er enttäuscht und niedergeschlagen wieder nach Hause. Oder besser gesagt, in Enios Zuhause; er selbst hatte nichts Eigenes.
Noch nicht!
Nach zwanzig Minuten betrat er wieder die prunkvolle Eingangshalle der Villa. Es war warm und es roch nach frischgebackenem Kuchen, allerdings war Alessandro die Lust auf Süßspeisen für heute vergangen. Er wollte lieber in sein Zimmer und schmollen.
Aber seltsam war es schon, überlegte er, während er die Treppe hinauf schlurfte. Es gab in dieser Stadt eigentlich nur zwei Orte an dem er ihn antreffen konnte. Alessandro hatte ihn Jahrelang beobachtet und wusste genau, wo er, wann hinging. Morgens ging er joggen, meistens außerhalb der Stadt, er lief einige Kilometer, kam zurück und duschte, dann machte er sich auf zur Arbeit, dann war er im Büro oder mit seinem Wagen unterwegs, nach der Arbeit fuhr er in seine Wohnung und blieb dort, einkaufen ging er stets Samstags nach seiner Schicht. Er hätte also in seiner Wohnung sein müssen!
Gut, es war natürlich möglich, dass er beruflich unterwegs war, er saß ja nicht ständig im Büro, allerdings war es dennoch seltsam, das sein Wagen vor der Wohnung geparkt hatte.
Alessandro ließ die Treppe hinter sich zufallen und durchquerte den Flur. Er kam an Florenze Zimmer vorbei, dessen Tür offen stand.
Sich am Kopf kratzend trat Alessandro in den Rahmen und spähte vorsichtig in das dunkel eingerichtete Schlafzimmer. Wie alles im Haus seines Bruders, waren auch die Möbel in diesem Raum Antik. Alles war altmodischelegant eingerichtet. Altmodisch im Sinne von dunklen, massiven Möbeln und kein Blümchenmusteraltmodisch.
Florenze saß im Schneidersitz auf der Matratze seines Doppelbetts und beugte sich über eine Vielzahl von Unterlagen. Alessandro konnte davon ausgehen, dass es sich dabei um diverse Polizeiakten hielt, die Florenze sich ungefragt angeeignet hatte. Der Kleine war ein Genie wenn es darum ging, an verschlossene Akten heran zu kommen. Was vermutlich daran lag, das er sich als ehemaliger Kommissar verdammt gut mit den Daten der Polizeicomputer auskannte. Er war wohl deshalb das nützlichste Mitglied hier.
Florenzes frührer Beruf war auch der Grund, weshalb Alessandro nun leise an den Türrahmen klopfte.
Überrascht blickte Florenze auf.
Alessandro grinste. »Störe ich?«
»Ein wenig«, gestand Florenz lächelnd. »Aber nicht schlimm.«
»Ich habe nur eine kurze Frage.«
Florenze lehnte sich zwar wieder über seine Unterlagen, forderte aber Alessandro auf: »Dann raus damit!«
»Sag mal ... du weißt nicht zufällig was Kommissar Koch im Moment so treibt, oder?«
»Norman Koch?« Florenze sah zu Alessandro auf. »Nein. Wieso? Macht er dir wieder Probleme?«
Alessandro schüttelte den Kopf und senkte den Blick. »Nein ich ... ich will ihn einfach nur im Auge behalten. Sicher ist sicher.«
Florenze nickte verständlich, sagte jedoch: »Versuch am besten einfach, ihm aus dem Weg zu gehen. Der Kerl scheint geradezu besessen von dir zu sein, irgendwann sind auch unsere Mittel erschöpft. Wir können dich nicht jeden zweiten Monaten vor einer Verurteilung bewahren, irgendwann fällt es auf.«
»Deshalb will ich ihn ja im Auge behalten«, warf Alessandro ein, »damit ich ihm aus dem Weg gehen kann.«
Einen momentlang betrachtete Florenze Alessandro noch mit kühlen Augen, aber schließlich nickte er knapp und widmete sich wieder den illegal beschafften Akten.
Alessandro war wegen des Gesprächs noch enttäuschter als zuvor, weil nichts dabei heraus gekommen war. Er drehte sich mit hängenden Schultern um und wollte gehen.
»Wir haben ihn beobachtet und selbst im Auge behalten«, erklärte Florenze plötzlich.
Alessandro versuchte, nicht allzu interessiert zu sein, als er sich noch einmal halb zu Florenze umwandte und ihn ansah.
Ohne aufzublicken erzählte Florenze: »Dein Bruder war besorgt, weil Koch so hartnäckig war, aber das hörte auf, nachdem du verschwunden warst. Offenbar hat der Bulle weniger ein Interesse an uns als an dir. Das ist für uns zwar beruhigend, für dich jedoch nicht.«
Alessandro rutschte das Herz in die Hose. »Habt ihr ihn ...«
»Wir haben seine beruflichen Aktivitäten durch Maulwürfe überwachen lassen«, wich Florenze der Frage aus, »vor einigen Monaten bekamen wir die Information, dass er vorübergehend als Sonderermittler eingesetzt wird.«
»Und das heißt?«, fragte Alessandro und versteckte seine tiefe Erleichterung darüber, das Enio den Kommissar nicht umgebracht hatte.
Florenze antwortete gelassen: »Das er vorübergehend weg ist. Wir wissen leider nicht wo und wir wissen auch nicht, was er gerade tut. Unsere Informanten konnten nicht mehr herausbekommen, was bedeutet, dass wirklich nur wenige wissen, was Koch gerade macht.«
Ob er noch in der Stadt ist?, fragte sich Alessandro insgeheim.
Er nickte Florenze zu und sagte: »Danke.« Dann wandte er sich ab und ließ den anderen alleine.
Jetzt war Alessandro jedoch noch geknickter als zuvor. Er hatte wirklich gehofft, wenigstens sein altes »Tänzchen« mit dem Kommissar wieder aufnehmen zu können.
Aber irgendetwas sagte Alessandro, das Koch nicht fort war. Es war eine Art Intuition, die ihm sagte, dass der Bulle noch in der Stadt war. Die Frage war nur wo.
Alessandro war fest entschlossen, ihn zu finden, sollte er irgendwo dort draußen sein. Wie schwer konnte es schon werden, einen Mann in einer Stadt wie dieser ausfindig zu machen?
Außerdem war Alessandro ein Meister darin, Menschen aufzufinden, es gehörte schließlich zu seinem Beruf, Personen zu finden, die nicht gefunden werden wollte.
Und er würde Koch schon aufspüren, das schwor er sich.
***
Sie wusste nicht, ob sie trotz der Schmerzen vor Erschöpfung eingeschlafen war oder ob sie wegen der Schmerzen einfach nur zeitweise das Bewusstsein verlor.
Mona hatte jegliches Zeitgefühl verloren, für sie vergingen Sekunden wie Minuten und Minuten wie Stunden. Sie wünschte, sie könnte erneut das Bewusstsein verlieren, aber ihr Wunsch wurde ihr verwehrt. Nun hielt der Durst sie unermüdlich wach. Und nicht nur das. Denn obwohl ihr übel war und sie nicht einmal an etwas Essbares denken konnte, spürte sie ihren leeren Magen. Kein Magenknurren. Nein, Mona hatte unerträgliche Schmerzen im Magen. Nie hätte sie gedacht, dass ein leerer Bauch eine solche Folter sein konnte.
Wie lange war sie schon hier? Wie lange war ihre Entführung her? Es fühlte sich wie Monate an, es waren vermutlich aber nur ein paar Tage.
Ein paar Tage ... und sie stand schon jetzt kurz vor dem kapitulieren.
Suchte denn keiner nach ihr?, fragte sie sich verzweifelt. Wo blieb die Rettung?
Die Tür schwang auf und Licht fiel kurz herein, während ihr Peiniger in den Raum trat. Sie hörte seine großen, lauten Schritte auf dem Boden. Seine eleganten Schuhe klackerten bei jedem Schritt. Er ging zur Neonlampe hinüber und machte das Licht an.
Mona zuckte zusammen. Das grellweiße Licht tat ihr in den Augen weh, die inzwischen nur völlige Dunkelheit gewöhnt waren.
»Wie geht es uns heute?«, hörte sie die verhasste Stimme höhnisch fragen. Er wusste ganz genau, wie schlecht es ihr ging.
Ihr war kalt, sie war dreckig und nass, sie stank, ihr war übel von ihrem eigenem Geruch, ihr Magen schmerzte, ihre Kehle fühlte sich wie Sandpapier an und ihr Mund war staubtrocken. Ihre Arme, an denen sie hing, spürte sie gar nicht mehr, aber nun, da sie durch das grelle Licht mehr sehen konnte, erkannte sie, das Blut an ihnen hinab rann. Frisches und getrocknetes Blut.
Sie ließ den Kopf kurz in den Nacken fallen und sah hinauf. Wie vermutet, hatten die Handschellen in ihre Gelenke geschnitten. Immer wieder sickerte neues Blut aus den Wunden und rann ihre Arme hinab. Es sammelte