Michael Stuhr

DAS GESCHENK


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bereden wir nur noch das Nötigste und verabreden uns für den nächsten Morgen um Neun.

      Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zurück zum Neptune, wo unsere Kinderzelte auf uns warten.

      Ich gehe ein Stück weit mit Felix zusammen über den nur schwach beleuchteten Campingplatz. „Wer ist der schöne Mann, nahe euch am Tisch?“, fragt sie mich plötzlich. „Er konnte nicht nehmen die Augen von dir.“

      „Was für ein Mann denn?“ Ich habe davon überhaupt nichts bemerkt.

      „Jung, schlank, hübsch, dark hair. Du hast ihn nicht gesehen?“

      „Äh, nein“, antworte ich. „Keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte.“

      „Es ist sicher, er mag dich. Hat dich gesehen und peng, er war hin. Er konnte nicht ignore you. Ich sah es.“

      „Wie willst du dir denn morgen deine Haare machen?“, lenke ich ab. Natürlich bin ich neugierig, wer das wohl gewesen sein könnte, aber schließlich will ich morgen Miss-Teen-Beach werden, das geht jetzt vor. Also rede ich mit Felix über Frisuren und Kleidung, bis wir uns in der Mitte des Campingplatzes trennen.

      Die Nacht ist schrecklich. Ich wälze mich auf meiner Luftmatratze hin und her. Was muss ich morgen machen? Auf was habe ich mich da eingelassen? Mit den anderen zusammen schien ja alles noch ganz einfach, aber jetzt hier so ganz allein im Zelt sieht das schon anders aus. Nebenan liegt mein leise schnarchender Bruder in seiner Schlafkabine. Der ist mir im Moment auch keine große Hilfe beim Einschlafen.

      Was, wenn die anderen nun alle die passenden Schuhe finden? In meiner Größe werden auf dem ganzen Campingplatz keine aufzutreiben sein, da kann selbst Monsieur Bardane nicht helfen. Ich habe Schuhgröße 42! Und dann auch noch singen! Was soll ich denn bloß singen? Mir fällt kein passender Titel ein, bei dem ich irgendwie überzeugen könnte. Obwohl ich zu Hause im Schulchor mitsinge, habe ich überhaupt kein Vertrauen in meine Stimme als Solosängerin. Was für einen Titel soll ich nehmen, mir fällt absolut nichts ein und in einem dieser Halbträume, wie sie manchmal kurz vor dem Einschlafen kommen, sehe ich mich unbeholfen barfuß über den Catwalk stolpern und ins Publikum kotzen.

      Schweißgebadet fahre ich hoch. - Nein Lana, das war nur ein Traum, versuche ich mich zu beruhigen.

      Wieder wälze ich mich hin und her und das Geratter in meinem Kopf hört nicht auf: Ich bei einer Miss-Teen-Beach-Wahl! Einen Moment lang will die alte Panik wieder nach mir greifen:

      Es gab da zwei drei Jahre, in denen die Ferien ein echtes Problem für mich waren. Besonders unsere alljährlichen Familienurlaube hier am Strand von Port Grimaud waren der reinste Horror. Es ist nun mal nicht einfach, wenn man sich als hässliches Entlein im Pfauengehege fühlt.

      Hier sind nämlich die hübschesten Mädchen bloß mit einem Tanga-Slip bekleidet am Strand und im Wasser unterwegs, und wenn man sie so ansieht, bleiben eigentlich kaum noch Fragen offen. Genau da liegt – oder besser lag – mein Problem. Ich dachte nämlich eine zeitlang, dass ich da irgendwie mithalten müsse und dazu fühlte ich mich absolut nicht in der Lage.

      Ich war immer schon ziemlich groß für mein Alter und sehr schlank, wenn man es nett ausdrücken will. Dürr hätte es eher getroffen und da nützen einem auch die längsten Beine nichts, ganz im Gegenteil. Es tut der Seele nun mal nicht gut, wenn man vom eigenen Bruder - der kleinen Ratte – jahrelang Storch gerufen wird. Dazu kommen dann noch meine hellblonden Haare, die ich brünett viel hübscher finden würde und meine helle Haut, die absolut keine Sonnenbräune annehmen will.

      Und dann auch noch das Oberteil-Problem: Hier an der Côte d’ Azur ist es eher üblich, keines zu tragen. Was mich anging, hätte ich damit kein Problem haben sollen, denn bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu verbergen. Während andere Mädchen schon aussahen wie richtige Frauen und mit den Jungs am Strand rumalberten, hockte ich mit Oberteil oder T-Shirt abseits und hoffte, dass man wenigstens vermutete, ich könnte so etwas wie einen Busen haben. Noch schrecklicher wurde es aber, als sich dann endlich wirklich was tat. Plötzlich hatte ich das Gefühl, alle würden nur in meine Richtung starren.

      Am liebsten hätte ich mich vor der ganzen Welt versteckt. Ich war mir vorgekommen wie das Beutetier bei einer Treibjagd. Ich war einfach noch nicht bereit dafür gewesen, die Aufmerksamkeit zu genießen, die man einer jungen Frau entgegenbringt, und jeder Kontakt mit einem Jungen hatte mich zur knallroten, stotternden Idiotin werden lassen.

      Na, ja. Immerhin nenne ich nun einen halbwegs respektablen Busen mein eigen und mittlerweile habe ich begriffen, dass das nichts Besonderes ist und dass alle Frauen so was haben – sogar größer – wie mein charmanter Bruder mir mal meinte mitteilen zu müssen. Danke dafür! Da war ich dann gleich wieder zwei Tage lang mit Oberteil unterwegs gewesen, was niemand verstand, außer Didier - der kleinen Ratte - und mir.

      Ganze zwei Nächte habe ich deswegen geheult, aber dann, am zweiten Morgen, kam eine andere Lana aus dem Kinderzelt. Es war nicht mehr die, die am Abend verzagt und voller Selbstzweifel auf ihre Luftmatratze gekrochen war, sondern eine, die bereit war, es mit der Welt aufzunehmen. Niemand – ich wiederhole: niemand wird mir je wieder einreden, dass ich nicht mithalten kann. Ich bin so wie ich bin, und so wie ich bin ist es gut!

      Okay, damals hatte ich aus der Wut heraus eine ganze Menge Schub entwickelt, von dem dann wieder Einiges verloren ging, aber mittlerweile habe ich wirklich ein ganz gutes Verhältnis zu meinem Körper entwickeln können. Vor allem hängt das damit zusammen, dass ich im Besitz eines Gutachtens bin, das ich von Hervé, einem Jungen von meiner Schule bekommen habe. Wir waren eine zeitlang zusammen und er hatte es mich spüren lassen, dass er mich wirklich anziehend findet.

      Etwas zu anziehend dann zuletzt. Schon bald wollte er mehr, als ich im Moment zu geben bereit war, und ich fürchte, er ist immer noch ein wenig beleidigt. Trotzdem war es eine schöne Zeit, und was immer auch passiert: zusammen mit Hervé habe ich viel über meinen Körper erfahren.

      Das Oberteil-Problem hat für mich also keine Bedeutung mehr, und ich kleide mich im Urlaub so, wie mir im Moment zumute ist, und wie es meiner Meinung nach gerade passt. Und jetzt soll ich mich aufbrezeln, um möglichst vielen Leuten zu gefallen. Felix hat schon Recht: das ist ein ziemlich komischer Gedanke. Am Strand laufe ich den ganzen Tag lang rum, wie die Freundin von Tarzan, und jetzt kommen die Leute, um mich im Badeanzug zu sehen. Irre!

      Trotzdem, ich werde es versuchen! Was habe ich schließlich zu verlieren, außer meinem Ruf, meinem Stolz und meiner Würde? Mit diesem tröstlichen Gedanken schlafe ich endlich ein.

      06 SILBERPERLEN

      Die frühe Morgensonne brach durch die gläsern scheinende Wasseroberfläche und warf durch die Schatten der kleinen Wellen tanzendes Licht auf den sandigen hellen Meeresboden. Es war die schönste Stunde des Tages. Nichts störte die Stille des Meeres. Nur das gedämpfte Tuckern eines eilig in den heimatlichen Hafen zurückkehrenden, kleinen Fischerboots drang bis in die Tiefe. Er liebte diese Momente, bevor der Tag wirklich begann.

      Sacht schwebte er in dem noch morgendlich kühlen Wasser dahin, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Ufer wahrnahm. Schnell tauchte er tiefer hinab, schob sich hinter die Felsen und sah - sie. Die Reflexe auf der leicht bewegten Wasseroberfläche konnten seinen geübten Blick nicht täuschen. Es war das Mädchen aus dem Restaurant.

      Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, tastete sie sich bis zur Taille ins Wasser. Ihre Zehen spielten leicht im Sand. Silbrige Sandkörner stiegen dabei auf und lockten einen Schwarm kleiner Fische an. Während ihre schlanken, feingliedrigen Hände die Wasseroberfläche in Tausende von Lichtreflexionen zerteilten, schritt sie langsam voran. Feine Sandfontänen stiebten vor ihren Füßen auf und glitzerten in der sachten Morgensonne, während sie langsam wieder zu Boden sanken. Stille umgab sie, während sich an ihrem Körper Millionen von kleinen schimmernden Luftbläschen bildeten die an ihr hafteten wie ein schillernder Anzug, der das Licht der Sonne in allen Farben brach.

      Sie wippte leicht mit den Zehen. Das geflochtene, dünne Lederbändchen an ihrer Fessel rutschte bei dieser Bewegung