das Haus auf. Und nächstes Wochenende bin ich wieder da, dann sehen wir weiter. Und selbst wenn hier jemand herum läuft und Sachen verschiebt, so ist es ein harmloser Depp mit einem Tick. Oder Oma Soares, du weißt, sie schleicht hier manchmal übers Gelände und sucht ihr altes Haus. Ich muss jetzt wirklich was essen und dann ins Bett.“

      Einerseits tat ihm Martina leid, andererseits lag er in ­Gedanken schon im Londoner Rubens.

      ***

      SUSANNE

      Susannes 37. Geburtstag begann gänzlich unspektakulär, um nicht zu sagen: traurig. Saudade.