Birgit Berndt

LOTSENGOLD


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und völlig lähmen.

      Sie riss sich zusammen, atmete ein paarmal tief durch, ruhig, sagte sie zu sich, bleib einfach ruhig. Frieder ist nicht mehr da, du musst alleine klarkommen. Begreife das endlich mal! Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren, keine Überreaktion, noch wusste sie nichts, außer dass vermutlich dieser Rammer auf seinen Skiern eilig über den gefrorenen Bodden geglitten war.

      Wenn ich jetzt falsch reagiere, verzeihen mir die Kinder das nie und unser Verhältnis wird noch schwieriger. Aber was war im Augenblick falsch oder richtig?

      Es war ein Schuss gefallen, dessen war sich Greta inzwischen sicher. Für wen war er bestimmt gewesen? Wer hatte geschossen? Rammer? Diese Ungewissheit machte sie fertig. Dennoch, sie straffte sich und beschloss, zunächst einmal abzuwarten. Sie ging die Treppe runter, ihre Beine fühlten sich wie Gummi an und sie zitterte vor Kälte.

      Eilig öffnete sie die Tür zur Wohnküche, schichtete weiteres Holz im Kamin auf und die vorhandene Glut entfachte es erneut. Sofort züngelten rotleuchtend Flammen empor, sie hockte sich davor und wartete, bis ihr langsam wärmer wurde. Gut, dass Frieder ihr das Feuermachen so geduldig beigebracht hatte, nur dass der rauchende Schornstein schon die ganze Zeit über weithin sichtbar sein würde, daran hatte sie jetzt nicht gedacht. Ach was, beruhigte sie sich, in der Dunkelheit und bei dem Schneefall war auf einige Entfernung bestimmt nicht genau zu erkennen, bei welchem Lotsenhaus der Schornstein rauchte. Bei so einem Wetter verschwamm vieles zu einer einzigen undurchsichtigen Masse und täuschte etwas vor, was gar nicht da war.

      Der Feuerschein des Kamins spendete ihr genügend Helligkeit, sodass sie auf weitere Lichtquellen verzichtete. Wie lange hatte sie eigentlich nichts mehr gegessen und getrunken? Ihr Magen knurrte und ihr Mund war wie ausgetrocknet. Diese profanen Bedürfnisse empfand sie plötzlich als ungeheuer tröstlich.

      Greta befüllte den Wasserkocher und bis er sprudelte suchte sie alles für einen Imbiss zusammen, Brot, Butter und Käse, das dürfte reichen. Sie hängte einen Kräuterteebeutel in ihren Lieblingsbecher, übergoß ihn mit dem inzwischen kochenden Wasser und stellte alles zusammen auf den Küchentisch, der den Mittelpunkt der großen Wohnküche bildete. Mehr als eine Schnitte Brot mit Butter und Käse würde sie ohnehin nicht runterbringen. Sie machte sich ans Werk, entfernte zwischendurch den Teebeutel aus dem Becher und legte zum Wärmen ihre hohlen Hände darum, führte ihn vorsichtig zum Mund und nahm kleine Schlucke von dem heißen Getränk bis sich eine wohlige Wärme in ihr ausbreitete. Dann und wann biss sie gedankenverloren in ihr Käsebrot. Langsam wurde sie ruhiger.

      *

      Frauke und Falk lösten sich aus ihrer Erstarrung und standen behutsam auf, ihre Beine waren bleischwer. Gleichzeitig stürzten sie zu Gesche, die wie tot am Boden lag.

      Frauke stotterte: „Ist....ähm,“ sie räusperte sich zusätzlich, um den Frosch aus ihrem Hals zu entfernen, „ist sie...tot?“

      „Mensch, das weiß ich doch nicht,“ antwortete Falk schroff.

      Er beugte sich runter und legte das rechte Ohr auf Gesches Herz, mit dem Daumen fühlte er ihren Puls. Frauke kniete neben Gesche, strich ihr über die Wange und schob den anderen Arm unter ihren Kopf, um sie zu stützen. Gesche stöhnte.

      „Sie lebt, sie lebt!“ jubelte Frauke.

      „Fragt sich nur wie lange noch,“ murmelte Falk.

      „Wie bitte, ich glaube ich höre nicht richtig?! Darüber sprechen wir später noch.“

      Sie wandte sich wieder ihrer Schwester zu. „Gesche, hörst du mich?“ aber die antwortete nicht, war offensichtlich in eine gnädige Ohnmacht gesunken.

      Falk verteidigte sich: „Ja, Mensch, wir müssen das realistisch betrachten. Nur die Harten komm' in Garten. Was können wir denn dafür, dass am frühen Abend irgendwer wild in der Gegend rumballert.“

      Er hatte sich wieder gefangen und sah Frauke kühl aus seinen blauen Huskyaugen an. Frauke starrte ihren Bruder fassungslos an, entsetzt über seine Reaktion.

      „Sag' mal Falk, ich glaube, du tickst nicht richtig! Wir können unsere kleine Schwester nicht schwer verletzt einfach liegen und ja,“ sie zögerte es auszusprechen, „verrecken lassen. Lass' keine saublöden Sprüche ab, sondern unternimm' was! Bei dieser Eiseskälte hält Gesche nicht lange durch.“

      „Unsere kleine Schwester?“ fragte Falk süffisant, „wieso nennst du sie eigentlich unsere Schwester? Und wieso soll ich was unternehmen?“

      „Für mich ist sie meine kleine Schwester, basta, schließlich ist sie seit dem Babyalter bei uns und unternehmen sollst du was, weil du körperlich der Stärkere bist und sie in dein Haus tragen kannst.“ Das Wort 'körperlich' betonte Frauke, was jedoch ihrem Bruder nicht aufzufallen schien.

      „Du spinnst ja, ich bin doch nicht bekloppt, nachher hat sie innere Verletzungen und ich verschlimmere die womöglich noch.“

      Langsam fühlte Frauke sich überfordert und allein gelassen, so also beschützte sie ihr großer Bruder jetzt und hier wo es wirklich drauf ankam. Sie war nahe daran, hysterisch zu werden und in Tränen auszubrechen. Sie atmete tief durch und rief sich zur Ordnung.

      „Weißt du, was du bist?“ giftete sie Falk an, „du bist ein ungehobelter, egoistischer Klotz mit Tendenz zu einem miesen, feigen Arschloch und ich erkenne dich nicht wieder. Pfui Teufel, aber das ändert nichts daran, dass wir Gesche helfen müssen, egal wie.“

      „Ok, du bleibst bei ihr, hälst Wache und ich gehe zurück und rufe den Notarzt.“

      „Was, du willst mich allein auf der Insel zurücklassen, ich denke, wir machen das eher umgekehrt.“

      „Nee, kommt nicht in Frage,“ sagte Falk entschieden, „ich habe keine Lust mich hier erwischen zu lassen. Du vergisst, dass es verboten ist auf die Insel zu gehen und dass wir uns bei Kälte, Eis und Schnee zum Kaffeekränzchen verabredet haben glaubt uns wohl ohnehin kein Mensch. Womöglich werden wir noch verdächtigt, Gesche verletzt zu haben, danke, verzichte, ich gehe.“

      Nackte Panik kroch in Frauke hoch, je eher sie aufhörten sich zu streiten, desto schneller bekam Gesche Hilfe. Aber allein zurückbleiben, nein, das wollte sie keinesfalls, davor hatte sie einfach Angst. Womöglich kam der Schütze zurück. Sie schluckte und sagte kleinlaut:

      „Nein, warte bitte, wir packen Gesche so warm wie möglich ein und holen gemeinsam Hilfe. Ich....“, sie stockte, „ich...ähm, ich kann einfach nicht alleine hier bleiben, ich habe Angst. Bitte.“

      Falk versuchte sein kaltschnäuziges Verhalten zu relativieren und gab sich plötzlich jovial verständnisvoll. „Na also, geht doch. Komm'!“

      „Moment noch,“ Frauke schälte sich aus ihrem Daunenmantel und deckte ihre Schwester vorsichtig damit zu. Erst jetzt sah sie, das sich Gesches Mantel an der linken Schulter rötlich zu verfärben begann.

      „Mein Gott, sie blutet.“

      „Auch das noch,“ sagte Falk trocken und trug sich von Frauke einen weiteren ungläubigen Blick ein, „willst du doch hierbleiben und Gesches Händchen halten?“

      „Stinkstiefel, elendiger,“ schnell faltete Frauke ihren Schal zusammen, legte ihn auf die Wunde und küsste ihre Schwester auf die Stirn, außerdem stülpte sie Gesche ihre Mütze über den Kopf.

      „So Kleine, mehr können wir im Moment nicht tun, aber wir holen schnellstens Hilfe. Halt durch, bitte, bitte!“ flüsterte sie in Gesches Ohr.

      „Himmel, Arsch und Zwirn, komm' jetzt endlich, je eher wir losgehen, desto eher sind wir wieder zurück, wenn uns nicht noch jemand zuvor kommt,“ ungeduldig zog Falk seine Schwester mit sich und legte ihr den Arm um die Schultern, wieder ganz vermeintlich fürsorglicher Bruder.

      Frauke schubste den Arm von ihrer Schulter, diese vorgetäuschte Fürsorge von Falk konnte sie nach allem, was vorher passiert war, nicht ertragen, „lass' das jetzt, wer sollte uns denn zuvorkommen?“

      „Dann eben nicht. Hör mal gut zu, mein edles Schwesterlein. Vermutlich