Michael Stuhr

DAS GESCHENK


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ihm ein Papiertaschentuch.

      Der Mann presste das Tuch an sein Gesicht und gab dem DJ mit der freien Hand ein Zeichen. Die Lautstärke wurde heruntergefahren und New York, New York erklang aus den Lautsprechern.

      Die Menschen an den Tischen wandten sich von der Bühne ab und begannen, den Vorfall zu bereden, während Adriano und seine Leute den Strand verließen. Niemand machte auch nur den geringsten Versuch, ihn aufzuhalten. Dieser junge Krieger hatte offenbar ziemlich heißes Blut, und keiner von ihnen hatte Lust, sich auch noch einen Schlag auf die Nase einzufangen.

      Ein paar Leute drängten sich zwischen den Stühlen hindurch und besetzten den überraschend frei gewordenen Tisch. Das erste Mädchen kam hinter dem Vorhang hervor und ging den Catwalk entlang. So langsam bewegte sich wieder alles im Rahmen der Normalität. Nur das plötzlich ertönende dumpfe Wummern eines Automotors auf dem Parkplatz ließ erahnen, dass Adriano und seine Clique das Feld räumten. Zwischen den Stämmen der Pinien hindurch war zu erkennen, dass ein schwarzer Geländewagen sich mit grollender Maschine durch die Parkreihen schob. Direkt dahinter fuhr ein roter Kleinwagen älteren Baujahrs.

      Plötzlich gab der Fahrer des Geländewagens Vollgas. Die Räder drehten durch und eine Staubwolke wirbelte auf. Wie von der Sehne geschnellt schoss das schwere Fahrzeug auf die Ausfahrt zu und prallte dort um ein Haar mit einem Wohnmobil zusammen, das gerade auf den Parkplatz einbog.

      Eben noch war die Strecke völlig frei gewesen und plötzlich kam da dieses schwerfällige WoMo um die Ecke geschaukelt. Laut fluchend riss Adriano den Wagen nach rechts, trat voll auf die Bremse und kam quer zur Fahrtrichtung genau zwischen dem Zaun des Parkplatzes und einem Pinienstamm zum Stehen. Als eines der Mädchen auf dem Rücksitz erschreckt aufschrie, war alles schon vorbei.

      Der Fahrer des Wohnmobils hatte überhaupt noch nicht reagiert. Erst als der rote Nissan Sunny aus der Staubwolke kam und ebenfalls auf ihn zu schoss, trat er auf die Bremse. Keine Sekunde zu früh, denn der Nissan kam nur knapp einen halben Meter vor der Stoßstange des WoMos zum Stehen.

      Das Mädchen am Steuer des kleinen Wagens legte ohne Zeit zu verlieren den Rückwärtsgang ein und machte Platz, sodass das Wohnmobil wieder anfahren und behäbig weiterschaukeln konnte. Es war ja niemandem was passiert. Wozu also aussteigen und diskutieren?

      Kaum war der Weg wieder frei, kam Adrianos Wagen rückwärts aus dem Gebüsch geschossen, und die Fahrt ging weiter, als sei sie nie unterbrochen worden. Adriano ließ das schwere Fahrzeug den engen Schotterweg so schnell entlang schießen, dass es in den Biegungen fast ins Schleudern geriet.

      „Mann, fahr doch mal langsamer!“, beschwerte sich das Mädchen, das eben aufgeschrien hatte. Es war Adrianos Tanzpartnerin vom Strand.

      Urplötzlich trat Adriano voll auf die Bremse, sodass der Wagen auf dem knirschenden Schotter schlingernd zum Stehen kam.

      „Raus!“, war alles, was er sagte.

      „Aber ich habe doch nur ...“, versuchte das Mädchen zu protestieren.

      „Raus!“, wiederholte Adriano mit ruhiger Stimme. „Oder soll ich dir helfen?“

      „Dreckskerl!“, sagte das Mädchen ohne besonderen Nachdruck in der Stimme. Es klang mehr wie eine Feststellung. Es griff nach dem Türöffner und war blitzschnell aus dem Wagen, der sofort wieder anruckte.

      Der kleine Nissan kam heran und stoppte. „Was ist los?“, wollte die Fahrerin wissen.

      „Der spinnt total!“, stieß das Mädchen hervor. „Wenn er sich umbringen will, dann soll er das mal alleine machen. Ich bin raus!“

      „Nun fahr endlich weiter!“, forderte der Junge auf dem Beifahrersitz.

      „Willst du mit?“, bot die Fahrerin dem Mädchen an. „Wir rücken ein bisschen zusammen, dann geht’s.“

      „Komm, los, weiter!“, kam es vom Rücksitz.

      „Lass nur“, winkte das Mädchen ab, „ich geh zum Zelt.“ Den zweiten Teil des Satzes hörte die Fahrerin aber schon nicht mehr. Schließlich hatte Adriano gesagt, dass er sie alle zu einem Yachtausflug einladen wolle, und der Geländewagen hatte schon wieder einen gehörigen Vorsprung. Dass Adriano keine Minute auf sie warten würde, wenn sie sich verspäteten, war allen im Wagen klar, also mussten sie sich beeilen. Wann hatte man schließlich mal die Gelegenheit, an Bord einer Zwanzigmeteryacht über das Mittelmeer zu rauschen?

      „Meinen Glückwunsch zum neuen Lebensjahr“, begrüßte Adriano seine Schwester, die auf der breiten Rundcouch lag und auf den großen Flachbildschirm schaute, der in einer Ecke des Salons angebracht war. Die Killerbee, Dolores´ Yacht, war in jeder Beziehung mit der neuesten Technologie ausgestattet.

      „Adriano!“ Die junge Frau auf der Couch richtete sich auf und schaltete den Fernseher aus. „Ich hab schon gedacht, du kommst nicht mehr. Hast du mir was mitgebracht?“

      „Sei nicht so gierig!“ Adriano strich die schwarzen, lockigen Haare seiner Schwester zu Seite und hauchte ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Stirn. „Sag mal: wie alt wirst du heute eigentlich? Ich hab’s vergessen.“

      „Werd nicht eklig!“

      Es klopfte, die Tür öffnete sich einen Spalt weit und der Kopf eines jungen Manns erschien. „Ich wollte nur fragen ...“

      „Verpiss dich!“ Adrianos Kopf ruckte herum.

      „’tschuldigung.“ Der Kopf verschwand und die Tür schloss sich wieder.

      „War das mein Geschenk?“, wollte Dolores wissen. „Der sieht ja richtig süß aus. Ist der Körper genauso hübsch wie der Kopf?“

      „Nimm ihn dir!“, lachte Adriano. „Nimm dir, wen du willst und nasch ein wenig dran rum. Du wirst mit allen zufrieden sein.“

      „Nur naschen?“ Dolores tat enttäuscht. „Wieder nur Häppchen? Ich müsste langsam mal wieder richtig volltanken.“

      „Hör auf zu quengeln“, grinste Adriano, nahm eine CD aus dem Regal und betrachtete das Cover. „Bleib du bei deinen Häppchen, die halten dich genauso frisch.“

      „Machen aber nicht satt“, nörgelte Dolores weiter. „Schau mal hier: Schon wieder eine neue Falte!“, dabei zeigte sie mit dem Finger auf ihren makellos glatten Augenwinkel. Sie sah bestenfalls aus wie zwanzig, eher jünger.

      „Oh je, du wirst alt“, stellte Adriano fest, ohne überhaupt hinzusehen. Gelangweilt schob er die CD wieder zurück an ihren Platz.

      „Ja!“, bestätigte Dolores mit jämmerlicher Stimme. „Hilf mir!“

      „Du nervst!“ Adriano verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse.

      „Dann hilf mir und ich gebe Ruhe. Schenk mir einfach den Jungen oder meinetwegen auch ein Mädchen!“

      „Wag es nicht, dich selbst zu bedienen!“, warnte Adriano, ohne sich zu ihr umzudrehen. Man hat uns alle zusammen gesehen. Wir könnten auffallen.“

      „Und wenn ich es doch tue?“ Dolores sah ihren Bruder mit einem lauernden Lächeln an.

      „Ich warne dich!“ Adriano fuhr zu ihr herum. „Mach besser keinen Fehler! Ich bin hier der Boss! Denk immer daran, und denk an die Sweetwater-Bay. Da kommen wir beide nämlich hin, wenn du so weitermachst!“

      „Jetzt spiel dich bloß nicht so auf, bloß weil du älter bist.“

      „Das ist nun mal so!“

      „Gerade mal hundertdreißig Jahre, was ist das schon?“

      „Wegen dieser hundertdreißig Jahre hast du die Revolution versäumt“, stellte Adriano grinsend fest und fuhr spielerisch mit dem Finger über den Fensterrahmen. „Schade! Das war schon ein besonderer Moment, als Marie Antoinettes Kopf in den Korb plumpste. Ich hatte einen Platz direkt in der ersten Reihe und habe sogar ein paar Spritzer ihres Bluts abbekommen.“

      „War’s lecker?“

      „Sie