Petra Gugel

Sirrah


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Glaubst du etwa diese Gerüchte über Tihal?“

      „Keine Ahnung.“ Sirrah zuckte ratlos mit den Schultern. „Übrigens hat er mich gefragt, ob ich heute Abend mit ihm zusammen die Meteoriten beobachten möchte.“

      „Und, gehst du?“

      „Ich weiß auch nicht. Irgendwie geht mir das alles zu schnell!“

      „Du solltest endlich herausfinden, was du für ihn empfindest!“

      „Wäre es sehr unhöflich von mir, dich abends mit Arneb allein zu lassen?“

      Isa kicherte. „Ich werde mich schon nicht langweilen!“

      Die Mädchen beschlossen, mit dem Lernen aufzuhören. Draußen dämmerte es bereits, und Isas Magen knurrte.

      „Sehen wir nach, wie weit das Abendessen ist“, schlug Sirrah vor. „Arneb hat bestimmt was Leckeres für dich gezaubert!“

      Sirrah lag mit ihrer Vermutung richtig. Ihr Bruder hatte bereits den Tisch gedeckt, und aus der Küche drang ein verführerischer Duft.

      Nach dem Hauptgang setzten sich alle auf die Terrasse, wo Arneb den Nachtisch servierte. Er brachte ein großes Tablett voller Törtchen, die er liebevoll mit Früchten und Streuseln garniert hatte.

      „Isa, du kannst gerne öfter zu uns kommen“, sagte Menkar lächelnd. „Sonst ist Arneb nämlich nicht so fleißig. Da muss man ihm in den Hintern treten, damit er wenigstens einen einfachen Rührkuchen macht!“

      Arneb überhörte die Bemerkung seines Vaters. Er setzte sich neben Isa auf eine Gartenbank und warf ihr verliebte Blicke zu, während sie seine Backkünste lobte.

      „Die sind wirklich nicht übel!“, sagte Sirrah nach dem dritten Törtchen. „Falls ihr beide einmal heiraten solltet, wird Isa auseinandergehen wie Brotteig!“

      „Das glaube ich kaum. Sie ist nämlich nicht so verfressen wie du!“, stichelte Arneb.

      „Du solltest endlich lernen, die Klappe zu halten. Sonst wirst du nie ein perfekter Ehemann, und Isa lässt dich sitzen!“

      „Könnt ihr euch nicht einmal vertragen?“, stöhnte Isa.

      Sirrah grinste. „Du möchtest doch gerne zu dieser nervtötenden Familie gehören. Also gewöhne dich lieber gleich dran!“

      Inzwischen war es dunkel geworden. Sirrah stand auf und begann, im Dielenschrank zwischen Schuhen und Putzmitteln herumzuwühlen. Eine Metalldose fiel scheppernd zu Boden. Sirrah fluchte leise. „Wo habt ihr nur wieder die Taschenlampe hingeräumt?“

      „Die muss irgendwo im Schrank sein!“, rief Menkar aus dem Garten. „Wozu brauchst du sie?“

      „Tihal hat mich eingeladen.“

      „Ausgerechnet heute, wo deine Freundin zu Besuch ist?“

      Sirrah war endlich fündig geworden und probierte die Lampe aus. „Arneb ist ja da. Isa fühlt sich also bestimmt nicht einsam!“

      „Aber du anscheinend“, bemerkte Arneb grinsend.

      „Das geht dich gar nichts an!“ Sirrah verdrehte die Augen. „Außerdem ist es nur ein Besuch aus reiner Höflichkeit!“

      „Ich wünsche dir trotzdem einen schönen Abend!“, sagte Menkar lächelnd.

      Sirrah knipste seufzend die Lampe an und machte sich auf den Weg. Warum musste diese Familie sich nur ständig in alles einmischen? Hin und wieder wäre es wirklich praktisch, Einzelkind und Halbwaise zugleich zu sein.

      Mit flotten Schritten marschierte Sirrah über das abgeerntete Feld. Bald tauchten im Schein ihrer Lampe die ersten Obstbäume auf, und fünf Minuten später hatte sie Mizars Haus erreicht.

      „Schön, dass du uns besuchen kommst!“, sagte Mizar. „Möchtest du eine Tasse Tee?“

      Sirrah stieg die wenigen Stufen zur Veranda hinauf. „Ja, gern!“

      Mizar verschwand im Haus, und Sirrah setzte sich neben Tihal auf Mizars selbst gezimmerte Holzbank.

      Tihal grinste über das ganze Gesicht. „Ich wusste, dass du mir nicht widerstehen kannst!“

      „Bilde dir bloß nichts ein!“ Sirrah verspürte den Wunsch, ihm wie eine Vierjährige die Zunge herauszustrecken. „Ich komme nur, weil ich nicht dabei zusehen möchte, wie Arneb und Isa sich anhimmeln!“

      „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dich ein bisschen anhimmle!“

      Mizar brachte Sirrah eine Tasse Gewürztee. „Ihr zankt euch doch hoffentlich nicht schon wieder!“

      „Wir doch nicht!“

      „Dann bin ich ja zufrieden“, sagte Mizar. „Was habe ich mit euch beiden nicht schon alles erlebt!“

      „Weißt du noch, als sie mir die Farbe in die Haare gesprüht hat?“, erinnerte sich Tihal. „Es hat Wochen gedauert, bis die wieder rausging!“

      „Ich finde, dass dir das Grün sehr gut gestanden hat“, bemerkte Sirrah schmunzelnd.

      „Seht“, rief Mizar. „Die erste Sternschnuppe!“

      Sirrah und Tihal blickten zum Himmel. Die Ankunft der Meteoritenschauer war jedes Jahr ein besonderes Ereignis. Hunderte davon verglühten in der Atmosphäre, und jeder hoffte, möglichst viele dieser Sternschnuppen zu sehen.

      „Ich habe auch eine gesehen!“, rief Tihal.

      „Dann hast du einen Wunsch frei! Allerdings darfst du nicht sagen, was es ist. Sonst geht er nicht in Erfüllung.“

      Tihal sah Sirrah in die Augen. „Du weißt, was ich mir wünsche!“

      „Ich bin mir nicht sicher, ob es dann auch funktioniert“, murmelte Sirrah verlegen.

      „Da, noch eine!“, rief sie.

      „Hast du dir auch etwas gewünscht?“, fragte Mizar.

      Sirrah nickte.

      „Ich hoffe, dass dein Wunsch in Erfüllung geht“, sagte Mizar. „Ich nehme an, ihr seid mir nicht böse, wenn ich mich schlafen lege. Ich habe morgen viel Arbeit!“

      Sirrah und Tihal wünschten ihm eine gute Nacht. Eine Weile hörten sie ihn noch im Haus rumoren, dann löschte er das Licht. Die beiden saßen allein im Dunkel auf der Veranda und zählten Sternschnuppen, die wie ein glühender Funkenregen vom Nachthimmel fielen. Nach einiger Zeit rutschte Sirrah unruhig auf der Bank herum und griff nach ihrer Lampe.

      „Du willst doch wohl nicht schon gehen?“, fragte Tihal.

      „Ich muss ja noch nach Hause laufen!“

      Tihal sah sie mit einem erwartungsvollen Blick an. „Bitte, bleib noch ein wenig hier!“ Sanft berührten seine Fingerspitzen ihre Wange.

      “Was machst du denn da?“, flüsterte Sirrah.

      „Ich weiß nicht. Eigentlich warte ich darauf, dass du endlich etwas machst. Aber ich fürchte, vorher werde ich alt und grau!“

      Unsicher strich Sirrah über Tihals Haar. Der wirre Schopf fühlte sich unerwartet weich an, wie die Blätter des Seidenfarnes. Sirrah schloss die Augen. Irgendwie trafen ihre Lippen auf seine. Sie war sich nicht sicher, wer hier nun eigentlich wen geküsst hatte, aber letztendlich war es ihr auch egal. Alles, was sonst ständig in ihrem Kopf herumspukte, war plötzlich weit weg. Die wenigen noch arbeitenden Gehirnzellen ließen sie vermuten, dass Küssen womöglich eine Art Blutleere im Kopf verursachte, die einem auf wundervolle Weise den Verstand raubte.

      Langsam öffnete Sirrah ihre Augen und blickte in die von Tihal. Im fahlen Sternenlicht erschienen sie ihr noch dunkler als sonst. Sie erinnerten Sirrah an jene geheimnisvollen schwarzen Löcher, die im Zentrum beinahe jeder Galaxie zu finden waren und um die alle Sterne kreisten, bis sie irgendwann hineingezogen und unwiderruflich verloren waren. Für einen Moment wünschte sie sich, an einem Ort wie in diesen