Christian Milkus

Der Schatten in mir


Скачать книгу

Bisher musste ich mein Schwert kein einziges Mal schwingen.«

      »Gesetzlose morden und plündern im gesamten Königreich. Auch Schwarzbach ist vor ihnen nicht sicher.«

      »Euer Dorf liegt so abgelegen, kaum ein Schurke verirrt sich jemals hierher, geschweige denn wirklich gefährliche Männer.«

      »Allein Eure Anwesenheit beruhigt uns. Wir können alle ruhiger schlafen, seit ein solch geschickter Schwertkämpfer wie Ihr unter uns weilt.«

      Meine Worte schienen ihn nicht zu beeindrucken. Kein Wort des Dankes, kein Zeichen von Verlegenheit, kein Zeichen von Demut.

      »Ohne eure Kampfkünste wären wir hilflos«, fuhr ich fort.

      Er zog die Augenbrauen zusammen. »Ich beschütze Euch, dafür darf ich in Eurem Dorf wohnen. Das ist unser Pakt.«

      »Ein Pakt, von dem beide Seiten profitieren. In Schwarzbach seid Ihr Euer Leben lang sicher und gern gelitten.«

      Wieder lachte er. »Nach der Eroberung des Throns hat König Zalamo ein felsenschweres Kopfgeld auf mich ausgesetzt – so wie auf alle, die den Paytons bis zum Ende gedient haben. Glaubt mir, in diesem Leben werde ich nie wieder sicher sein. Seine Männer werden nicht aufhören, nach mir zu suchen.«

      »Selbst wenn Truppen des Königs hier aufkreuzen und nach Euch fragen sollten – niemand wird Euch verraten, das verspreche ich Euch! Wir brauchen Euch!«

      Er lächelte und schaute mich an, als spräche er mit einem kleinen, naiven Kind. »Das ändert sich, wenn die Soldaten mit ihren Goldmünzen klimpern. Eine Zunge lockert sich schnell, wenn die Münzen schwer sind und glitzern.«

      Das Gespräch lief in die falsche Richtung. Ich hatte ihn an unseren Pakt erinnert, das sollte ihn ehren, ihm schmeicheln, ihn mit Stolz erfüllen. Es sollte ihn an sein Glück erinnern und gleichzeitig an seine Vernunft appellieren. Doch für ihn stand der Pakt nur für leise Worte im Wind. Er war überzeugt, die Dorfbewohner würden ihn beim Anblick von Goldmünzen brechen wie eine Bande heimtückischer Halunken. Er irrte sich. Wir waren rechtschaffene Menschen, kein Dorfbewohner würde einen anderen dem Schwert ausliefern.

      Sir Caster stellte sich neben sein Pferd und ließ sich die Hufen geben. Langsam und sorgfältig kratzte er den Dreck heraus. Ich beobachtete ihn eine Weile, während ich über meine nächsten Worte nachdachte.

      »Die Ernte war dieses Jahr besonders schlecht«, sagte ich. »Unsere Vorräte sind begrenzt, wir werden den Winter nicht überstehen.«

      »Zur Not müssen wir rationieren«, sagte er, ohne aufzuschauen. »Der Mensch braucht weniger zu essen, als man denkt.«

      »Es sind nicht nur die Nahrungsvorräte. Kleidung, Werkzeug, Stoffe – dem Dorf mangelt es an lebenswichtigen Dingen.«

      »Lebenswichtig bedeutet für mich etwas anderes. Ein Mann braucht Brot, Holz und ein Schwert. Nahrung mag knapp sein, aber wir besitzen mehr Holz als eine Hafenstadt Fische.« Er schaute zu mir auf und lächelte. »Und in meiner Truhe liegt das schärfste Schwert des Königreichs.«

      »Ihr seid ein bescheidener Mann, Sir Caster.«

      »Ich bin ein einfacher Mensch, so wie Ihr alle.«

      Ich fühlte mich wie in der Geschichte des Endlosen Waldes. Ganz gleich, welchen Pfad ich einschlug – ein Baum glich dem anderen, und stets landete ich wieder am Anfang des Weges. Aber verzweifelt war ich noch nicht, denn einen Pfeil hatte ich noch im Köcher.

      »Jedenfalls brechen wir demnächst wieder nach Trummhügel auf«, sagte ich in gleichgültigem Ton.

      »Auf den Markt?«, fragte er und sah auf.

      Ich nickte, endlich hatte ich sein Interesse gepackt. »Der Marktplatz zu Trummhügel ist ein großes Spektakel.«

      »Trummhügel ist keine große Stadt.«

      »Wenn Markt ist, wächst die Stadt um das Dreifache an. Alle Bewohner des Waldes treffen sich dort, dazu Händler aus jeder Ecke des Königreichs.«

      Nicht nur Honig schmeckt süß, auch Haferbrei kann den Gaumen verzaubern, mischt man ihm das richtige Gewürz unter.

      Er lächelte. »Und ich dachte, der Wald wird von den Menschen gemieden.«

      Schnell schüttelte ich den Kopf. »Bewahre, die Leute kommen, um mit den kostbarsten Gütern zu handeln. Fein duftender Safran aus dem Süden und saftiger Lachs aus dem Norden. Seide aus der Roten Wüste und Weißfuchspelze von der Eisküste. Edelsteine in allen Farben und Amulette gegen Geister und Dämonen. Jeder Gaumen, jedes Herz und jede Seele kann sich dort ihre Träume erfüllen.«

      Sir Caster sah mich mit gehobenen Augenbrauen an.

      »Und abends feiern wir Feste bei Starkbier und Honigwein. Wir spielen Infernale mit seltenen Feuersteinen, die Farben ins Feuer zaubern, wie Ihr sie noch nie gesehen habt. Wir tragen Wettbewerbe aus, Baumstammwerfen, Pflugeisenschleudern, Bogenschießen und Schwertkampf. Reisende lassen sich nieder, spielen Musik und erzählen Geschichten. Es sind Abende, die einem für immer in Erinnerung bleiben.«

      Zwar hatte ich etwas übertrieben, aber gelogen hatte ich nicht – der Marktplatz war eine wunderbare Abwechslung zum Alltag im Dorf.

      Ich wartete auf eine Reaktion.

      »Es ist jedes Mal ein Vergnügen«, fügte ich hinzu.

      Wieder wartete ich auf eine Erwiderung, diesmal eine ganze Weile lang, bevor ich hinzufügte: »Wir haben immer großen Spaß, wenn wir dort sind.«

      Wieder sprang er nicht darauf an, wieder wartete ich – bis er schließlich den Kopf schüttelte und seufzte. »Kolen, ich werde nicht mit Euch zum Markt gehen. Solange es sich vermeiden lässt, werde ich keinen Fuß aus diesem Dorf setzen.«

      Ich starrte ihn offenen Mundes an. Ich hatte mich darauf eingestellt, ihn überreden und mich auf ein langes Wortgefecht einlassen zu müssen, aber eine derart entschlossene Ablehnung hatte ich nicht erwartet.

      Er sah mir die Enttäuschung an. »Dort sind zu viele Menschen«, erklärte er. »Wenn nur einer von ihnen mich erkennt, wird König Zalamo sein halbes Heer nach mir suchen lassen.« Er machte eine kurze Pause. »Notfalls würde er den ganzen Wald abfackeln lassen. Menschen, die in Burgen leben, haben wenig Skrupel – das könnt Ihr mir glauben.«

      »Aber …«

      Er zog die Augenbrauen zusammen. »Aber?«

      Ich holte tief Luft. »Aber wir brauchen Euer Pferd. Es ist das einzige, das dieses Dorf noch besitzt. Nur mit ihm können wir Trummhügel innerhalb eines Tages erreichen. Nur mit ihm können wir genügend Waren transportieren.«

      Er schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich.«

      Ich legte mehr Kraft in meine Stimme. »Das Dorf ist auf den Handel angewiesen!«

      Nun schaute er mir tief in die Augen. »Wenn ich erkannt werde, bin nicht nur ich erledigt, Kolen. Auch Euer Dorf wird sich dann vor König Zalamo verantworten müssen. Ihr habt mich bei Euch versteckt.«

      »Ihr müsst nicht auf der Straße tanzen und Lieder singen. Ihr haltet Euch versteckt, niemand wird Euch ins Gesicht schauen können.«

      Zum ersten Mal während unseres Gesprächs schaute er mich böse an, doch ich hörte nicht auf zu sprechen. »Wir werden den Winter sonst nicht überstehen! Wir werden verhungern!«

      In dem Moment warf er den Hufauskratzer auf den Boden und brüllte mich an: »Ihr seid lästiger als eine Mücke! Ab jetzt behaltet Eure Worte für Euch, oder ich werde sie Euch eigenhändig zurück in den Rachen pressen!«

      Ich erstarrte, denn ich hatte einen bedeutenden Fehler begangen. Ein Mann öffnet seine Ohren nur, wenn es um seine Vorteile geht. Nachteile will er nicht hören, Drohungen schon gar nicht. Trotz wird dir entgegenschlagen, denn Trotz ist stärker als Vernunft.

      »Ich verstehe Eure Bedenken, Ihr würdet Euch in große Gefahr begeben«, sagte ich leise. »Aber Ihr könnt uns trotzdem helfen, wenn Ihr uns Euer Pferd leiht.