Birgit Berndt

LOTSENGOLD


Скачать книгу

      Das Vibrieren ihres Handys brachte Frauke in die Gegenwart zurück. Sie angelte es aus der Anoraktasche, wischte über das Display und versuchte zu erkennen, wer sie anrief. Verschwommen erkannte sie Falk's Namen. Klar, er wollte sicher wissen, wo sie blieb. Sie drückte den Anruf einfach weg. Ich bin ja sowieso gleich da, dachte sie bei sich, schlängelte sich durch den Schilfgürtel und betrat die Insel. Einem Impuls folgend wäre sie sogar jetzt noch am liebsten umgekehrt, ein unbestimmtes Gefühl im Bauch signalisierte ihr, 'kehr um', aber es war zu spät, Falk und Gesche hatten sie bereits entdeckt. Betont forsch betrat sie die Lichtung, wo die beiden ungeduldig auf sie warteten.

      „Ah, da bist du ja endlich,“ empfing Falk sie unwirsch, „hat lange genug gedauert. Wir warten schon eine Ewigkeit und sind beinahe erfroren.“

      „Nun übertreib' mal nicht, es sind gerade mal zehn Minuten über der Zeit.“

      „Ja,“ das war Gesches Stimme, „bei dieser klirrenden Kälte kommt einem das wie zehn Stunden vor. Schließlich stehen wir nur blödsinnig in der Gegend rum.“

      Vorwurfsvoll sah sie Frauke an und schlug demonstrativ ihre Arme über Kreuz um den Körper, um sich zu wärmen. Frauke machte auf zerknirscht, „tut mir leid, aber jetzt bin ich ja da. Was gibt es denn nun so Aufregendes?“

      „Das“, antwortete Falk, während er auf ein ihm zu Füßen liegendes, verrostetes und verwittertes Etwas zeigte, das mit viel Mühe als eine Blechkiste zu identifizieren war.

      „Wir haben sie schon mal aus dem hohlen Baum geholt, als du noch auf dem Weg warst,“ sagte Gesche und nickte zustimmend. Frauke verstand den Vorwurf, ging jedoch nicht darauf ein.

      „Ja, und was sollen wir damit?“

      „Habe ich auch schon gefragt,“ grinste Gesche.

      „Was wohl Mädels, öffnen, oder habt ihr eine bessere Idee?“

      „Nein, ehrlich gesagt nicht, aber wie bist du überhaupt darauf gekommen, dass im hohlen Baum eine Blechkiste versteckt ist?“

      „Nun mal der Reihe nach,“ Falk verzog das Gesicht, während er fortfuhr, „also, wie ihr wisst, habe ich Vaters Unterlagen durchgesehen, nachdem der Notar sie freigab. Vadding hatte ja testamentarisch verfügt, dass ich mich um seinen Nachlass kümmern soll, um Greta zu entlasten. So ganz recht war ihr das nicht, aber ich hab's durchgezogen und den Papierkram zu mir geholt. Dort habe ich dann alles in Ruhe durchgesehen und das hier gefunden.“

      Er zog einen zerknitterten Zettel aus seiner Jackentasche und hielt ihn in die Höhe. Während Frauke und Gesche gleichzeitig versuchten, Falk den Zettel wegzuschnappen, was er zu verhindern wusste, warf Gesche ein: „Trotzdem irgendwie ganz schön frech.“ Frauke schwieg. Sie empfand Mitleid für Greta.

      „Zuerst bin ich aus der Notiz überhaupt nicht schlau geworden. Vaters Marotte für verschlüsselte Botschaften kennt ihr ja auch zur Genüge.“

      Beide nickten eifrig. An Geburtstagen und zu Weihnachten war ihre Geduld oft ziemlich strapaziert worden, denn ihre Geschenke bekamen sie erst, wenn sie Frieders Rätsel gelöst hatten. Eine Marotte, die solche Tage prickelnd, geheimnisvoll und spannend gemacht und die Frauke geliebt, Falk und Gesche hingegen eher als lästig empfunden hatten.

      Falk fuhr fort: „Irgendwelche Andeutungen, die für mich so gar keinen Sinn ergaben. Fragmente, die im ersten Moment absolut nicht zusammenpassten. Ich les' euch die Botschaft mal vor.“ Er nahm den verknitterten Zettel, hielt ihn ins langsam verschwindende Mondlicht und las: „Hört und staunt:

      Meine geliebten Kinder, ihr werdet etwas finden!

      Aber nicht da, wo ihr meint, wahrscheinlich auch nicht das, was ihr glaubt.

      Lasst Euch nicht entmutigen, es lohnt sich zu suchen.

      Falls ihr es schafft, habt ihr möglicherweise ausgesorgt, die Entscheidung darüber liegt bei euch!

      Wenn nicht, bleibt das Geheimnis für alle Zeiten gewahrt!

      Frauke, Gesche und Falk waren zunächst sprachlos und sahen sich ratlos an. Frauke fasste sich als erste: „Ja, aber wie bist du darauf gekommen, hier auf der Insel zu suchen?“

      „Als es Vadding schon sehr schlecht ging, rief er mich zu sich. Ich hab's ja nicht weit.“ Er grinste seine Schwestern an. „Greta war unterwegs. Vater zog meinen Kopf zu sich herunter und flüsterte mir etwas ins Ohr.“

      „Nun spann uns doch nicht so auf die Folter, komm zum Kern,“ sagte Gesche, „mir ist kalt.“ Frauke nickte zustimmend.

      „Ja, also ich konnte ihn sehr schlecht verstehen, er war schon zu schwach. Aber ich meinte gehört zu haben: „Falk, Junge, sucht auf der Insel im....“, dann schlief er erschöpft ein.

      „Danach hatte ich keine Gelegenheit mehr, ungestört mit ihm zu sprechen. Immer war Greta in der Nähe. Zunächst vergaß ich das Ganze. Erst als ich in den Unterlagen auf die Botschaft stieß, fielen mir Vaddings Worte wieder ein.“

      Er streckte sich und sah seine Schwestern triumphierend an: „Da ich ja bekanntlich kein kleiner Dummer bin, kombinierte ich blitzschnell und kam zur der Erkenntnis, dass damit nur der hohle Baum auf unserer Insel gemeint sein kann. Deshalb bat ich euch, heute hierherzukommen, damit wir gemeinsam das Geheimnis lüften können.“

      Frauke dachte wie meist praktisch, sie deutete auf die Blechkiste. „Wie kriegen wir die denn auf?„

      „Voila,“ Falk zog einen ebenfalls verrosteten Schlüssel aus seiner Jackentasche, „hiermit, hab' ich auch in den Unterlagen gefunden.“

      Frauke konnte es nicht lassen. „Aber die Kiste hättest du doch auch nach Stralsund zu mir bringen können, um sie gemeinsam in meiner warmen Wohnung zu öffnen. Oder zu dir, in dein Haus. Dann müssten wir nicht hier draußen in der Kälte rumstehen.“

      Verblüfft sah Falk sie an: „Quatsch, da fehlt das richtige Feeling, das funktioniert nur hier beim direkten Versteck. Schnöde in der Wohnung oder einem Haus einen Schatz entdecken kann jeder, das hat keinen Stil. In meinem Haus wäre ein Treffen außerdem zu auffällig gewesen und in Stralsund kriege ich mit meinem Pick-up immer so schwer einen Parkplatz.“

      Frauke sah ihren Bruder an und konnte sich gerade noch verkneifen, mit ihrem Zeigefinger an die Stirn zu tippen. Gesches Gesicht signalisierte Zustimmung zu Fraukes Einwurf. Stattdessen sagte Frauke resigniert: „Na, dann los.“

      Falk ging in die Knie und steckte den Schlüssel ins Schloss, ruckelte ein paar mal hin und her und tatsächlich öffnete sich der Deckel quietschend. Frauke und Gesche konnten den Inhalt nicht erkennen, sahen nur das verblüffte und ungläubige, kalkweiß gewordene, Gesicht ihres Bruders, der den Deckel enttäuscht zuplumpsen ließ.

      „Alles in Ordnung mit dir?“ fragte Frauke besorgt.

      „Was soll das denn? Spinnst du? Was ist denn nun drin?“ Gesche war überhaupt nicht besorgt, sondern nur ungeduldig.

      Falk war noch blasser geworden und murmelte vor sich hin: „Das kann doch nicht wahr sein, ich glaub' ich träume.“ Er öffnete den Deckel erneut und bevor er wieder zufallen konnte, beugten sich beide Frauen blitzschnell hinunter und starrten auf den Inhalt. Sie schauten genauso ungläubig wie ihr Bruder.

      Frauke fasste sich als erste: „Nee, das ist jetzt aber nicht wahr. Ich glaub's ja nicht. Meine Güte, das ist ja wohl der Hammer. Deshalb sind wir bei Eis und Kälte hierhergekommen...“ „...und bei Schnee,“ ergänzte Gesche.

      In ihrem Eifer war ihnen vollkommen entgangen, dass der Schneefall heftiger geworden war.

      „Auch das noch,“ jammerte Frauke.

      „Reiß dich mal zusammen, Mensch, das ist nun wirklich das kleinste Problem. Wenn du absolut nicht fahren willst, kommst du einfach mit zu mir,“ sagte Falk.

      „Und Gesche?“

      Nach kurzem Zögern erweiterte Falk sein Angebot, „die natürlich auch.“

      „Nee,