Petra Gugel

Sirrah


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anstellen, damit du mal Notiz von mir nimmst?“

      Anscheinend meinte er es ernst. Sirrah wusste nicht, ob sie ihn erwürgen oder umarmen sollte. „Warum hast du mich nicht einfach auf eine Tasse Tee eingeladen? Macht man das nicht normalerweise so?“

      „Wärst du denn gekommen?“

      „Keine Ahnung“, antwortete Sirrah ehrlich. „Ich kenne dich einfach schon so lange. Irgendwie bin ich daran gewöhnt, mit dir zu streiten!“

      „Siehst du? Für dich bin ich doch schon ein Teil des Inventars, wie der alte Rübenernter!“

      „Das stimmt nicht“, sagte Sirrah lachend. „Außerdem siehst du wesentlich besser aus als das rostige Ding!“

      „Bist du jetzt nicht mehr sauer auf mich?“

      Sirrah sah ihm an, wie verlegen er war. Er verbarg es zwar hinter einem schiefen Lächeln, doch sein unsicherer Blick verriet ihn. Wie konnte jemand nur so frech und gleichzeitig schüchtern sein? Diese Mischung gehörte eindeutig verboten. Sie machte jede Art von Gegenwehr unmöglich.

      „Ich verzeihe dir, wenn du mir etwas zu trinken holst!“ Inzwischen schwitzte Sirrah dermaßen, dass ihre Bluse am Körper klebte, und ihr Herz klopfte so schnell, als wollte es sich selbst überholen. Sirrah war sich nicht sicher, ob es an der Anstrengung oder an Tihals Geständnis lag.

      Tihal spurtete los und kam kurz darauf mit seiner Provianttasche zurück. Er gab Sirrah einen Becher Wasser, den sie in einem Zug leerte.

      „Hättest du Lust, zum Teich zu gehen?“, schlug Tihal vor. „Etwas Abkühlung könnte nicht schaden!“

      „Warum nicht?“ Sirrah drückte ihm den leeren Becher in die Hand. „Warte einen Moment, ich bin gleich wieder da!“

      Sirrah lief in die Küche, wo Menkar am Herd stand und in einem großen Topf herumrührte. „Ich komme heute Mittag nicht zum Essen. Kannst du mir vielleicht etwas Kaltes einpacken?“

      Menkar verschloss den Topf mit einem Deckel. „Möchtest du dich vor dem Gemüseeintopf drücken?“

      „Nein. Mir ist nur so heiß, deshalb wollte ich zum Teich.“

      „Gehst du mit Arneb hin?“

      „Nein.“

      „Nur du ganz allein?“

      „Ist das ein Verhör?“

      „Geht’s dir nicht gut?“ Menkar sah Sirrah besorgt an. „Du bist so rot im Gesicht!“

      „Warum willst du eigentlich immer alles wissen? Ich war mit Tihal Pi-Tzi spielen, und dabei ist uns eben heiß geworden. Deshalb wollten wir uns am Teich etwas abkühlen. Bist du nun zufrieden?“

      Menkars verwirrter Ausdruck wich einem wissenden Lächeln. Er packte Sirrah einige Stücke Rührkuchen und eine Flasche Saft ein. „Ich wünsche euch beiden einen schönen Nachmittag!“

      4. Freundschaft

      Sie gingen den schmalen Pfad entlang, der zum Teich führte. Sirrah fand, dass der Wald heute irgendwie schöner aussah als sonst. Die wenigen Sonnenstrahlen, die den Weg durch das dichte Blätterdach fanden, malten ein leuchtendes Muster auf den Waldboden, und die Libellen, die über den Teich hinwegbrummten, schimmerten wie polierte Edelsteine.

      Sirrah setzte sich neben Tihal auf den Steg und streckte die nackten Zehen ins Wasser. Sie leerte ihre Tasche und stellte fest, dass ihr Vater außer Kuchen und Saft auch Teller, Becher und Servietten eingepackt hatte. Es war beinahe ein richtiges Picknick.

      Sirrah lehnte sich zurück. Der Wind wisperte im Schilf, und Splitter aus Sonnenlicht tanzten über den Wellen. Irgendetwas sollte sie jetzt sagen. Nur was?

      „Übrigens, wie lange, ich meine, seit wann…“ Mühsam rang sie nach Worten. Wie sprach man bloß mit jemandem, mit dem man bisher immer nur herumgeblödelt hatte, über seine Gefühle? Nie zuvor hatte sie sich so unsicher gefühlt.

      „Du meinst, wann ich mich in dich verliebt habe?“ Wieder hatte Tihal dieses verlegene Grinsen im Gesicht. „Kannst du dich noch erinnern, als du das erste Mal mit dem Mähdrescher gefahren bist? Du hast ausgesehen wie eine Königin auf ihrem Streitwagen.“

      „Ich hatte Dreck im Gesicht und Staub auf den Haaren!“

      „Nun, so ein Feldzug ist ja auch eine schmutzige Angelegenheit!“, sagte Tihal lachend.

      Sirrah lachte mit. Wie hatte sie diesem verrückten Kerl nur jemals böse sein können?

      „Ich frage mich nur, wieso du mich als Kind dann ständig geärgert hast!“

      „Damals habe ich dich auch ziemlich beneidet“, gestand Tihal.

      „Weswegen denn?“

      „Du kannst vielleicht Fragen stellen. Zum Beispiel durftest du zur Schule gehen, während ich mich hier mit diesem dämlichen Lernprogramm herumplagen musste!“

      „Glaub mir, da hast du nicht viel verpasst. Wenn man an Langeweile sterben könnte, dann wäre ich in Staatskunde schon längst tot vom Stuhl gefallen!“

      „Aber du hast eine Ausbildung, und wenn du deine Prüfungen bestanden hast, kannst du machen, was immer du möchtest. Ich dagegen werde hier Rüben ernten, bis ich verrotte!“

      Tihals Gesicht wurde ernst. Sirrah kam es so vor, als würde sich eine Wolke vor die beiden Sonnen ihrer Heimatwelt schieben.

      „Irgendwie dachte ich immer, ihr Jungs seid froh, wenn ihr zu Hause bleiben könnt!“ Verlegen zupfte sie einen Krümel von ihrer Bluse. „Es tut mir leid, wenn du deswegen unglücklich bist.“

      „Das muss es nicht. Du kannst schließlich nichts dafür. Außerdem bist du der einzige Grund, der mich diese Einöde ertragen lässt. Die Sache hat nur einen einzigen Haken: Du kannst es einfach nicht lassen, zu schummeln!“ Jetzt lächelte er wieder.

      Sirrah lächelte zurück. „Damit du endlich Ruhe gibst, schwöre ich dir hiermit den heiligen Eid, niemals wieder zu schummeln!“ Sie setzte eine feierliche Miene auf und sah Tihal tief in die Augen. Wieder fiel ihr auf, wie außergewöhnlich dunkel sie waren. Wie zwei Kohlen, die in Milch schwammen.

      „Wenn du mich so ansiehst, wird mir ganz schwindlig“, sagte Tihal.

      „Deinen Gesundheitszustand will ich natürlich nicht ruinieren!“ Sirrah grinste. „Schließlich steht die Obsternte vor der Tür!“

      „Du bist herzlos!“ Tihal machte ein gequältes Gesicht. „Da kann ich mich ja gleich ertränken!“ Er ließ sich ins Wasser plumpsen und verschwand unter der Wasseroberfläche.

      Sirrah wartete darauf, dass er wieder zum Vorschein kam. „Lass den Quatsch. Du musst nicht damit angeben, wie lange du die Luft anhalten kannst!“

      Doch auch nach einer weiteren Minute tauchte Tihal nicht wieder auf. Hatte er sich womöglich in einer Schlingpflanze verfangen? Sirrah beugte sich über den Rand des Steges und versuchte angestrengt, im trüben Wasser etwas zu erkennen.

      Plötzlich packten sie zwei Hände und zogen sie mit einem Ruck hinunter. Sirrah klatschte in den Teich. Wasser drang ihr in Nase und Ohren. Als sie keuchend und prustend wieder an die Oberfläche kam, war sie erleichtert und wütend zugleich.

      „Wärst du doch nur ertrunken!“, keifte Sirrah. „Das dauert ewig, bis meine Klamotten wieder trocken sind!“

      „Das war eine reine Verzweiflungstat“, beteuerte Tihal. „Und dann habe ich mich nur an deine rettenden Arme geklammert!“

      Sirrah stakste durch den zähen Schlamm zum Ufer, blieb jedoch auf halbem Weg stecken. „Verdammt! Ich hasse diese Pampe!“

      Tihal watete zu Sirrah und versuchte, sie aus dem Schlamm zu zerren. Ohne Erfolg. Nach wenigen Schritten versank auch er im weichen Untergrund, stolperte und landete mit einem schmatzenden Geräusch