Ester Ette

Die Creole


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könnte fremd gehen auf all seinen Geschäftsreisen. Ich meine, das ist schon merkwürdig, wie oft er weg ist. Und so wie er aussieht, kann er doch jede haben. Oder?“

      „Besten Dank auch, Ingrid, dass du mich so aufmunterst. Ich sprach davon, dass ich mich allein in der großen Anlage unwohl fühle. Und nicht davon, dass ich Angst habe, dass Marko mich betrügt. Eigentlich habe ich etwas Unterstützung von dir erwartet.“ Jede wusste, das Ingrids Mann seine Frau wegen einer Stammkundin aus ihrer Gärtnerei verlassen hatte und mit selbiger nach Deutschland zurückgegangen und umgehend Vater eines kleinen Jungen geworden war. Niemand sprach darüber.

      „Der meinige“, fiel Heidi sofort ins Wort, “ist so hässlich, da muss ich mir gar keine Sorgen machen, dass er fremd geht. Der Preis ist halt, dass du Ewigkeiten mit einem zwar netten, aber unattraktiven Mann zusammen bist. Ich hab mich halt dran gewöhnt. Er ist ja auch ein Lieber. Aber willst du das, Martina?“ Heidi war selbst auch keine Schönheit, aber so drastisch hatte sie sich bezüglich der ­Attraktivität ihres Gatten noch nie ausgedrückt. War da etwa was im Busche?

      Ingrid, die mit ihrem gelben Lieferwagen von Markt zu Markt fuhr und ihre Pflanzen aus der eigenen Gärtnerei verkaufte, stöhnte. „Seid froh, dass ihr überhaupt einen habt. Ich stehe mit der Gärtnerei ganz alleine da und weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Pilates ist das einzige ­Freizeit-Vergnügen, das ich mir gönne. Ansonsten nur ­Arbeit, Arbeit, Arbeit.“

      Da meldete sich Barbara zu Wort, mit 56 die älteste unter ihnen und die für gewöhnlich Schweigsamste, hielt sie sich doch aus fast allen Beziehungsgesprächen heraus. Heute aber mischte sie sich unverhofft ein. „Ihr tut so, als gäbe es immer nur Mann-Frau Geschichten. Vielleicht hat Marko ja einen Freund in London.“

      Martina starrte Barbara entgeistert an. Melissa entwich ein Spontanes: „Das wüsste ich aber!“, worauf Martina auch sie anstarrte. Melissa bemühte sich umgehend, ihre schnelle Zunge im Zaum zu halten. „Ja, wer glaubt denn bei Marko an so was. Das müsste Martina ja wohl schon gemerkt haben.“

      „Wieso“, entgegnete Barbara trocken. „Es gibt ja auch Menschen, die bi sind. Und manchmal ist alles anders als man denkt.“

      „Si, das stimmt“, warf Antonia dazwischen. Die Brasilianerin war in zweiter Ehe mit einem deutschen Physiker verheiratet. Zusammen hatten sie fünf Kinder, die in der ganzen Welt verstreut lebten und wiederum Kinder bekamen – in England, in Thailand, in Brasilien, in der Ukraine und in Deutschland. „Es ist meist anders als man denkt“, wiederholte sie nachdenklich in ihrem portugiesisch gefärbten Deutsch. Sie war ständig damit beschäftigt, durch die Weltgeschichte zu düsen, um eines ihrer Enkelkinder aus dem Bauch der jeweiligen Mutter zu holen. Ihr Mann hatte das Bedürfnis nicht. Er schrieb unablässig an seinem Lebenswerk: „Der Klimawandel und die Selbstüberschätzung der Menschheit“ und war derzeit bei Kapitel 2 angelangt, während Antonia auf Koh Samui gerade noch ihrer Schwiegertochter Melina bei der Entbindung ihres sechsten Enkelkindes geholfen hatte. Erlebnisse, die sie der ­lockeren Pilates-Runde nicht zumuten wollte.

      Barbara blieb bei ihrer Einschätzung. „Ich sage ja nicht, dass er bi oder schwul ist. Ich sage ja nur, es könnte eine Option sein. Ich finde es interessant, dass ihr so etwas gar nicht in Erwägung zieht.“ Barbara war seit 14 Jahren mit John liiert. Sie hatte sich eine florierende Agentur für ­Ferienhaus-Vermietungen aufgebaut. John war ein Säufer und neigte im betrunkenen Zustand zu Gewalttätig­keiten, von denen er am anderen Tag angeblich nichts mehr wusste. Und sie zog ihn seit Jahren mit durch. Das verstand niemand.

      Barbara kannte Marko am längsten – noch aus den Anfängen in Portugal, wo sie sich ständig auf einer der angesagten Kiffer-Partys der Residenzler begegnet waren. Sie hatten auch zwei-, dreimal miteinander geschlafen, wie das so üblich war, damals, Ende der 70er, Anfang der 80er ­Jahre. Lange her. Martina wusste davon nichts. Dazu schwieg Barbara beharrlich, zumal ihr das damalige Motto „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum ­Establishment“, heute eher peinlich war. Außerdem war ihr der Sponti-Spruch viel zu machomäßig; denn er bezog sich ja offenbar nur auf Männer, die mit Frauen schlafen – und nicht etwa umgekehrt. Wenn sie jemand fragen würde, mit wie vielen Männern sie denn geschlafen hätte, könnte sie beim besten Willen keine wahrheitsgemäße Antwort geben. Sie wusste es einfach nicht. Waren es 30, 40 oder 100? Heute hielt sich ihr sexuelles Verlangen nach Männern in übersichtlichen Grenzen. Mit John lief schon ewig nichts mehr. Sie fütterte ihn aus Mitleid mit durch und ertrug seine Ausraster, weil sie sich alleine langweilte.

      Aktuell aber wendete sich das Blatt schlagartig. ­Barbara hatte sich in eine ihrer Mitarbeiterinnen verliebt. Zunächst war sie gar nicht darauf gekommen, dass es sich bei ihren Anwandlungen um Verliebtheitsgefühle handeln könnte – wohl, weil ihr das im Leben noch nicht passiert war. Sie hatte Sarah im Cantaloupe in Olhão kennengelernt und konnte den Blick nicht von ihrem sportlichen Körper lassen, der mit allerlei Tattoos Aufsehen erregte. Wie sie sich mit dem Tablett über dem Kopf durch die Reihen des Clubs schlängelte und mit ihrem kleinen Hintern wackelte.

      Barbara hatte sie vom Fleck weg für einen horrenden Stundenlohn engagiert und ließ sich allerlei Marotten von ihr gefallen. Sarah kam zu spät, hatte den Schlüssel einer zu betreuenden Anlage verloren, flirtete mit Johns Tochter Casey und fütterte den Hund von Lady Heath wochenlang mit Katzenfutter, was dazu führte, dass diese wichtige Kundin die halbe englische Community gegen Barbaras Firma aufhetzte. Barbara blieb ruhig und erfreute sich daran, dass Sarah „Schwung in die Bude“ brachte. Als sie bemerkte, dass sie sich darüber hinaus in die smarte Lesbe verguckt hatte, war es zu spät.

      Ihrem Damenkränzchen würde sie diese Wendung niemals anvertrauen. Da hätte sie sich gleich in Moncarapacho auf den Kirchplatz stellen und es lauthals heraus posaunen können.

      „Das ist doch Quatsch“, sagte Melissa, mit 36 die jüngste in der Runde, kinderlos, derzeit ohne feste Beziehung, ein Dauerzustand, den sie ständig zu beenden suchte. Sie arbeitete im Sommer am Strand von Barril und massierte Badegäste unter einem weißen Baldachin. Sie war erst kürzlich dem Charme eines Portugiesen von der Life Guard Station erlegen, der sie dann aber umgehend mit einer hübschen Schwedin austauschte, der dann eine etwas ältere, aber gutbetuchte Dame aus England folgte. Dabei war Ronaldo mit seinen 38 Jahren auch nicht mehr der Jüngste und neigte zum Bauchansatz. Dennoch hatten diese braungebrannten Lebensretter immer einen Schlag bei den Mädels. Melissa würde sich eher die Zunge abbeißen, als diese Schmach ins Gespräch zu bringen. Und schon gar nicht würde sie offenbaren, dass sie vor Jahren ein Verhältnis mit Marko hatte. Zweimal war sie mit ihm in London gewesen und hatte sich binnen Kurzem dort gelangweilt. Eine oberflächliche und schmerzlose Angelegenheit.

      „Wenn ich ehrlich bin“, und so begannen viele ihrer Statements, was dazu beitrug, ihr generell eher Unehrlichkeit zu unterstellen: „Ich würde Marko auch nicht von der Bettkante werfen. Ich meine, einen wie Marko, natürlich, nicht Marko jetzt, versteht mich nicht falsch, ich meine… so einen Typ wie… also, du weißt schon, was ich meine…!“

      Martina stand auf. „Nein, weiß ich nicht!“, erwiderte sie genervt. „Ich geh jetzt lieber, sonst lass ich mich gleich scheiden!“

      Als Martina von ihrer Pilates-Gruppe zurückkam, stand alles wie gewohnt an seinem Platz. Sie war einerseits erleichtert, andererseits kam ihr der Gedanke, ob das etwas mit der Abwesenheit von Marko zu tun haben könnte. Konnte es sein, dass Marko selbst...? Nein, sie verwarf den Gedanken sofort wieder.

      Das verwirrende Gespräch mit ihren sogenannten Freundinnen hing ihr noch nach, während sie den Teig für Susannes Geburtstagskuchen knetete. Sie beschlich das Gefühl, dass einige der Mädels aus ihren Gefühlen eine Mördergrube machten. Jedenfalls waren sie alle derart heftig auf ihr Problem mit Marko angesprungen, dass sich dahinter mehr verbergen musste als Mitgefühl oder Neugier. Vor allem Barbaras Einwand zum Thema Bisexualität machte sie stutzig. Und Melissa, diese hinterhältige Ziege, konnte ihr künftig gestohlen bleiben.

      Ihre Gedanken wanderten vom Damenkränzchen zu ­Marko und weiter zu Susanne, während sie die Mandeln im Mörser zerstieß und die Zitronenschale abrieb.

      Erst seit dem Tod von Susannes Mann hatten sie sich wieder angenähert. Und auch dies nur ganz vorsichtig, um keine alten Wunden aufzureißen.