Petra Gugel

Sirrah


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Puls brachten ihr das Bewusstsein viel zu schnell zurück. Zu den auf sie einstürmenden Gedanken gesellte sich auch die leidige Frage, was in aller Welt sie jetzt nur sagen sollte. Vermutlich war das der Grund, warum sich Verliebte so oft küssten. Man musste nichts sagen und konnte damit doch all das ausdrücken, wofür man keine Worte fand.

      „Kaum zu glauben, wie schnell das mit dem Wunsch funktioniert hat!“ Tihal lächelte Sirrah überglücklich an. Er sah aus wie ein Kind, das nach langer Zeit vergeblichen Wartens endlich das ersehnte Geschenk bekommen hat.

      „Ich darf doch, oder?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, legte den Arm um sie und lehnte mit einem zufriedenen Seufzer seinen Kopf an ihren.

      Verliebtsein ist ein schönes Gefühl, dachte Sirrah. Es fühlte sich wegen ihrer glühenden Wangen und dem Herzrasen zwar beinahe wie eine Krankheit an, nur dass sie von dieser Krankheit möglichst niemals geheilt werden wollte. Sie spürte seinen Arm an ihrer Taille und genoss das feurige Schauspiel der Meteoriten, die noch immer in der Atmosphäre verglühten.

      „Ich hoffe, dein Wunsch geht auch in Erfüllung“, flüsterte Tihal.

      Etwas in Sirrah verkrampfte sich. Tihal hatte von ihren Plänen keine Ahnung. Wie würde er reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie möglicherweise bald von hier wegging? In ihrer Vorstellung sah sie bereits sein unglückliches Gesicht. Ein wenig fühlte sie sich wie eine Verräterin.

      „Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Sirrah.

      „Keine Ahnung“, murmelte Tihal. „Wen interessiert das schon?“

      „Irgendwann muss ich nach Hause gehen!“

      „Aber jetzt doch noch nicht!“

      „Die anderen werden bestimmt schon auf mich warten. Glaub mir, es macht keinen guten Eindruck, wenn ich noch allzu lange hier bleibe. Ich kann mir die blöden Sprüche schon lebhaft vorstellen!“

      „Dann bleib hier und warte, bis alle schlafen. Oder geh erst nach dem Frühstück nach Hause. Ich würde sogar ausnahmsweise mein Bett mit dir teilen und versprechen, dass ich nicht schnarche!“

      „Du bist unmöglich!“

      Tihal grinste. „Was machst du morgen, hast du Zeit?“

      „Ich denke schon, wenn Isa wieder nach Hause gefahren ist. Und was ist mit dir, hast du gar nichts zu tun?“

      „Die Obsternte beginnt ja erst in paar Tagen. Und für dich habe ich immer Zeit!“

      Sirrah wand sich aus Tihals Arm. „Ich muss jetzt wirklich los!“

      Er fasste sie an der Hand. „Ich begleite dich noch ein Stück!“

      Sie machten sich auf den Weg und überlegten lachend, was Isa und Arneb wohl den ganzen Abend gemacht hatten.

      Vor dem Garten blieb Sirrah stehen. „Gute Nacht“, flüsterte sie. Sie wandte sich um, doch Tihal hielt ihre Hand fest.

      „Was ist denn?“

      Er fasste auch nach ihrer anderen Hand. „Du willst mich doch nicht schon wieder ohne Abschiedskuss stehen lassen?“

      Sirrah lächelte. „Du hast doch heute schon einen Kuss bekommen. Hat dir das nicht gereicht?“

      Tihal zog Sirrah näher zu sich heran. „Nein, hat es nicht!“

      Grinsend drückte ihm Sirrah einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.

      „War das etwa schon alles?“, fragte Tihal enttäuscht.

      „Dann hast du etwas, worauf du dich freuen kannst“, neckte ihn Sirrah. „Bis morgen, und träum was Schönes!“

      „Ich werde kein Auge zu bekommen!“ Nur widerstrebend ließ er ihre Hand los. „Also dann, bis morgen!“

      Kurz darauf hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.

      6. der Anschlag

      Irgendetwas war anders als sonst. Sirrah drehte sich auf die linke Seite. Isa lag neben ihr auf der Matratze und sah genauso unausgeschlafen aus, wie Sirrah sich fühlte.

      „Guten Morgen“, nuschelte Isa. Doch es war nicht die Anwesenheit ihrer Freundin, die Sirrah als ungewöhnlich empfand. Es war die Stille im Haus.

      Waren Arneb und Menkar womöglich noch im Bett? Sirrah schlich die Treppe hinunter. Doch, in der Küche rührte sich etwas!

      „Guten Morgen!“, rief Sirrah. „Warum seid ihr so still, hat es euch die Sprache verschlagen?“

      Arneb steckte den Kopf durch die Durchreiche. „Du wirst nicht glauben, was passiert ist! Es gab einen Anschlag, auf den Bahnhof in der Hauptstadt!“

      Das Blut wich aus Sirrahs Gesicht. „Ist Mutter etwas passiert?“ Dass jemandem aus ihrer Familie etwas zustoßen könnte, war ihr bisher noch nie in den Sinn gekommen.

      „Es geht ihr gut!“, beruhigte sie Menkar. „Sie hat mir vorhin eine Nachricht geschickt. Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis sie eine Zugverbindung bekommt!“

      Isa tappte im Schlafanzug die Treppe hinunter. „Gab es Verletzte?“

      „Zum Glück nicht. Die Explosion hat zwar die halbe Wartehalle verwüstet, es hat sich jedoch niemand dort aufgehalten.“

      Sirrah setzte sich an den Frühstückstisch, bekam jedoch nichts hinunter. Irgendetwas schnürte ihr die Kehle zu.

      Später überließ sie es Arneb, Isa zur Haltestelle zu begleiten. Sirrah setzte sich in den Garten und starrte wie hypnotisiert in Menkars Blumenbeet. Doch sah sie weder die zarten Blütenknospen noch hörte sie das Summen der Insekten. Alles verblasste hinter einer Frage: Warum in aller Welt zündete jemand einen Sprengsatz im Bahnhof?

      Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Adhara endlich nach Hause. Erst jetzt war Sirrah wirklich sicher, dass alles in Ordnung war.

      Der Druck in ihrer Kehle löste sich, und sie begrüßte ihre Mutter mit einer herzlichen Umarmung. „Schön, dass du wieder da bist!“

      „Wie habe ich denn das verdient?“, fragte Adhara.

      „Ich war so erschrocken, als mir Vater von diesem Anschlag erzählt hat!“

      „Du hättest dir keine Sorgen machen müssen!“ Adhara strich ihrer Tochter sanft über die Wange. „Ich habe davon kaum etwas mitbekommen. Der Sicherheitsdienst hatte schon alles abgeriegelt, bevor ich mich auf den Weg zum Bahnhof machte. Und die beiden Verrückten, die dafür verantwortlich sind, wurden bereits verhaftet. Lass uns also lieber über die guten Nachrichten reden: Ab morgen haben wir zwei Helfer für die Obsternte!“

      Adhara musterte ihre Tochter nachdenklich. „Willst du wirklich auf diese Raumfahrtakademie?“

      „Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche!“ Sirrah hielt den Atem an.

      „Du weißt, dass es mir lieber wäre, wenn du auf die Landwirtschaftsschule gehen würdest“, sagte Adhara. „Aber wenn dein Herz so sehr daran hängt, dann will ich deinen Wünschen nicht länger im Wege stehen. Nach der Obsternte werde ich eine Praktikantin anfordern, die uns hilft. Aber versprich mir, bis dahin noch einmal gründlich darüber nachzudenken. Du wirst uns hier nämlich sehr fehlen. Und ich meine damit nicht die Arbeit!“

      Sirrah traute ihren Ohren kaum. Ihr Herz machte einen Hüpfer, und in ihrem Kopf schwirrte es plötzlich wie in einem Bienenschwarm. Sie musste unbedingt mit den Prüfungsvorbereitungen beginnen. Sie musste sich über die Anmeldung informieren. Sie musste mindestens tausend Sachen erledigen! Sirrah machte den Mund auf und klappte ihn wieder zu. Wenn sie jetzt etwas sagte, würde sie vor Freude anfangen zu heulen. Stattdessen fiel sie Ihrer Mutter wortlos um den Hals.

      „Zuerst gibt es jedoch noch eine Menge zu tun!“ Adhara löste sich sanft aus Sirrahs Umklammerung. „Geh bitte zu Mizar und sag ihm, dass er morgen die beiden Erntehelfer einquartieren muss. Außerdem soll er die Baumrüttler