Ester Ette

Die Creole


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war auf Distanz. Sie wusste um ihren Anteil an dem Zerwürfnis. Sie ging noch nach Jahren die Ereignisse von damals immer wieder in Gedanken durch.

      Als sie den Kuchen aus dem Backofen holte und auf einem Kuchenteller umstülpte überlegte sie einmal mehr, ob es allein ihre Schuld war, dass es zu diesen ganzen furchtbaren Zerrüttungen zwischen ihr und ihrer Schwester gekommen war.

      Hatte Susanne ihr eigentlich verziehen, dass sie ihr vor 18 Jahren den Mann ihres Lebens ausgespannt hatte?

      ***

      LONDON

      MARKO

      Das Taxi am frühen Morgen war fast zu spät gekommen, weil es die Abfahrt von der Rue National nach Livrobranco verpasst hatte und erst im zweiten Anlauf in den ­Caminho do Salomé einbog. Dort verbarg sich hinter Canas- und Palmenhainen – etwas zurückgesetzt – ihre Quinta, früher ein alter, heruntergekommener Bauernhof, heute ein gepflegtes Anwesen mit Hauptgebäude und Nebenhäusern, Carport und einem großen Pool.

      Im Taxi huschte noch schnell ein Gedanke an seine Frau durch seine Gehirnwindungen. Vermutlich hatte sie sich inzwischen aufgerappelt und einen ersten Espresso auf der Terrasse getrunken. Er verabschiedete sich innerlich von seinem Leben mit ihr und in Livrobranco und wechselte in die andere Welt. Seinen Flieger nach London erwischte er in letzter Minute.

      Im Flugzeug spürte er wieder diesen Druck auf seiner Brust und bemühte sich, regelmäßig zu atmen. Den Flug verbrachte er in einem leicht nebulösen Zustand. Er konnte nicht schlafen, aber auch keinen klaren Gedanken fassen. So war es immer, wenn er sich in der Metamorphose, wie er es nannte, von hier nach dort befand. In der Umwandlung vom sortierten, kastrierten Ehemann im Larvenstadium zum lustvollen, selbstbestimmten Freigänger-Kater. Der Wechsel fiel ihm immer schwerer.

      Marko stieg in Heathrow in die Bahn nach South ­Kensington, wo er wie üblich im teuren und sehr renommierten Hotel Rubens abstieg – und wie jedes Jahr auch nun wieder zur Map Fair, die in den Räumen der ehrwürdigen Royal Geographical Society stattfand. Die Messe­räumlichkeiten befanden sich just around the corner in der Exhibition Road, hinter dem ungeheuer großen, ebenso altehrwürdigen Naturkundemuseum. Immer, wenn er hier war, besuchte er die nahe gelegene wunderbare Royal Albert Hall und gleich gegenüber den Kensington Garden mit dem in maßloses Gold getünchten Prinz Albert ­Memorial. Victoria möge ihm verzeihen – aber dieses übergroße Ehrenmal für ihren Gatten fand er furchtbar kitschig, ja geradezu lächerlich überhöht und er fragte sich, inwieweit tiefe Liebe zu solch überaus furchtbaren Ergebnissen führen konnte und ob dies zwangsläufig der Fall sein musste. Für ihn hatte diese Form der Liebe etwas Pathologisches.

      Er genoss diese unverschämt teure Gegend mit ihrem blaublütigen Charme und dem überheblichen Prunk einerseits und dem jungen, internationalen Leben rund um die ­Metro-Station andererseits.

      Er freute sich auf die Kollegen aus aller Herren Länder, schräge Vögel zum Teil, die mit ihren Karten, Grafiken und sonstigen Kunstwerken die heiligen Hallen füllten. Er freute sich auf die zu erwartenden Umsätze; denn er hatte ein paar sehr schöne Blätter im Gepäck, für die sich interessierte Käufer aus Übersee angemeldet hatten. Dennoch war er heute nicht allerbester Laune, als er in London ankam.

      Das frühe Aufstehen, das ihm sonst keine Mühe machte, war ihm heute morgen nach dem Streit mit seiner Frau und einer unruhigen Nacht vergällt. Sie hatte sich schlafend gestellt als er das warme Bett verließ. Kein Abschiedskuss, keine Umarmung. Nicht, dass er darauf in letzter Zeit viel Wert gelegt hätte, aber Martinas Zuneigung und diese ­Rituale verschafften ihm eine gewisse Beruhigung, damit er, nun ja, seinen Interessen unbehelligt nachgehen konnte. Seine Geschäftstermine außerhalb dieses verschlafenen Nestes Livrobranco und weit weg von seiner ihn langweilenden Beziehung zu Martina waren längst die Leuchttürme in seinem Leben. Nichtsdestotrotz tat Martina ihm leid, und er hatte ein schlechtes Gewissen. Er hasste dieses diffuse Unwohlsein.

      Vom Hotel aus rief er seine Frau an, um die Wogen zu glätten. Auch spürte er ein gewisses Unbehagen. Würde ­Susanne ihr kleines Geheimnis verraten? Noch ehe er unverfänglich danach fragen konnte, ob sie eine Begegnung mit ihrer Schwester plane, sprudelte es aus ihr heraus: „Es tut mir leid. Es war so ein blöder Abschied.“

      Er sagte: „Ja, ganz blöd.“

      „Wenn du nächste Woche nach Hause kommst“, lenkte sie ein, „hast du gute Geschäfte gemacht, und wir genießen das Wochenende. Ich bereite eine Caldeirada de Lulas, wir trinken einen gut gekühlten Vinho verde. Alles wie immer!“ Es klang etwas angestrengt in seinen Ohren.

      Alles wie immer! Marko hatte das ungute Gefühl, dass es sich hier eher um einen frommen Wunsch handeln könnte. Alles wie immer! war keineswegs eine erstrebenswerte Perspektive für ihn. Er wollte nicht daran denken und schaltete vollständig um auf London.

      Im Rubens war es düster, dunkle Wandvertäfelungen, Kopien alter Meister. „Herakles erlegt den nemeischen Löwen“, nach einem Rubens-Gemälde – eine dieser kraftstrotzenden, kreatürlichen Darbietungen, die er seit fast zwei Jahrzehnten neben alten Landkarten und seinen Karikaturen handelte und deren Ansicht er gleichermaßen liebte und hasste.

      Niemals würde er sich so ein brachiales, pathetisches ­Meisterwerk an die eigenen vier Wände hängen – egal, ob als Kopie, Grafikdruck oder in Öl. Und schon gar nicht in sein Haus in Portugal. Es schauderte ihn bei dem Gedanken, dieses halbnackte symbolträchtige Muskelspiel im Kampf mit der wilden Natur und zur Erbauung der Götter täglich anschauen zu müssen. Schon im Vorbeigehen ­spürte er den Atem der Vergangenheit, fast der Verwesung. Von schweren, reich verzierten, goldenen Rahmen gehalten, die alle Inhalte zerschlagen und das eigene Erleben begrenzen. Diese Art Meisterwerke hängen an unpersönlichen Orten, die nur dazu dienen, das dick aufgetragene Öl zu verehren oder Besucher einzuschüchtern. Öl-Schinken. Wieso eigentlich Schinken?

      Gleichzeitig war er sich seiner Ablehnung nicht sicher; natürlich konnte man die alten Meister nicht als unbedeutende Öl-Schinken abtun. Nicht zuletzt, weil er unter anderem damit sein bemerkenswertes Vermögen aufgebaut hatte. Aber rechtfertigten sie alles, was dem Original folgte? All die schlechten Kopien, gedruckten Plakate, Nachahmer-Werke, all den Schindluder, der mit ihnen getrieben, all die Verbrechen, die ihretwegen begangen wurden?

      Beim Durchschreiten der Hotellobby und im Angesicht der zur Schau gestellten Männlichkeit – sowohl was den Halbgott als auch den Löwen betraf – erfasste ihn aber auch immer wieder ein leichtes Kribbeln an den Innenseiten seiner Oberschenkel. Und er beantwortete seine eigenen Fragen mit einem verschmitzten: „Ja!“ Das Rubens war schon immer Ort seiner wildesten Phantasien gewesen. Und bei Bedarf lebte er sie auch aus.

      An der Rezeption begrüßte man ihn außerordentlich freundlich. „Welcome, Mr Kleinschmidt.“ Versehen mit diesem britischen Akzent klang sein, von ihm als unangenehm Deutsch empfundener Name geradezu weltmännisch. Schnell ging er weiter, fuhr mit dem Fahrstuhl in den 3. Stock und legte sich in voller Montur auf das Doppelbett seiner Suite. Sie war noch nicht da. Gott sei Dank. Er war komplett erschöpft, sein linker Arm schmerzte. Er fühlte sich den kommenden Anforderungen nur bedingt gewachsen. Gleichzeitig fieberte er seinen Phantasien entgegen und verfiel in unruhige Träume.

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