Michael Stuhr

DAS GESCHENK


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dafür bekommen wir einen Button, auf dem in pinkfarbener Schrift auf knallblauem Grund Miss-Teen-Beach-Competition steht. Darunter ist eine Nummer aufgedruckt.

      So geschmückt begeben wir uns zu der ziemlich großen Gruppe der anderen Teilnehmerinnen, die bereits im Schatten des Bühnenaufbaus warten. Keine Minute zu früh, denn von einer jungen Frau werden uns dort im Schnellverfahren die Spielregeln und der Ablauf der ganzen Veranstaltung erklärt: Als erstes steht der Catwalk im Badeanzug auf dem Programm, dann Karaoke, dann die Präsentation von Freizeitklamotten, dann ein kleiner Intelligenztest und ganz zum Schluss müssen wir uns nach Musik tänzerisch bewegen. „Alles klar?“, fragt sie uns mit einem Blick, der jede Frage sofort im Keim erstickt.

      „Alles klar!“ Stolz klettern wir auf die Bühne. Ich drehe mich um und falle fast in Ohnmacht.

      Steht man unten in der Menge, fällt es gar nicht so auf, aber von der Bühne, über die wir zur Garderobe gehen, hat man den besseren Überblick. Es müssen an die tausend Leute sein, die da unten bei Lautsprechermusik auf den Beginn der Veranstaltung warten, und es kommen über den Strand immer noch welche dazu.

      Ich muss schlucken. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Offen gestanden hatte ich überhaupt nicht darüber nachgedacht, aber ist ja klar: Deswegen läuft die Show ja, damit die Leute was zu schauen haben.

      Da soll ich gleich im Badeanzug raus? Im Moment wünsche ich mir nichts mehr, als im Winter bei einer Skimodenschau zu sein. Im Val-d’Isère zum Beispiel oder in Annecy.

      Etwas verzagt gehe ich hinter den anderen her, ohne auf die Mädchen vor mir zu achten. Plötzlich gerate ich ins Gedränge. Wir alle wollen auf einmal durch den schmalen Spalt im Vorhang, der die Bühne nach hinten abschließt.

      Höflich, wie ich bin, lasse ich den anderen den Vortritt und sehe mich nochmals um. Das ist ein Fehler, denn plötzlich sind alle weg. Ich stehe allein vor dem geschlossenen Vorhang auf der Bühne und finde den Spalt nicht, der mich vor den 1000 Augenpaaren in meinem Rücken rettet. Hektisch taste ich die Falten ab, um bitte endlich zu verschwinden, am besten ganz plötzlich, so wie in einer Zaubershow.

      Als es mir schließlich gelingt, den Durchschlupf zu finden, komme ich vor lauter Glück ins Stolpern und muss mich mit meinem vollen Gewicht am Vorhang festhalten. Der Stoff knackt gefährlich. Ich schwinge wie Tarzans Braut hinter die Bühne und bin endlich in Sicherheit. Und wer steht vor mir auf der breiten Treppe, die hinunter ins Garderobenzelt führt? Celine! Sie grinst, dreht sich um und geht kommentarlos. Ich brauche auch keine nähere Erklärung, ich hab es auch so verstanden: Ist schon klar! Auch Trampel dürfen sich bewerben. Vive la démocratie! Wo bin ich hier nur reingeraten? Eigentlich will ich mich nur noch irgendwo verkriechen.

      08 DOLORES

      An einem der Tische, die entlang des Catwalks aufgestellt waren, brach schallendes Gelächter los. Adriano hielt es mal wieder für nötig, eine seiner berüchtigten Sondervorstellungen zu geben. Er stand grinsend vor dem Tisch, rief „Hört doch mal zu! Hört doch mal zu! Jetzt kommt’s!“, hob beide Arme und machte ein paar tänzerische Bewegungen. Er hatte dem DJ am Rand der Bühne eine CD und einen Geldschein gegeben und jetzt kam der ganze Strand in den höchst fragwürdigen Genuss, über die Lautsprecheranlage die Musik zu hören, die Adriano gut fand.

      Die CD war von einer namenlosen Gruppe aufgenommen worden, die populäre Hits mit grottenschlechten, eigenen Texten auf witzig umgestrickt hatte. Da wurde ein romantischer Ausflug mit der Freundin zur Powershoppingtour aus Macho-Sicht und die von Adriano angekündigte, gute Stelle entpuppte sich als der Refrain, in dem von einer blöden Schlampe die Rede war. Im nächsten Titel musste ein Mann zur Melodie eines alten Stones-Hits vor der verschlossenen Toilettentür ein wenig zu lange warten, und die Sache ging schlecht aus. Die dritte Nummer basierte auf einer Walzermelodie und handelte von einem Mädchen, das bei einem Treffen mit ihrem Freund alles falsch macht. - Immer hart an der Grenze zur Obszönität.

      Am Tisch saßen ein paar der üblichen Mitläufer, mit denen sich Adriano so gerne umgab. Junge, hübsche Leute, die er auf den Campingplätzen in der Umgebung aufgelesen hatte, und die bereit waren, über jeden Blödsinn, den er so von sich gab, zu lachen. Es waren größtenteils junge Zelttouristen, und dass sie eine zeitlang an Adrianos Lebensstil ein wenig teilhaben durften, machte sie gefügig. Schließlich war das hier ein extrem teures Pflaster und Adriano war alles andere als knauserig. Er schmiss eine Runde nach der anderen. Seine Partys waren legendär, und wen er besonders gut leiden konnte, dem konnte es durchaus passieren, dass er sich am Steuer eines Leih-Ferrari für fast tausend Euro Tagesmiete wiederfand. Auf so einen Tagesausflug mit Adriano waren all seine Gäste ganz versessen.

      Adriano machte dabei keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, Hauptsache sie entsprachen dem eher südländischen Menschentyp, so wie er selbst. Das hatte ihm hier an der Côte d’ Azur einen gewissen Ruf eingebracht, den er gerne pflegte und immer wieder bekräftigte. Gegen ihn wirkten die Playboys des vergangenen Jahrhunderts mit all ihren Skandalen wie brave Schäfchen, und er war immer wieder bemüht, möglichst noch eins draufzusetzen.

      Während der Kellner eine neue Runde Longdrinks für alle brachte, zog Adriano eines der Mädchen vom Stuhl hoch und machte ein paar schnelle, elegante Tanzschritte mit ihr. Das Mädchen kam dabei nicht mit, verhedderte sich irgendwie und kam ins Stolpern. Alle am Tisch brüllten vor Lachen und Adriano grinste mit einem Zwinkern beifallheischend in die Runde. Er verlangsamte das Tempo und jetzt klappte es besser. Nebenbei brachte er es auch noch fertig, dem Kellner einen Hunderter in die Brusttasche seines Sakkos zu stecken und abzuwinken, als dieser das Wechselgeld herausgeben wollte. Der Mann verbeugte sich knapp mit unbewegtem Gesicht und wandte sich dem Nachbartisch zu.

      Adriano hatte das Mädchen mit seiner Tanzeinlage inzwischen völlig in Besitz genommen, anders konnte man es nicht nennen. Er führte nicht nur, man konnte es förmlich sehen, wie er das Mädchen unter seine Gewalt brachte. Es wirkte, als würde ein junges, kleines Kätzchen mit einem ausgewachsenen, schwarzen Panther tanzen. Die Menschen an den Tischen rundum wurden aufmerksam.

      Adrianos Gesicht strahlte eine tierhafte Wildheit aus, als er das Mädchen auf engstem Raum fest umschlungen hielt und herumschwenkte. Es machte ihm Spaß, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Sein strahlend helles Raubtiergebiss blitzte zwischen seinen vollen Lippen hervor und er fing an, laut mitzusingen: „Und da nahm sie seinen ...“

      Plötzlich brach die Musik ab und alle Augen richteten sich auf die Bühne. Einer der Organisatoren der Misswahl hatte wohl bemerkt, dass das Vorprogramm musikalisch etwas aus dem Ruder lief und diskutierte nun lebhaft mit dem DJ. Der kramte hastig eine andere CD aus seinem Bestand und legte sie ein.

      Adrianos Gesicht verfinsterte sich und das Lächeln erlosch wie ausgeknipst. Ohne einen Moment zu zögern ließ er das Mädchen los, drehte sich um, flankte auf den fast einen Meter hohen Catwalk und ging mit schnellen Schritten auf die beiden streitenden Männer zu.

      Mittlerweile kam wieder einer der ruhigen, fast schon seichten, typischen Vorprogrammsongs aus den Lautsprechern, so konnte man nicht verstehen, was auf der Bühne gesprochen wurde. Dass es aber nicht gerade ausgesuchte Höflichkeiten waren, die Adriano den beiden Männern an den Kopf warf, war deutlich zu sehen. Der DJ hielt ihm seine CD hin, aber Adriano schlug ihm die silbrig glänzende Scheibe aus der Hand, so dass sie in hohem Bogen über den Bühnenrand hinausflog und im Sand landete.

      Die Diskussion wurde immer hitziger, die Gesten immer aggressiver. Der Manager zeigte Adriano mit einer Handbewegung an, dass er die Bühne verlassen solle, und als der nicht sofort reagierte, machte er den Fehler, ihn ein wenig in Richtung der Laufstegkante zu schubsen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr ihm Adrianos Faust ins Gesicht.

      Der Mann taumelte zwei Schritte zurück und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Adriano wandte sich ab, sprang von der Bühne und gab seinen Leuten das Zeichen, ihm zu folgen.

      Einige schütteten noch hastig ihre Drinks in sich hinein, andere ließen ihre Gläser einfach stehen, aber alle standen auf und folgten ihm, als er den Strand verließ. Ein junger Mann hob mit verschämtem Grinsen die CD auf, wischte sie an seiner Kleidung kurz ab und folgte eilig der Gruppe.